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Mit Tradition. Der Potsdamer Telegrafenberg hat eine reiche Forschungsgeschichte. Dort, wo heute die Institute ihr 25-jähriges Jubiläum feiern, begann vor 140 Jahren die Vermessung der Erde, vor 125 Jahren wurde hier das Königlich-Preußische Geodätische Institut eröffnet. Der Große Refraktor (Foto), ehemals zur Himmelsbeobachtung errichtet, wurde in diesem Sommer nach einer Renovierung wiedereröffnet.

© A. Klaer

Jahresrückblick 2017: Großer Knall und große Pläne

Indirekter Nobelpreis, eine neue Digital-Fakultät, ein Masterplan für Golm und die kritische Betrachtung der Zeit des Populismus.

Der große Knall kam aus dem All. In diesem Jahr wurde nun endlich die Leistung der Forscher, die 2015 erstmals eine Gravitationswelle gemessen hatten, mit dem Nobelpreise gewürdigt – was eigentlich bereits im vergangenen Jahr erwartet worden war. Und dass der Nobelpreis für Physik an die Ligo-Forscher in den USA ging, war indirekt auch eine Auszeichnung für die Forschungsarbeit des Golmer Albert-Einstein-Instituts (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik). Jetzt reißt die neu entstehende Zunft der Gravitationswellenforscher das Fenster in das Universum ganz weit auf: Mit Hilfe der Signale aus den Tiefen des Weltalls werden wir vielleicht bald schon wissen, woher das unbekannte Gefüge, in dem wir leben, kommt, wie es entstanden und beschaffen ist – und ob es womöglich nur eines von vielen Multiversen ist. Auch beginnt auf dieser Grundlage nun die sogenannte Multimessenger-Astronomie: Neutronensterne werden mit den Gravitationswellendetektoren beobachtet, diese benachrichtigen daraufhin andere Teleskope, die zur Beobachtung entsprechend ausgerichtet werden. Ohne die Vorarbeit und begleitende Forschung der Potsdamer Einstein-Forscher wäre diese wissenschaftliche Sensation, die letztlich Einsteins Relativitätstheorie bestätigt hat, kaum möglich gewesen. Also auch ein Riesenerfolg für Potsdam. Der dann noch kurz vor Jahresfrist durch den wichtigsten deutschen Forschungspreis für die Golmer Gravitationsforscherin Allessandra Bunanno multipliziert wurde.

Damit lag die Messlatte für wissenschaftliche Leistungen aus Potsdam 2017 natürlich erst einmal recht hoch. Doch es lohnt auch der Blick ins Detail, ins Tagwerk und die jüngere Zeitgeschichte. Sind doch zahlreiche der außeruniversitären Forschungsinstitute, die nach der Wende um die neu entstandene Universität errichtet wurden, um dieser den nötigen Forschungshintergrund zu geben, in diesem Jahr 25 Jahre alt geworden. Darunter mittlerweile weltweit renommierte Einrichtungen wie das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ), das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DIfE) und das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP eröffnete in seinem 25. Jahr ein Leistungszentrum „Integration biologischer und physikalisch-chemischer Materialfunktionen“, das die Fertigung von Produkten mit integrierten Materialfunktionen in möglichst wenigen Prozessschritten zum Ziel hat. Dem Alfred-Wegener-Institut war mit der Errichtung einer Zweigstelle in Potsdam vor 25 Jahren nach eigenen Worten die „Wiedervereinigung der deutschen Polarforschung“ geglückt – ein Grund mehr, in diesem Jahr mit einem neuen Erweiterungsbau auf dem Telegrafenberg in die Zukunft voranzuschreiten.

Am Griebnitzsee sollen digitale Innovationen die Medizin revolutionieren

Die Zukunft wird nun verstärkt auch am Uni-Standort Griebnitzsee angepeilt. Das dortige Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik wurde in diesem Jahr zum Fundament für eine neue Fakultät an der Universität Potsdam. Die Digital-Engineering-Fakultät ist für Potsdams Alma Mater die sechste – und für Deutschland ein Novum. Das Hochschulmodell ist bundesweit einmalig: Denn die Einrichtung einer staatlichen Hochschule wird zu 100 Prozent privat von der Hasso-Plattner-Stiftung finanziert. Möglich wurde das durch eine neue Regelung im Landeshochschulgesetz, die in Zukunft ein ähnliches Modell in Brandenburg für die Gesundheitsforschung möglich machen soll (siehe Text rechts). Zum Jahresende dann wurde Stifter Hasso Plattner, mittlerweile auch Potsdamer Ehrenbürger, mit dem renommierten Werner-von-Siemens-Ring ausgezeichnet.

Aufgenommen hat die Fakultät ihren Betrieb unter anderem auch mit dem Aufbau eines Digital Health Centers: Mobile Anwendungen, IT-Systeme mit künstlicher Intelligenz und Datenlösungen sollen im Gesundheitsbereich Innovationen schaffen. Dafür gelang es im Spätsommer, den weltweit renommierten Spitzenforscher Erwin Böttinger vom Berlin Institute of Health abzuwerben. Ein weiterer Gewinn an Köpfen für die kleine, aber immer stärker werdende Hochschul- und Forschungsstadt Potsdam am Rande des großen Wissenschafts-Kolosses Berlin. Aber Abschottung ist dabei keineswegs das Ziel: In den Verknüpfungen und Synergien sieht neben anderen gerade auch Uni-Chef Oliver Günther eine gedeihliche Zukunft: Ein gutes Beispiel dafür war dann sicherlich auch die Beteiligung der Potsdamer Uni am Deutschen „Internet-Institut für die vernetzte Gesellschaft“, zusammen mit Berliner Forschungseinrichtungen sollen hier die gesellschaftlichen Folgen des digitalen Wandels untersucht werden.

Aber auch die anderen Uni-Standorte in Potsdam werden nun eifrig gepusht. Für den Standort Golm, der mittlerweile zu Brandenburgs wichtigstem Technologiestandort herangewachsen ist, wurde von Land, Forschern und Stadt eine Roadmap aufgesetzt, die Uni wird in den nächsten Jahren Millionenmittel aus der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ in den Standort pumpen, ein weiteres Gründerzentrum soll entstehen und ein größeres forschungsnahes Unternehmen sich ansiedeln.

Bei so viel Wachstum und Zukunft darf natürlich auch die Wissenschaft als solche nicht aus dem Blick geraten, die Diskussionskultur, das Annähern an Thesen und Erkenntnisse – Analyse, Bewertung und kritische Reflexion von Evidenz und Fakten. Und natürlich auch, was diesen Erkenntnisprozess bedroht. Uni-Präsident Günther gehörte zu den ersten, die vor den Folgen von Populismus und Postfaktizismus gewarnt hatten. Im abgelaufenen Jahr nun brachte das Forscher weltweit zum „March of Science“ auf die Straße. Und auch in Potsdam waren die Themen Fake News, Lügen und Verschwörungen immer wieder im Fokus der Forschung, sei es im Einstein Forum, an der Universität oder bei den Naturwissenschaften.

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