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Klimaforscher Stefan Rahmstorf im Interview: „Nicht einfach wegducken“

Der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf über Warnungen vor dem Klimawandel, Schmähkritik und Verantwortung

Herr Rahmstorf, Sie werden immer wieder von Skeptikern der Klimawandel-Theorie attackiert. Belastet Sie das nicht?

In der Regel geht es dabei ja nicht um konkrete sachliche Kritik, sondern um ideologischen Widerstand gegen die unbequemen Nachrichten, die wir Klimaforscher leider verkünden müssen. Ich hätte auch lieber positive Neuigkeiten, zumal ich persönlich ein optimistischer und lebensfroher Mensch bin! Jeder Klimaexperte, der öffentlich vor den Folgen der globalen Erwärmung warnt, sieht sich teils unsäglicher Schmähkritik ausgesetzt, das gilt auch für vorbildliche und eher konservative Institutionen wie den Weltklimarat IPCC. Das muss man aushalten.

Warum begeben Sie sich überhaupt so weit in die öffentliche Debatte?

Als Wissenschaftler, zumal im öffentlichen Dienst, hat man eine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit. So wie Mediziner uns vor den Folgen des Rauchens warnen – was auch mancher nicht gerne hört –, müssen auch wir selbstverständlich die Menschen vor Gefahren warnen, wenn wir sie erkannt haben. Alles andere wäre unverantwortlich. Ich möchte mich später nicht vor meinen Enkeln rechtfertigen müssen, dass ich mich einfach weggeduckt habe, obwohl ich die Entwicklung kommen sah.

Seit August bereits ist es in Deutschland wärmer als üblich. Immer wieder dreht die Strömung in Mitteleuropa auf Südwest. Eines der jüngsten Ergebnisse der Klimaforschung besagt, dass Änderungen im Klimasystem wiederholt zu blockierenden Wetterlagen führen. Sind das Auswirkungen des Klimawandels?

Das Wettergeschehen ist von Natur aus sehr variabel, daher ist es schwierig, einen Zusammenhang von bestimmten Wetterlagen mit dem Klimawandel zu belegen. Andererseits ist die Klimaerwärmung infolge der hohen Treibhausgasmengen in der Atmosphäre eine Realität, die mit Sicherheit das ganze Wettergeschehen beeinflusst.

In der vergangenen Woche nun hat sich der Jetstream sogar bis Afrika verirrt. Verändern sich die Schwingungen in diesen atmosphärischen Windbändern?

Was besonders große Ausschläge im Jetstream angeht, zeigen die Wetterdaten ab 1950 tatsächlich eine Häufung solcher Ereignisse in den letzten zehn Jahren und es gibt physikalische Gründe für einen Zusammenhang mit der besonders starken Erwärmung der Arktis. Abschließend geklärt ist das aber noch nicht. Fakt ist, dass besonders große und anhaltende Schwingungen der Rossby-Wellen in der Atmosphäre zu Wetterextremen am Boden führen – das zeigen inzwischen eine ganze Reihe von Datenauswertungen übereinstimmend.

Unterm Strich ist in den letzten 15 Jahren aber keine nennenswerte weitere Erwärmung eingetreten. Das hatten die Klimamodelle so nicht abgebildet.

Das sehe ich nicht so. Der Erwärmungstrend in den letzten 15 Jahren, also seit 1999, beträgt im besten globalen Temperaturdatensatz 0,14 °C pro Jahrzehnt und ist damit nur unwesentlich geringer als der Langzeittrend ab 1980, der bei 0,18 Grad pro Jahrzehnt liegt. Solche Schwankungen in kurzfristigen Trends sind normal und haben unter anderem mit dem El-Niño-Phänomen im tropischen Pazifik zu tun – auch in den Klimamodellen ist das so. Selbst wenn man die Statistik mit dem extremsten El-Niño-Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen beginnt, nämlich 1998, beträgt der Erwärmungstrend immer noch 0,11 °C pro Jahrzehnt – aber das ist schon ein ganz besonders herausgepicktes Jahr, um einen möglichst geringen Trend zu erhalten. In allen Datensätzen der globalen Oberflächentemperatur waren 2010 das wärmste und 2005 das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.

Kritiker sagen, dass Klimamodelle nicht aussagekräftig sind, weil sie wesentliche – zum Teil noch unbekannte – Vorgänge im Erdsystem nicht beachten.

Modelle sind natürlich immer nur eine Annäherung an die Realität und können niemals alle Prozesse erfassen. Das müssen sie aber auch nicht – es geht darum, dass sie die wesentlichen Prozesse hinreichend genau beschreiben können. Dass sie das tun, sieht man daran, dass sie nicht nur den Klimaverlauf der vergangenen tausend Jahre recht gut wiedergeben können, sondern zum Beispiel auch Eiszeitzyklen und auch frühere Warmklimate der Erdgeschichte. Natürlich gibt es hier im Detail auch Diskrepanzen – daran wird weiter geforscht, und dabei lernen wir immer Neues und verbessern die Modelle.

Viele Experten erwarten für 2015 ein Rekordjahr in Sachen der globalen Durchschnittstemperatur – wegen eines starken El-Niño-Ereignisses. Nun wird die Meeresströmung zum Jahreswechsel voraussichtlich aber doch schwächer als erwartet. Wie lässt sich das erklären?

Die US-amerikanische Ozean-Atmosphären-Behörde NOAA erwartet schon für das Jahr 2014 wieder einen neuen globalen Temperaturrekord, obwohl wir dieses Jahr bislang noch keinen El Niño haben. Die Temperaturen sind in den letzten Monaten global wieder extrem hoch, so war der September der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Ob der El Niño noch in den nächsten Monaten kommt, muss man abwarten. El Niño ist ein hochgradig stochastisches Phänomen, also sehr unregelmäßig. Vorhersagen zu El Niño sind daher stets unsicher. Ich sehe nach wie vor eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass 2015 noch wärmer als 2014 werden und einen neuen Rekord setzen wird.

Warum ist die El-Niño-Strömung bereits so lange gering ausgefallen?

In den letzten drei Jahren herrschten eher kühle Bedingungen im tropischen Pazifik, die wir La Niña nennen. Gründe dafür kann man nicht klar benennen. Es herrschten besonders starke Passatwinde – das ist Teil des La-Niña-Mechanismus.

Die Forschung hat festgestellt, dass sich aktuell für das Klima bedeutsame Strömungen ändern. War das die Ursache für die häufig kalten und zum Teil langen Winter der vergangenen Jahre?

Eine Reihe von Studien, unter anderem auch aus unserem Institut, deuten darauf hin, dass der Eisschwund in der Arktis die Ausbildung eines Hochdruckgebiets über der Barentssee begünstigt, das dann kalte polare Luftmassen zu uns nach Europa lenkt. Diese Wetterlage ist in den letzten Wintern immer wieder aufgetreten und hat zu anhaltender Kälte bei uns geführt, während es dafür zum Beispiel in Grönland ungewöhnlich warm war.

Was bewirkt der Eintrag von Süßwasser durch die Eisschmelze in den Ozean? Müssen wir weiterhin fürchten, dass der Golfstrom ausbleiben könnte?

Die Sorge um eine Abschwächung des Nordatlantikstroms, unter anderem durch den Schmelzwassereintrag des immer rascher an Masse verlierenden grönländischen Eisschildes, ist nach wie vor aktuell. Auch der neue IPCC-Bericht bestätigt dies erneut und geht von einer deutlichen Abschwächung der Strömung in diesem Jahrhundert aus, wenn die globale Erwärmung nicht gestoppt wird.

Ist das Ziel, die Erwärmung auf zwei Grad über dem Beginn der Industrialisierung zu halten, überhaupt noch realistisch? Was, wenn nicht?

Die Begrenzung der globalen Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius ist nach wie vor möglich. Und wie der IPCC-Bericht zeigt, wäre der nötige weltweite Umbau des Energiesystems sogar sehr billig, als Normalbürger würde man das kaum spüren. Die größte Herausforderung dabei ist politisch – es mangelt an Entschlossenheit, das Problem wirklich anzupacken. Es gibt aber auch Hoffnungszeichen, vor allem durch den Siegeszug der erneuerbaren Energien. Immerhin hat die EU seit 1990 ihre CO2-Emissionen um fast 20 Prozent reduziert, während die Wirtschaft um rund 45 Prozent gewachsen ist.

Wie ist das Ziel noch zu erreichen?

Um unter zwei Grad zu bleiben, müsste in den kommenden Jahrzehnten ein kompletter Umstieg von fossiler auf klimafreundliche Energie gelingen. Wenn wir jetzt anfangen, müssen wir in rund 50 Jahren bei Nullemissionen ankommen. Fangen wir später an, wird der Spielraum immer geringer und der Umbau muss noch rascher passieren – und wird sicher deutlich teurer, wie auch der IPCC-Bericht feststellt. Es wäre also unverantwortlich, weiterhin zu zögern.

Zurzeit gewinnt die Anpassung an den Klimawandel gegenüber dem Klimaschutz in der öffentlichen Debatte an Bedeutung.

Anpassung und Klimaschutz sind ja nur die zwei Seiten derselben Medaille: ohne die Begrenzung der Erwärmung auf zwei Grad werden die Risiken der globalen Erwärmung unkalkulierbar, und geordnete Anpassung wird kaum noch möglich sein. Schon zwei Grad Erwärmung katapultieren uns weit aus dem klimatischen Erfahrungsbereich des Holozäns hinaus. Es gab in der menschlichen Zivilisationsgeschichte keine vergleichbare Erwärmung.

Ein wesentlicher Umbruch im Weltklimasystem wurde öffentlich kaum wahrgenommen:  das Kippen des Eisschildes in der Westantarktis. Wie brisant ist der Vorgang?

Der Eisverlust der Antarktis hat sich nach Satellitenmessungen in den letzten Jahrzehnten stark beschleunigt – man kann vielleicht nicht ausschließen, dass dies jetzt zufällig gerade zur Zeit der starken globalen Erwärmung passiert, aber ich halte einen Zusammenhang für sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz nachweisbar. Der Mensch hat Probleme damit, langfristige Entwicklungen angemessen wahrzunehmen. Wie ein Hirnforscher es kürzlich sagte: Unser Gehirn ist auf das Erkennen kurzfristiger Bedrohungen programmiert, wir können in Millisekunden einem Basketball ausweichen. Der Eisverlust der Antarktis wird sich aber über viele Jahrhunderte entfalten – dabei allerdings zu mehreren Metern Meeresspiegelanstieg und dem Verlust von Küstenstädten und tief liegenden Inseln führen. Da geht es um die Frage: Wie werden die folgenden Generationen unser Vermächtnis, unsere Entscheidungen von heute beurteilen? Ob uns das einfach egal ist, muss jeder selbst entscheiden.

Sind Sie angesichts des schleppenden Fortgangs der Klimaverhandlungen und des schwindenden öffentlichen Interesses am Thema bisweilen nicht auch etwas resigniert?

Sicher. Es gibt aber auch immer wieder Grund zu neuer Hoffnung. Auch wenn es noch nicht ausreicht, es passiert schon viel zum Klimaschutz. Wir befinden uns mitten in einem positiven gesellschaftlichen Wandel. Viele Menschen denken über ein gutes und nachhaltiges Leben nach, bei dem es nicht nur um mehr Konsum geht. Und immer mehr Menschen handeln auch danach.

Das Interview führte Jan Kixmüller

Stefan Rahmstorf (54) forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Der Ozeanograf ist Professor der Uni Potsdam und war einer der Leitautoren des Weltklimaberichts 2007.

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