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Mischt sich ein. Julius Schoeps will die Forschung in gesellschaftliche Debatten einbringen.

© Manfred Thomas

JÜDISCHE STUDIEN: „Wir haben noch 100 Jahre vor uns“

Der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums, Professor Julius H. Schoeps, über freudige Erinnerungen, den Traum von der deutsch-jüdischen Symbiose und neue Spielarten des Antisemitismus

Herr Schoeps, 20 Jahre Moses Mendelssohn Zentrum, das ist eine stolze Zeit. Mit welchen Gefühlen blicken Sie zurück?  

Mit freudigen Erinnerungen, aber auch mit ein bisschen Wehmut. Die Anfänge, eine Phase, als hier in Brandenburg die neuen wissenschaftlichen Institutionen gegründet wurden, waren aufregend und fast ein bisschen abenteuerlich. Heute wäre es viel schwieriger, ein solches Zentrum wie das MMZ zu gründen.

Was stimmt Sie denn wehmütig?  

Heute ist eine gewisse Normalität eingekehrt. Ich selbst liebe aber mehr die Zeiten des Aufbruchs. Ich war ein halbes Leben lang damit beschäftigt, Institute, Museen und ähnliche Einrichtungen zu gründen und mitzugründen. Das hat mir immer großen Spaß gemacht. Aber danach und dazwischen kommen eben auch Jahre mit einer gewissen Routine, das ist natürlich etwas anderes als die aufregende Gründungsphase.

Haben Sie Ihre Ziele erreicht?  

Wir haben mehr erreicht, als wir uns jemals erträumt hatten. Das Mendelssohn-Zentrum hat sich weltweit einen guten Ruf erworben. In den vergangenen 20 Jahren haben wir 78 große Konferenzen organisiert, es sind über 300 Buchpublikationen erschienen. Ich schaue manchmal in die Regale unserer Bibliothek und staune, was wir alles zu Wege gebracht haben.

Sie sind damals von der Uni Duisburg nach Potsdam gekommen. War der Wechsel in den Osten richtig?  

Natürlich. Meine Familie stammt von hier. Mich hat immer die preußisch-jüdische Geschichte interessiert und fasziniert. Als ich dann die Gelegenheit bekam, ein Zentrum für europäisch-jüdische Studien zu gründen, war das im Grunde das, was ich mir erträumt hatte. Als mich Minister Enderlein damals fragte, ob ich Lust hätte nach Brandenburg zu kommen, um am Aufbau der zu gründenden Universität Potsdam mitzuwirken, habe ich sofort zugesagt.

War Potsdam für Sie die Rückkehr in die verlorene Heimat?  

Da spielten verschiedene Dinge eine Rolle. Meine Familie stammt aus der Mark. Mein Vorfahr Moses Mendelssohn, nach dem wir das Zentrum benannt haben, stammte aus Dessau und kam als Dreizehnjähriger zu Fuß nach Berlin. Potsdam war in meiner Familie kein Fremdwort. Mein Vater war ein Preußen-Historiker, durch dessen Erzählungen mir Brandenburg und seine Landschaft schon sehr früh vertraut gewesen sind.

Sie sind also angekommen?  

Anfang der 90er Jahre sind viele Wissenschaftler aus dem Westen nach Brandenburg gekommen. Aber von denen sind die meisten nicht mehr hier, nur wenige sind auf Dauer geblieben. Ich hatte nie Probleme mit der Region, im Gegenteil: Ich fand es aufregend hier zu arbeiten und wollte nirgendwo anders mehr hin.

Preußen ist in Bezug auf das deutsch-jüdische Verhältnis auch ein gewisses Reizwort.  

Die Legende besagt ja, dass Friederich II. Mendelssohn nach Potsdam bestellt habe. Am Stadttor sei er gefragt worden, womit er handelt. Mit Vernunft sei seine Antwort gewesen. Friedrich II. und Mendelssohn haben sich in Wirklichkeit aber wohl nie zu Gesicht bekommen. Es klingt vielleicht merkwürdig, aber in gewisser Weise ist es uns wohl posthum gelungen, die beiden zusammenzubringen. Ich schaue heute aus dem Fenster auf den Neuen Markt und den Kutschstall – ein legendärer Ort preußischer Geschichte.

Wie hat sich Potsdam in den 20 Jahren verändert.  

Als ich hier ankam, schien vieles farblos, ernst und verspannt. Da wirkte wohl der SED-Staat noch nach, selbst in den Köpfen unserer jungen Studenten. Aber von all dem ist heute kaum noch etwas zu spüren. Mittlerweile ist viel in Bewegung geraten, überall kreative Geister und spannende Projekte. Die Stadt brummt und pulsiert, und sie gehört zu jenen Orten im Osten, die eindeutig Erfolgsgeschichte schreiben. Ich freue mich, das so intensiv mitzuerleben, aber natürlich hat das auch alles seine Zeit gebraucht.

Der Antisemitismus bleibt in Deutschland trotz aller Bemühungen eine virulente Größe.  

Als der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus, dem ich angehört habe, unlängst im Bundestag seinen ersten Bericht vorgestellt hat, musste ich mich wundern. Denn als wir vortrugen, dass es 20 Prozent manifesten und 30 Prozent latenten Antisemitismus in der Bevölkerung gibt, habe ich bei den vielen anwesenden Journalisten in ungläubige Gesichter geschaut. Wobei das alles eigentlich schon seit den 80er Jahren bekannt war, das ist nichts wirklich Neues. Hinzu gekommen sind aber neue Spielarten des Antisemitismus, zum Beispiel der radikal-islamistische Antisemitismus, perfide Entlastungsstrategien und eine offensive Holocaustleugnung.

Sie haben einen Fokus auf Rechtsradikalismus gesetzt.

Wir haben dazu eine ganze Abteilung ins Leben gerufen. Die beschäftigt sich vor allem auch mit Fragen der Prävention und frühzeitigen Intervention. Die erstellten Studien sind für die Politikberatung geeignet, vor Ort, aber auch im allgemeinen Rahmen und in der Bildungspolitik. Die Politiker könnten davon wesentlich mehr Gebrauch machen, aber wir können nicht mehr tun, als unsere Ergebnisse anbieten.

Sie waren der erste, der vor vielen Jahren von einer Berlin-Potsdam weiten Fakultät für Jüdische Studien sprach. Nun bekommen wir ein länderübergreifendes Zentrum für Jüdische Studien und vielleicht auch eine Fakultät für jüdische Theologie an der Uni Potsdam.

Das sind zwei verschiedene Angelegenheiten. Einmal das Zentrum für jüdische Studien Berlin-Brandenburg, das von den Universitäten der Region und dem Moses Mendelssohn Zentrum und dem Abraham Geiger Kolleg getragen wird. Das scheint auf einem guten Weg zu sein. Das andere Projekt, die Fakultät für jüdische Theologie, ist ein Projekt in Planung. Wir haben eine solche Fakultät vor über zehn Jahren bereits gefordert. Damals war die Zeit aber offensichtlich noch nicht reif. Heute sieht das anders aus, ich gebe der Sache eine gewisse Chance. Die Universität Potsdam will die Fakultät. Aber es bedarf auch einer klaren politischen Entscheidung des Landes. In der Sache halte ich es mit dem alten Hegel: Die Organisation ist der Inbegriff des Vernünftigen. Jetzt kommt es darauf an, die notwendigen Strukturen zu schaffen. Im Moment sehe ich sie noch nicht.

Das Abraham-Geiger-Kolleg hat mit dem Wegzug gedroht, falls diese Strukturen nicht geschaffen werden.

In Thüringen wurde der politische Wille für so eine Fakultät ganz deutlich artikuliert, im Gegensatz zu Brandenburg. Ich würde es sehr bedauern, wenn das Geiger-Kolleg tatsächlich abwandert. Und deshalb hoffe ich, wir finden schnell auch zu einer Formel für Brandenburg.

Das Mendelssohn-Zentrum wird uns aber erhalten bleiben?

Selbstverständlich bleiben wir hier. Bei den Juden pflegt man zu sagen: „auf dass du 120 Jahre alt wirst!“ Wir haben also noch 100 Jahre vor uns – in Potsdam.

Steht das MMZ dafür auf soliden Füßen?

Wir haben einen auskömmlichen Landesetat und wir haben ein hohes Drittmittelaufkommen, das sich im Vergleich zu anderen Institutionen sehen lassen kann. Jedes Projekt ist anders, für nahezu jedes Vorhaben beantragen wir Drittmittel.

Neben dem MMZ und der Mendelssohn Akademie in Halberstadt gibt es auch eine Mendelssohn-Stiftung.

Wir haben die Mendelssohn-Stiftung gegründet, die das Potsdamer MMZ und die Mendelssohn-Akademie in Halberstadt unterstützt. Die Stiftung baut daneben auch deutschlandweit Studentenwohnheime. Als nächstes eröffnen wir ein Wohnheim in Hamburg, benannt nach Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, dem Enkel des Komponisten, der in Hamburg ein bedeutender Jurist und Politikwissenschaftler war. Die Nazis hatten ihn 1933 aus der Uni verjagt. Wir wollen mit der Namensgebung eine neue Form des Gedenkens entwickeln. Auch in Frankfurt, Mainz und Darmstadt entstehen neue Studentenwohnheime, die nach Persönlichkeiten der deutsch-jüdischen Geschichte benannt werden.

Vor fünf Jahren wurden Sie emeritiert. Bleiben Sie weiter Direktor des MMZ?

So ich bei guter Gesundheit bleibe, möchte ich diese Aufgabe auch weiterhin wahrnehmen. Ich träume davon, dass eine Fakultät für Jüdische Studien oder Jüdischer Theologie an der Potsdamer Universität entsteht, in der unser Zentrum stärker angebunden ist. Das MMZ wird aber weiterhin seine Eigenständigkeit behalten. Denn wir legen Wert auf unser zivilgesellschaftliches Mandat. Das halte ich für sehr wichtig: Wir mischen uns dort ein, wo unser Forschungsinteresse und unsere Forschungsergebnisse auch gesamtgesellschaftliche Probleme und Fragen tangieren, zum Beispiel beim Rechtsextremismus, bei der jüdischen Zuwanderung und natürlich bei diversen Versuchen, Geschichte zu verdrängen oder umzudeuten.

Ihr Thema war immer auch die deutsch-jüdische Symbiose. Wie steht es heute darum?

Das ist bedauerlicherweise Geschichte, der Traum von der deutsch-jüdischen Symbiose ist ein Traum geblieben. Was wir tun können, ist zu vermitteln, was die deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte eigentlich war, nämlich integraler Bestandteil der deutschen Geschichte. Das ist die Botschaft, um die es uns geht. Es ist eine Botschaft, die nicht einfach rüberzubringen ist, es gibt dabei auch Rückschläge. Neue Generationen wachsen heran, denen das Thema fremd ist. Manchmal reibt man sich da verwundert die Augen.

Entsteht ein neues deutsches Judentum, aus den Einwanderern aus Osteuropa?

Ja, das ist durchaus denkbar. Aber das hat dann nichts mehr mit dem deutschen Judentum vor 1933 zu tun. Die werden vielleicht weniger an Börne und Heine, Schiller und Goethe, Uhland und Hauff interessiert sein, sondern mehr an Gogol und Dostojewski. Das ist der Gang der Zeiten. Das deutsche Judentum existiert nicht mehr. Ich sehe mich deshalb in dieser Hinsicht heute – gemeinsam mit einigen Freunden und Mitstreitern – eher als eine Art Nachlassverwalter.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Julius Schoeps (69) kam während des Exils seiner Eltern in Schweden zur Welt. Sein Vater war der Religionsphilosoph und Historiker Hans-Joachim Schoeps (1909–1980).

Von 1974 bis 1991 war Schoeps Professor für Politische Wissenschaft an der Universität/Gesamthochschule Duisburg, von 1991 bis 1994 Mitglied des Gründungssenats der Universität Potsdam. Von 1991 bis 2007 hatte er die Professur für Neuere Geschichte (Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte) an der Uni Potsdam inne.

Seit 1992 ist Schoeps Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien (MMZ), einem An-Institut der Potsdamer Uni. PNN

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