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Klimaforschung aus Potsdam: Überraschung im Nordatlantik

Im Nordatlantik hat sich eine riesige Kälteblase gebildet. Potsdamer Klimaforscher vermuten einen Zusammenhang mit dem abtauenden Grönlandeis. Das könnte auch Auswirkungen auf unser Wetter haben.

Ein mysteriöses Kälteloch beschäftigt derzeit Meteorologen und Wissenschaftler. Im Nordatlantik hat sich zwischen der Südspitze Grönlands, Island, Irland und den Azoren ein riesige Fläche gebildet, in der das Oberflächenwasser seit Jahresbeginn zum Teil über drei Grad kälter war als üblich. Das zeigen Messergebnisse der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) aus den vergangenen zwölf Monaten. In der Region nördlich des 40. Breitengrades kommt es im Nordatlantik zwar immer wieder zu Jahren mit kälteren Meerestemperaturen, doch so stark ausgeprägt wie 2015 war das Kälteloch noch nie. Und das verblüffenderweise in einem Jahr, das aller Voraussicht nach zu einem der wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wird.

Kaltes Wasser und heiße Sommer

Der Potsdamer Klimaforscher und Professor für die Physik der Ozeane, Stefan Rahmstorf, brachte die ungewöhnliche Kälteblase nun mit dem Rekordsommer 2015 in Verbindung. Der Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) schrieb im Wissens-Blog „Scilogs“, dass auch während des Jahrtausendsommers 2003 südlich von Grönland eine ausgeprägte Kälteblase parallel zur Wärmeanomalie über Europa zu beobachten war. In der Region südlich von Grönland entscheidet sich, wie heiß der Sommer in Mitteleuropa wird. Ist es dort besonders kalt und die Nordsee wärmer, kann eine südwestliche Strömung mit heißer Luft aus Afrika in Gang kommen, die wiederum ein Hitzehoch über Mitteleuropa ermöglicht.

Der Sommer 2015 war nicht nur in Mitteleuropa, sondern auch global der wärmste aller Zeiten. Experten rechnen damit, dass 2015 insgesamt das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen 1880 wird. Als eine der Ursache sehen Meteorologen unter anderem die in diesem Jahr sehr ausgeprägte Meeresströmung El Niño. Klimaforscher Rahmstorf misst allerdings der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung eine weitaus größere Rolle bei. „Der Hauptgrund für die aktuelle Häufung von Hitze ist schlicht die von uns verursachte globale Erwärmung“, so Rahmstorf.

Die negative Abweichung der Wassertemperatur im Nordatlantik war im gesamten Jahr 2015 zu beobachten, zum Teil besteht die Anomalie seit Oktober 2014. Über die Gründe weiß die Forschung noch wenig. Rahmstorf sieht die Entwicklung im Zusammenhang mit einem Langzeittrend zur Abkühlung in dieser Region. Ein Prozess, der in krassem Gegensatz zum allgemeinen Trend zur globalen Erwärmung steht und von verschiedenen Forschern auf eine Abschwächung der Ozeanzirkulation im Atlantik zurückgeführt wird.

Wenn der Golfstrom schwächelt

Erst im März dieses Jahres waren PIK-Forscher unter Leitung von Rahmstorf mit einer Studie zur Veränderung des Golfstroms an die Öffentlichkeit getreten. Erstmals konnten sie triftige Belege dafür erbringen, dass die Strömung an Kraft verliert. Die Atlantische Umwälzbewegung, die sogenannte Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), war in den letzten Jahrzehnten langsamer als jemals zuvor im vergangenen Jahrhundert, wahrscheinlich sogar im vergangenen Jahrtausend. Die Forscher vermuten, dass kaltes Tauwasser aus Grönland eine Ursache für die gestörte Zirkulation ist. Die Strömung, die im Atlantik wie eine gewaltige Umwälzpumpe warmes Wasser in den Norden und kühles in den Süden transportiert, sorgt in Mitteleuropa für verhältnismäßig mildes Klima. Ein komplettes Ausbleiben der Strömung hat in der Erdgeschichte bereits mehrfach zu eiskalten Wintern bis nach Süditalien geführt. Eine solche Abkühlung erwarten die Klimaforscher heute allerdings nicht mehr. Wenn die Strömung gegen Ende des Jahrhunderts nach einer starken globalen Erwärmung versiegen sollte, was am wahrscheinlichsten sei, würden die Temperaturen aufgrund der starken Erwärmung trotzdem nicht unter die heutigen fallen.

Die Wassertemperaturen im Nordatlantik werden die Potsdamer Klimaforscher nun auch weiterhin im Blick behalten: Wie sich die kalten Meerestemperaturen südlich von Grönland auf das Wetter in Europa auswirken, ist laut Rahmstorf derzeit ein aktuelles Forschungsthema am PIK. Rahmstorf erwartet zwar nicht, dass die ungewöhnliche Kälteblase im Nordatlantik auf Dauer Bestand haben wird, aber eine weitere Abschwächung der AMOC-Strömung durch das Schmelzwasser des grönländischen Eisschildes in den kommenden Jahrzehnten sei wahrscheinlich, sagte er in einem Interview mit der „Washington Post“.

Wie kalt der Winter wird

Welche Folgen nun die ominöse Kälteblase im Nordatlantik für den kommenden Winter haben wird, ist allerdings noch völlig offen. Dass das kalte Wasser die darüberliegende Luft weniger stark erwärmt als üblich, steht fest. Das kann sich in Mitteleuropa bei West- und Nordwestwetterlagen bemerkbar machen. Einige Meteorologen erwarten sogar, dass es durch den Kältesee einen kalten Winter geben könnte, da ein ausgeprägter Kaltwassergürtel zwischen den Tropen und dem Polarmeer die Bildung starker Tiefdruckgebiete hemmen könnte, die vergleichsweise wärmere Luft zu uns bringen.

Allerdings könnte es auch ganz anders kommen – Wetter bleibt ein chaotischer Prozess. Geringfügige Veränderungen eines Musters können zu völlig gegensätzlichen Entwicklungen führen. Vorhersagen über wenige Tage hinaus sind schlichtweg unseriös. So gesehen sind auch die Ankündigungen eines Jahrtausendwinters durch das „Schnee-Orakel“ Sepp Haslinger aus dem bayrischen Benediktbeuren, der seine Prognose auf den Blütenstand der Kleinblütigen Königskerze stützt, mit größter Vorsicht zu genießen. Ebenso unsicher sind die Meldungen von Vogelexperten, die aufgrund des aktuell sehr frühen Zugs der Zwergschwäne aus der nordrussischen Tundra nach Westeuropa – so früh wie seit 1963 nicht mehr – auf einen eisigen und langen Winter schließen. Und auch wenn die ersten Oktoberwochen ungewöhnlich kalt waren, kann alles wieder ganz anders kommen. Immerhin zeigt die Kälteblase im Nordatlantik in der zweiten Oktoberhälfte erste Auflösungserscheinungen.

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