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Zeitenwende. Der Medizin steht durch Big Data ein großer Umbruch bevor.

© dpa

Konferenz über Big Data und Medizin am HPI: Zeitenwende für die Medizin

Die Möglichkeiten der immer größer werden Datenmengen für die Medizin standen im Mittelpunkt einer Konferenz am Potsdamer Hasso Plattner Institut. Was Menschenleben schneller retten kann, steht gleichzeitig auch in der Kritik. Die Entwicklung verlaufe unkontrolliert und explosiv hieß es.

Potsdam - Drei von vier Chemotherapien erzielen bei Krebskranken nicht den erwünschten Erfolg. Krebserkrankungen haben verschiedene Ursachen, Menschen unterscheiden sich in Lebensstil und genetischer Veranlagung. Für eine erfolgreiche Behandlung bräuchte es eigentlich so etwas wie eine maßgeschneiderte Therapie. Am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut (HPI) hatte man nun eine bahnbrechende Idee: Das „Drug Response Analysis“ genannte Programm gleicht die immer rasanter wachsenden Datenmengen von Krebspatienten aus aller Welt ab, und ermittelt so in Minutenschnelle die optimale Therapie. Bislang dauerte es Wochen, bis Onkologen den weltweit wachsenden Bestand aus Untersuchungsdaten ausgewertet hatten – wenn man sich überhaupt so viel Arbeit mit einem Patienten gemacht hat.

Das gemeinsam mit der Berliner Charité entwickelte Verfahren hat HPI-Chef Christoph Meinel am Mittwoch vor rund 80 Experten aus Medizin und Wissenschaft zur Eröffnung der zweitägigen internationalen Konferenz „Big Data in Medicine“ vorgestellt. Mittels einer am HPI entwickelten Hochgeschwindigkeitsdatenbank können Mediziner in Zukunft auch das Ansprechen von Tumoren auf bestimmte Wirkstoffe wesentlich schneller ermitteln. So lassen sich die Wirkstoffmengen individuell anpassen und Kombinationstherapien optimal ermitteln. „Wir kombinieren Daten historischer Fälle, um bei der Auswahl der passenden Behandlung für akute Patienten zu unterstützen“, erklärte HPI-Entwickler Matthieu-P. Schapranow das Vorgehen.

Hoffnung für alternde Gesellschaft

Die Möglichkeiten der immer größer werden Datenmengen für die Medizin stehen im Mittelpunkt des Treffens am Griebnitzsee. Die medizinischen Anwendungen sind denkbar vielfältig, so lassen sich über die schnelle Auswertung von Patientendaten auch HIV-Therapien verbessern oder Alzheimer-Erkrankungen frühzeitig erkennen, um sie hinauszuzögern. Kein unwesentlicher Aspekt, wie Keynote-Sprecher Heyo K. Kroemer von der Universität Göttingen, am HPI erklärte, sei doch angesichts der alternden Bevölkerung 2050 mit rund drei Millionen Alzheimer-Kranken in Deutschland zu rechnen.

Die medizinischen Datenmengen sind enorm, Zehntausende Terabyte fallen in den Kliniken täglich an – zum Vergleich: Facebook kommt pro Tag mit rund 600 Terabyte aus. Kroemer spricht von einem dramatischen Wandel in der Medizin, ja gar von einer Zeitenwende , die später im Rückblick mit der Zäsur der Aufklärung auf eine Stufe gestellt werden dürfte. Zu den bereits bestehenden Patientendaten kommen bislang ungenutzte und neuerdings auch private Daten aus Gesundheits-Apps hinzu. Personalisiert man diese Daten, können in Zukunft die Ärzte Diagnosen erstellen, ohne die Patienten zu sehen. Krankheiten können erkannt werden, bevor es zu spät ist. Auch wird sich das Berufsbild des Mediziners stark wandeln.

Wem gehören die sensiblen Gesundheitsdaten?

Doch Kroemer sieht die Entwicklung auch dezidiert kritisch. Der Fortschritt sei so rasant, dass eine Reflexion oder auch die Anpassung der Ausbildung kaum noch möglich sei. Offene Fragen seien etwa, wie es um Sicherheit und Missbrauch der hochsensiblen Gesundheitsdaten bestellt ist, wem diese gehören, wo die Privatsphäre beginnt und inwieweit die Gesellschaft an dem Umbruch überhaupt teilnimmt. Kroemer spricht von einer unkontrollierten explosiven Entwicklung. In wenigen Jahren würden die großen IT-Firmen, die die Entwicklung vorantreiben, über die Daten verfügen. Das müssten Gesellschaft und Politik erkennen und entsprechend reagieren.

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