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Interview: „Überlegen, was noch möglich ist“

Die Politologin Eva Kuhn erklärt im PNN-Intervie die Zukunft der Peripherie.

Frau Kuhn, welche Folgen hat der Bevölkerungsrückgang auf dem Land?

In schrumpfenden Gebieten kann die Versorgung nicht so bleiben, wie sie ist. Durch den Rückgang der Bevölkerung verschlechtert sich dort die Versorgungslage. Entweder steigen die Pro-Kopf-Kosten bei den netzgebundenen Infrastrukturen wie Energie und Wasser oder Schulen und Arztpraxen schließen ganz.

Das Grundgesetz fordert Gleichwertigkeit von Stadt und Land.

Das Hochhalten der Gleichwertigkeit wirkt sich in diesen Gebieten oft kontraproduktiv aus, weil es Versorgungsstandards vorgaukelt, die oft nicht mehr zu erreichen sind. Man muss sich stattdessen für die Zukunft überlegen, welche Versorgung noch wie geleistet werden kann, ohne dass unsere wirtschaftlichen Grundlagen über die Maße strapaziert werden.

Eva Kuhn

(30) war von November 2011 bis September 2013 als Forschungs-Fellow am IASS beschäftigt. Die Politologin gehört zu den Autoren der aktuellen Studie zum Bevölkerungsrückgang.

Sollte man in schrumpfenden Gegenden investieren?

Aufbau macht dort nur Sinn, wenn leer laufende Gebiete eine konkrete Perspektive haben, etwa Windenergieparks, Naturschutz oder Tourismus. Das ist aber nicht überall möglich. Solche Projekte sind für die Gesamtgesellschaft ein Gewinn, können aber die Infrastrukturprobleme nicht unbedingt lösen. Dazu wird eine ganz andere Herangehensweise gebraucht: etwa Experimentierklauseln oder die Überprüfung, welche technischen Entwicklungen langfristig besser sind.

Zum Beispiel?

Dezentrale Kleinkläranlagen sind im ländlichen Raum oft besser. Sie werden aber von geltenden Regeln, dem Anschluss- und Benutzungszwang, verhindert. Auch sind Demografiechecks auf allen Ebenen nötig, um Investitionsentscheidungen zu überprüfen. Man sollte etwa keine Straßen bauen, die nicht gebraucht werden, nur weil Geld dafür da ist. In Zukunft müssen hier ohnehin Prioritäten gesetzt werden. Deutsche Straßen haben jetzt bereits einen Finanzierungsstau von 4,7 Milliarden Euro.

Sie meinen auch, dass Standards verändert werden sollten.

Wir haben in Deutschland sehr hohe Standards. So dürfen beispielsweise medizinische Untersuchungen in der Regel nur von einem Arzt vorgenommen werden, Transportmittel brauchen eine Lizenz nach Personenbeförderungsgesetz, Schulunterricht darf nur in Schulgebäuden vorgenommen werden. Hier können und müssen Alternativen geschaffen werden. Beim Mangel an Allgemeinärzten könnten Praxisassistenten einen Teil der Routineuntersuchungen übernehmen, gerade auch bei Hausbesuchen. Dafür müsste aber die Zulassung ausgeweitet werden. Ein anderes Beispiel: Bushaltestellen sind für ältere Menschen meist zu weit entfernt. Das könnte ein privater Personenverkehr verbessern. Der wird aber durch Regelungen des Personenbeförderungsgesetzes verhindert.

Die Fragen stellte Jan Kixmüller

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