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Homepage: Kampf um Anerkennung

Die Rolle der Künstlerin um 1900 war Gegenstand eines Workshops des Potsdamer Einstein Forums

Ein stattlicher Herr beugt sich zu einer Frau herab. Mit erhobenem Zeigefinger sagt er: „Sehen sie, Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen: die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent.“ Dies ist die Unterzeile einer Karikatur aus dem Jahr 1905. Sie stammt aus der Zeitschrift „Simplicissimus“ und beschreibt die Haltung, die viele Männer im frühen 20. Jahrhundert gegenüber Künstlerinnen einnahmen. Frauen, das war in Westeuropa unter Männern nahezu Konsens, waren zu ernsthaftem künstlerischem Schaffen kaum fähig. Schon gar nicht in der Malerei und Bildhauerei. Dass es damals aber eine Vielzahl äußerst begabter und professioneller Malerinnen gab, ist bis heute keineswegs allgemein bekannt.

Doch das Thema wird derzeit aktuell. So hat die Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main erst kürzlich den „Impressionistinnen“ eine Ausstellung gewidmet. Und das Potsdamer Einstein Forum veranstaltete vor wenigen Tagen einen wissenschaftlichen Workshop zur Geschichte der Professionalisierung junger Künstlerinnen. Passend dazu kuratiert die Potsdamer Kulturwissenschaftlerin Anna Havemann eine Ausstellung in den Räumen des Einstein Forums. Dort sind derzeit die expressionistischen Bilder von Sibylle Ascheberg von Bamberg zu sehen. Die Künstlerin, die von 1933 bis 1938 in Wilhelmshorst bei Potsdam lebte, musste für ihre Aufnahme in die Düsseldorfer Kunstgewerbeschule kämpfen. Dies geschah schließlich im Jahr 1906. Sie zählt damit einer Generation von Frauen, die gegen die Diskriminierung und Diffamierung weiblicher Kunst angearbeitet hat. Und wie viele Malerinnen hat sie nie die Anerkennung erfahren, die auch für mittelmäßige Maler selbstverständlich war.

Der Workshop näherte sich diesem schwierigen Thema ohne feministische oder ästhetische Scheuklappen. Es sei ein „neues Thema“, sagte die Berliner Kunsthistorikerin Carola Muysers. Sie meinte damit die nüchterne Aufarbeitung eines langen Konflikts um Emanzipation: erst im Jahr 1919 wurden Frauen zum Studium an der Berliner Kunstakademie zugelassen. Der deutschsprachige Raum war damit Schlusslicht in Europa. Doch auch im kunstsinnigen Paris hatten die Frauen zehn Jahre lang kämpfen müssen, bevor sie 1898 zu einer Künstlerausbildung zugelassen wurden. Zuvor hatten Frauen nur über äußerst kostspieligen Privatunterricht Zugang zu einer künstlerischen Ausbildung.

Im angehenden 20. Jahrhundert argumentierten die Männer ideologisch: männliche Professionalität stand gegen weiblichen Dilettantismus, genialische Kraft gegen weibliche Gefallsucht. Zudem galten viele Elemente des Kunststudiums als „unschicklich“ für Frauen. So wurden die „peinlich beengten Arbeitsbedingungen“ an den Hochschulen ins Feld geführt, erläuterte Carola Muysers. Die Anwesenheit von Frauen, so befürchteten die Studenten, würde die Männer vom Studium ablenken.

Eine Situation galt als besonders pikant: wie sollten die Frauen mit Aktmodellen umgehen? Frauen mit nackten Körpern zu konfrontieren war zu dieser Zeit in Europa undenkbar. Mehr als Portraitmalerei oder Stillleben wollte man ihnen keinesfalls zubilligen. Bildhauerei galt als zu anstrengend für Frauen. Anders als an der 1805 gegründeten „Pennsylvania Academy of Fine Arts“ in den USA, wusste Anna Havemann. Ihr Dissertationsprojekt, das am Institut für Anglistik/Amerikanistik der Uni Potsdam angesiedelt ist, handelt von dieser ungewöhnlich liberalen Kunstakademie. Deren Direktor, der realistische Maler Thomas Eakins, war der Meinung, dass die Frauen ihre „eigenen Tugendwächter“ sein müssten. Frauen waren schon seit 1844 in Pennsylvania zum Studium zugelassen. Falls die Frauen ein Aktmodell in ihrem Atelier haben sollten, riet er ihnen schlicht, die Tür abzuschließen. Eakins stürzte schließlich über seine freizügigen Ansichten: bei einer Sitzung hatte er einem Aktmodell den Lendenschurz abgenommen.

Im Europa des 20. Jahrhunderts war sich Sibylle Ascheberg von Bamberg der Kämpfe der Frauen um die Kunstakademien bewusst. Im Einstein Forum sind hauptsächlich Tuschezeichnungen und Ölbilder aus der Nachkriegszeit zu sehen (Am Neuen Markt 7). Ein Großteil der künstlerischen Produktion dieser unkonventionellen Frau fiel dem Krieg zum Opfer. Mit leuchtender, flächiger Farbwahl und deutlichen Konturierungen schloss die Künstlerin in der Nachkriegszeit an den expressionistischen Stil ihrer Jugend an. Besonders die Frauenfiguren sind beeindruckend: anziehend, geheimnisvoll und selbstbewusst blicken sie von den gelb gestrichenen Wänden herab. Sie wirken wie ein stiller Kommentar zu der Situation der weiblichen Malerei zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Bilder der bislang wenig beachteten Künstlerin scheinen ein Versprechen zu machen. Das Versprechen von später Anerkennung und einer besseren Zukunft. Mark Minnes

Mark Minnes

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