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Doppelte Kraft. Der Schwede Johan Rockström (r.) wird mit dem derzeitigen Vize-Direktor Ottmar Edenhofer (l.) die Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)übernehmen.

© PIK

Klimaforschung Potsdam: „Kein Institut in der Welt ist so gut positioniert“

Die neue Doppelspitze des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer und Johan Rockström, über die Bedeutung und Zukunft des Instituts, die Frage der Ungleichheit auf der Erde, gerechte CO2-Steuern und den Nutzen von Big Data.

Herr Rockström, warum ist es Ihnen so wichtig, ans Potsdamer PIK zu wechseln?

Rockström: Durch die Verbindung des Konzeptes der planetaren Belastungsgrenzen mit dem der Gemeinschaftsgüter wird für das PIK ein einzigartiger strategischer Schritt möglich: Das Institut kann eine weltweit führende Rolle dabei einnehmen, den Weg in eine nachhaltige Zukunft auszuloten. Die Forschung des PIK wird umso wichtiger, je mehr wir begreifen, wie sehr wir das gesamte Erdsystem bereits destabilisieren. Das ist der Grund, warum ich nach Potsdam komme. Ich kenne kein Institut in der Welt, das so gut positioniert wie das PIK, um diese zentrale Menschheitsfrage zu beantworten.

Inwiefern?

Rockström: Wir werden hier erstmals die Forschung zu den planetaren Grenzen mit dem der Kipp-Elemente des Erdsystems verbinden können, und wir werden das Klimasystem mit der gesamten Biosphäre in Bezug setzen, um die Funktion des Erdsystems im Ganzen zu erklären. Das leisten weltweit nur wenige Forschungseinrichtungen – und das PIK ist dabei ganz an der Spitze. Wir müssen aber noch einen großen Schritt weitergehen.

Welchen?

Rockström: Die Integration von Natur- und Sozialwissenschaften ist der größte Schritt, weil diese Integration von grundlegender Bedeutung für das Verständnis nachhaltiger Entwicklung ist. Das PIK betreibt weltweit führend Erdsystemforschung und verbindet diese etwa mit Fragen der Makroökonomie und des Umgangs mit globalen Gemeinschaftsgütern. Die integrierte und transdisziplinäre Forschung am PIK hat bereits klargemacht, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass sich das Erdsystem lediglich nach und nach verändert, sondern dass wir mit abrupten Veränderungen rechnen müssen. Die planetaren Belastungsgrenzen formulieren eine Art Sicherheitsabstand, um diese planetaren Risiken zu vermeiden. Aber auch in Wirtschaft und Gesellschaft kann es zu disruptiven Veränderungen kommen – etwa wenn der Klimawandel die Anpassungsfähigkeit ganzer Gesellschaften überfordert. Am PIK werden Methoden entwickelt, um dies besser zu verstehen. Wir haben die Chance und Verantwortung, diese neue Perspektive zu eröffnen. Und das wird auch ganz Deutschland an die Spitze dieser Forschung führen.

Was bringen Sie selbst mit?

Rockström: Vom Stockholm Resilience Centre bringe ich das Konzept der planetaren Grenzen mit, das am PIK nun mit der Forschung zu den globalen Gemeinschaftsgütern zusammenkommt. Innerhalb der kommenden zehn Jahre soll sich hieraus eine einheitliche Forschungsagenda entwickeln.

Edenhofer: Die Zwei-Grad-Grenze ist ein Beispiel für eine planetare Belastungsgrenze. Diese kann aber nur eingehalten werden, wenn die Atmosphäre nicht weiterhin willkürlich und nach Gutdünken genutzt wird, sondern als globales Gemeinschaftsgut der Menschheit verstanden wird. Wenn aber die Nutzung der Atmosphäre beschränkt werden soll, dann bedarf es internationaler Abkommen, einer gerechten Lastenverteilung, der finanziellen Unterstützung für Entwicklungsländer, der Einführung von CO2-Steuern und anderem. Es geht dabei aber nicht nur um das Klima allein, sondern auch um Fragen der Landnutzung, der Biodiversität oder etwa der Wassernutzung. Hier müssen Erdsystemwissenschaften und ökonomische sowie sozialwissenschaftliche Forschung zusammenspielen, um zu belastbaren Lösungen zu kommen, die die Politik auch umsetzen kann.

Was macht Sie so optimistisch, dass Klimaschutz überhaupt eine Zukunft hat, Herr Rockström?

Rockström: Auf dem World Economic Forum in Davos wurde die Agenda der vierten industriellen Revolution umrissen: die enormen Möglichkeiten, die die Menschheit durch die Digitalisierung haben wird. Bislang spielten die Fragen der planetaren Belastungsgrenzen für die Davos-Eliten eine geringe Rolle. Aber 2018 wurde in Davos erstmals anerkannt, dass es globalen Wohlstand in diesem Zusammenhang nur geben kann, wenn die globalen Gemeinschaftsgüter nicht zerstört werden. Das PIK und das Mercator Research Center on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin werden die Chance nutzen, die Erforschung dieser Fragen auf die nächste Stufe wissenschaftlicher Exzellenz zu heben. Die Kooperation mit dem MCC, das von Ottmar Edenhofer geleitet wird, werden wir vertiefen. Ich bin begeistert, diesen Schritt in einer einzigartigen Koalition mit ihm machen zu können.

Soweit die Wirtschaft – wie sieht es in der Öffentlichkeit aus?

Rockström: Aktuelle Studien zeigen, dass weltweit mehr als 70 Prozent der Menschen der Klimaforschung vertrauen. Die Veränderungen des Klimas beunruhigen sie sehr, sie befürworten Klimaschutz, vor allem junge Menschen und Frauen. Rund 40 Prozent sagen sogar, dass sie die Folgen des Klimawandels bereits heute spüren. Viele sind daher frustriert, dass es nicht schneller vorangeht. Gerade das Engagement der jungen Generation ist in dieser Frage sehr ausdauernd. Und noch eine Veränderung: Heute denkt die Wirtschaft stärker an die Zukunft als Teile der Politik.

Als neue Doppelspitze des PIK wollen Sie Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften noch stärker zusammenbringen – was wollen Sie damit erreichen?

Edenhofer: Unser Ziel ist es, transdisziplinäre Arbeit über alle Fächergrenzen hinweg zu ermöglichen. Damit verbunden sind drei Schwerpunkte: Wir wollen zum einen verstärkt in die empirische Klimafolgenforschung investieren, um besser zu verstehen, wie Menschen auf Dürren, Fluten, Wetterextreme reagieren – für arme Menschen bedeuten diese Ereignisse etwas anderes als etwa für die Mittelschicht. Um diese Frage zu beantworten, wollen wir auch Big Data und Maschinenlernen einsetzen. Zum anderen werden wir die Erdsystemanalyse stärken und die Makroökonomie vertiefen – mit besonderem Augenmerk auf Ungleichheits- und Nachhaltigkeitsfragen.

Makroökonomie klingt nur entfernt nach Klimaforschung.

Edenhofer: Ist es aber! Wann immer wir versuchen herauszufinden, was Klimaschutz kostet oder wie eine CO2-Steuer wirkt, dann machen wir das mit den makroökonomischen Modellen der Wirtschaftsforschung. Nun wird gesellschaftlich das Thema Ungleichheit immer wichtiger – um das anzugehen, müssen wir es mit Computersimulationen erfassen, um dann im Rechner etwa ausprobieren zu können, mit welchen Steuern die Ungleichheit effektiv vermindert werden könnte. Wie wirken CO2-Steuer mit Erbschaftssteuern und Bodensteuern auf die Vermögens- und Einkommensverteilung? Durch Digitalisierung könnte vermehrt menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt werden – wie wirkt das auf die Verteilung von Lohn- und Kapitaleinkommen? Fragen wie diese müssen wir besser verstehen, um die Wirkung von Klimaschutzmaßnahmen besser abschätzen zu können.

Ein Beispiel bitte!

Edenhofer: CO2-Steuern belasten überproportional die Bezieher geringer Einkommen, weil sie relativ gesehen mehr für Heizung und Strom ausgeben. Würde man mit den Einnahmen jedoch die Lohnsteuern für die Bezieher niedriger Einkommen senken, könnte man sie stärker entlasten und stattdessen die Bezieher höherer Einkommen belasten. Ein zweites Beispiel: In den Schwellen- und Entwicklungsländern werden die Staaten durch klimabedingte Naturkatastrophen und Wetterextreme stärker belastet als durch die Weltkonjunktur. Die ohnehin knappen finanziellen Puffer des Haushaltsbudgets werden durch solche Ereignisse weitgehend aufgebraucht. Diesen Staaten ist es aber nicht möglich, sich am internationalen Kapitalmarkt zu verschulden, da sind die Grenzen der Anpassung heute schon erreicht. Ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft werden diese Länder die Herausforderungen des Klimawandels nicht meistern können.

Wozu wollen Sie die künstliche Intelligenz nutzen?

Edenhofer: Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf extreme Klimafolgen wie etwa Hitze oder Überschwemmungen – und zwar abhängig davon, ob sie reich oder arm sind. Bei armen Menschen wird nach einer Naturkatastrophe das Haus repariert, aber die Kinder können mitunter nicht mehr zur Schule geschickt werden. Das hört sich vielleicht banal an, hat aber für die wirtschaftliche Entwicklung der Länder langfristige, klar negative Folgen. Wir wollen nun mit der Hilfe von Big Data ein besseres Verständnis von Einkommensentwicklung und Widerstandsfähigkeit gegenüber Extremwetterereignissen in Entwicklungsländern erhalten.

Wie das?

Edenhofer: Mithilfe von Daten über die Nutzung von Mobiltelefonen oder Licht lässt sich zum Beispiel die Vermögensverteilung auch in Ländern ermitteln, die ihre Einkommensverteilung nicht statistisch erfassen können. Daten wie diese können zudem dabei helfen, das Verhalten von Menschen in großem Maßstab besser zu verstehen.

Verlangt der Klimaschutz allen Menschen eine grundsätzliche Veränderung des Lebensstils ab?

Edenhofer: Grundsätzlich schon, aber Appelle allein sind dabei nicht genug. Wir müssen es den Menschen leichter machen, moralisch zu handeln, wenn sie sich die Frage stellen, wie sie ihre Wohnungen heizen sollen, mit welchen Autos sie fahren oder von wem sie den Strom beziehen.

Was schlagen Sie also vor?

Edenhofer: Wir müssen das Energiesystem vom Kopf auf die Füße stellen. Die reale Knappheit ist die des Deponieraums in der Atmosphäre. Daher sollte der CO2-Ausstoß einen Preis bekommen – das trifft dann jeden Brennstoff genau entsprechend seiner Klimaschädlichkeit. Es ist doch besser, ein ökonomisches Übel zu bepreisen, wie die Treibhausgas-Emissionen es sind, statt ökonomisch wichtige Faktoren wie Arbeit oder Kapital immer mehr zu besteuern.

Weltweit gibt es eine Abkehr von der Kohle – stehen wir vor dem Ende der Kohlenutzung?

Edenhofer: Soweit sind wir leider noch nicht. Die bestehenden und im Bau befindlichen Kraftwerke werden rund 330 Gigatonnen CO2 ausstoßen – das ist etwa die Hälfte des noch verbleibenden Emissions-Budgets zur Einhaltung der Paris-Grenze. Die Kohlefrage entscheidet heute darüber, ob wir die Tür zum Zwei-Grad-Ziel endgültig zustoßen – oder noch einen Spalt offenhalten. Dass ein Land wie Großbritannien für sich nun einen Kohleausstieg mit einem Mindestpreis für CO2 geschafft hat und weitgehend auf Erdgas und andere Energien umsteigt, ist bemerkenswert. Das könnte uns ein Vorbild sein. Zusammen mit anderen europäischen Ländern sollte Deutschland die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach einem wirkungsvollen CO2-Preis aufgreifen. Das könnte das gesamte europäische Projekt in der Klima- und Energiepolitik weiter nach vorne bringen. Mit relativ moderatem Aufwand – der CO2-Aufschlag in Großbritannien lag gerade mal bei 18 Euro pro Tonne – lässt sich so der erste Schritt in eine effektive Klimapolitik machen.

Rockström: Deutschland und Frankreich können eine fundamentale Rolle bei der nötigen Klima- und Energiewende in der EU spielen. Wenn hingegen Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und führende Nation in der EU beim Paris-Ziel scheitert, dann wird der gesamte weltweite Erfolg fraglich. Eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland muss einen Weg aufzeigen, wie sich die Dekarbonisierung mit erfolgreicher Realisierung menschenwürdiger Lebensbedingungen – also „human well-being“ –, wirtschaftlichem Wachstum und den Paris-Zielen vereinen lassen.

Edenhofer: Hinzu kommt, dass wir dringend eine Änderung in der Umweltpolitik brauchen: Bislang wird viel über Ziele diskutiert, wir müssen nun aber schleunigst auch über die Instrumente sprechen, die nötig sind, um diese Ziele zu erreichen. Wir müssen auch einsehen, dass der technische Fortschritt bei den erneuerbaren Energien alleine nicht zu sinkenden Emissionen führen wird. Werden die erneuerbaren Energien billiger, sinkt auch der Preis für die fossilen Energieträger, weil deren Nachfrage zunächst fällt; damit bleibt aber der Anreiz bestehen, sie weiter zu nutzen. Mittelfristig steigt die Nachfrage nach fossilen Energieträgern wieder. Daher bleibt es dabei: ein vernünftiger CO2-Preis ist als Einstieg in die Energiewende unabdingbar. In Afrika etwa liegen die Ausbauraten für Kohlekraftwerke nach wir vor im zweistelligen Bereich.

Herr Rockström, das Konzept der planetaren Grenzen sieht den rasanten Verlust der biologischen Vielfalt als das größte Problem für die Menschheit – noch vor dem Klimawandel. Steht das nicht konträr zur Klimaforschung am PIK?

Rockström: Man sollte das Einhalten der Zwei-Grad-Grenze nicht gegen den Verlust der biologischen Vielfalt ausspielen. Der Verlust der Biodiversität und die Zerstörung natürlicher Senken verstärken den Klimawandel und vermindern die Widerstandsfähigkeit des Erdsystems. Wälder, Ozeane und Böden sind ein wichtiger Stabilisierungpuffer. Ohne diesen Puffer könnten die Kipp-Elemente im Erdsystem aktiviert werden, mit katastrophalen Folgen. Daraus ergibt sich eine dramatische Schlussfolgerung.

Was meinen Sie?

Rockström: Es wird keinesfalls ausreichen, das Energiesystem zu dekarbonisieren. Um unterhalb der Zwei-Grad-Grenze zu bleiben, müssen wir das Energiesystem bis 2050 ohne fossile Energien betreiben. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Wälder, Ozeane und Böden auch weiter Emissionen binden können. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig eine integrierte Betrachtung des Erdsystems ist. Ich arbeite bereits seit zehn Jahren mit dem PIK als dem weltweit führenden Institut in diesen Fragen zusammen. Es ist mir eine große Freude, diese Zusammenarbeit mit den Kollegen am PIK nun vertiefen zu können und das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen weiter voranzutreiben.

Herr Rockström, werden Sie für Ihre Aufgabe nach Potsdam ziehen?

Rockström: Ich werde tatsächlich zusammen mit meiner Familie hierherziehen – ob nach Potsdam oder Berlin ist noch offen. Die Aufgabe ist so bedeutend und die Verantwortung so groß, dass ich direkt vor Ort leben möchte. Die Region hier ist in absehbarer Zukunft der „place to be“ für diejenigen, die in der Welt wie auch in der Wissenschaft etwas verändern wollen. Die Ballung der wissenschaftlichen Exzellenz am Standort ist groß. Die hohen Investitionen, die von Land und Bund gemacht wurden und werden, zahlen sich bereits aus: Hier wird Wissenschaft ernst genommen. In der gesamten Region gibt es einen sehr starken intellektuellen und interdisziplinären Geist, der einen Forschungsfortschritt ermöglicht, wie ihn die Welt heute braucht: um Einblicke zu gewinnen und Lösungen zu entwickeln für eine nachhaltige und prosperierende Zukunft der Menschheit auf der Erde.

Das Interview führte Jan Kixmüller

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Ab Ende September übernehmen der bisherige Vizedirektor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer (56; links) und der renommierte schwedischer Erdsystemforscher, Johan Rockström (52), gemeinsam die Führung des weltweit anerkannten Instituts auf dem Telegrafenberg. Das hatte das Kuratorium des PIK Ende Februar beschlossen. Der bisherige Gründungsdirektor Hans Joachim Schellnhuber (67) wird dann nach 25 Jahren die Führung des mehr als 300 Mitarbeiter starken Instituts abgeben.

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