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Interview mit "Weissensee"-Star Jörg Hartmann: „Für mich war die DDR weiter weg als China“

Jörg Hartmann über die dritte Staffel „Weissensee“, seine Rolle als Stasi-Offizier Falk Kupfer und warum er in Potsdam angebrüllt wird.

Herr Hartmann, am Dienstag startet im Ersten die dritte Staffel der Fernsehserie „Weissensee“. Sechs weitere Folgen über das Leben der Familien Kupfer und Hausmann im Ost-Berlin der achtziger Jahre. Mittlerweile sind Sie am Mauerfall angelangt. Wie lange wird es noch weitergehen?

Das Ende der dritten Staffel ist so gestaltet, dass ich mir eine vierte gut vorstellen kann. Man muss natürlich aufpassen, das Format nicht zu sehr auszulutschen. Aber die ersten Jahre nach dem Mauerfall, diese Wildostzeit, in der keiner so recht wusste, wer für was verantwortlich war – ja, das kann funktionieren.

Für Ihre Darstellung des skrupellosen Stasi-Offiziers Falk Kupfer sind Sie 2011 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden. Kann so eine Figur in der Nachwendezeit glaubhaft überleben?

Dafür müssen Sie Kontinuität wahren und dennoch neue Facetten entdecken. Wenn ich drei Staffeln lang immer gleich spiele, langweile ich mich ja selbst. Ich empfände es aber genauso als Verrat oder Verarschung, auf einmal zu sagen: Der wird jetzt ein netter Kerl. Nein! Man muss bei aller Sehnsucht nach der menschlichen Seite weiterhin den Mut haben, das Bestialische zu zeigen. Falk ist machtgeil und glaubt doch an die Sache. Einer, für den das Leben in Hierarchien wichtig ist. Mit dem Konsensgelaber nach der Wende kann so einer nichts anfangen. Er muss sich seine Nischen suchen, wo ähnliche Hierarchien herrschen. Machen wir uns nichts vor, die gibt es im Turbokapitalismus auch.

Haben Sie als Heranwachsender im tiefen Westen viel von der DDR mitbekommen?

Wir hatten weder Verwandte noch Freunde im Osten. In der Schule ist die DDR kaum behandelt worden, das empfinde ich im Nachhinein als beschämend und absurd. 1984 bin ich mit einem Kumpel zum ersten Mal nach Berlin, aber richtig los ging das erst nach dem 9. November, da war ich wie elektrisiert und musste sofort hin. Es war, als würde plötzlich ein Vorhang aufgezogen – zum Vorschein kam etwas, was dort niemand erwartet hätte. Für mich war die DDR doch weiter weg als China. In meinem Leben schien alles festgezurrt, bis es in die Kiste geht. Und auf einmal war alles möglich.

In der dritten Staffel geht es um genau diese ersten Wochen und Monate nach dem Mauerfall. Sie können das erste Mal mit Ihren Kollegen aus der früheren DDR mitreden. Sie waren auch dabei.

Auch für mich persönlich fiel in diese Zeit ein Aufbruch. Nach dem Zivildienst fing ich an, bei Schauspielschulen vorzusprechen, das zog sich hin bis ins Frühjahr 1990. Zwischendurch war ich immer mal wieder in Berlin. Beim Drehen habe ich diese Phase bewusst noch einmal erlebt, diesmal von der anderen Seite.

In „Weissensee“ sind die Rollen nach dem Fall der Mauer nicht mehr so klar verteilt. Auch in der Berliner Künstlerszene hatte die Stasi viele Zuträger.

Leute, die von Offizieren wie Falk Kupfer eingeschleust wurden. Da wird man in der dritten Staffel einen Schock erleben. Schwarz und Weiß gibt es ganz selten.

War Ihnen diese Gemengelage in der Anarchie der frühen Nachwendezeit bewusst?

Kaum. Es ist ja kein Zufall, dass viele Filme oder Bücher zu diesem Thema mit dem Mauerfall enden. Beinahe so, als wäre die Geschichte vorbei. Dabei ging sie jetzt erst richtig los! Diese Interimszeit mit einer staatlich tolerierten Anarchie finde ich im Rückblick viel spannender. Ich muss aber auch zugeben, dass ich das damals nicht so empfunden habe.

Die entscheidenden Momente der Weltgeschichte waren vorbei.

Ich war Anfang zwanzig, und für den Runden Tisch habe ich mich nicht weiter interessiert. Nach den Riesendemos und dem Mauerfall kam mir das alles piefig und kleinteilig vor. Im Rückblick sehe ich, wie ungerecht das war. Und wie dramatisch sich die Dinge veränderten für all die mutigen Leute aus der Bürgerrechtsbewegung. Die haben das Regime zu Fall gebracht, aber sie wollten keine Parteipolitik machen, und der Westen hatte ja alles pfannenfertig im Angebot. So wie die Leute in die Baumärkte gegangen sind und ihren, in Anführungsstrichen, alten Plunder rausgeworfen haben, haben sie sich auch nicht mehr für das Neue Forum oder den Demokratischen Aufbruch interessiert. Gegen Kohl und seinen Apparat hatten die Bürgerrechtler keine Chance.

Auch die SED hat schnell und erstaunlich gut die Kurve bekommen.

Und alle Schuld auf die Staatssicherheit abgeladen. Als Falk Kupfer muss ich mich ja irgendwie mit diesem Laden identifizieren, und wissen Sie was? Da werde ich richtig sauer, wenn ich merke, wie die Partei mich verarscht! Wie die SED-ler nichts mehr mit denen zu tun haben wollen und die Stasi auf ihre Rolle als Staat im Staat reduzieren, Schild und Schwert der Partei. Ja, das ist ein hochkomplexes Thema, aber wir wollen doch mal festhalten: In erster Linie hat die Stasi das gemacht, was die obersten Bonzen wollten.

Mit nicht ganz so feinen Mitteln.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nichts rechtfertigen. Ja, da gab es den Teil der Staatssicherheit, für den wir in „Weissensee“ stehen: die Hauptabteilung XX, die Kirche und Kultur infiltrierte und das eigene Volk ausspionierte. Alles nicht zu tolerieren und zu akzeptieren. Aber andere haben gemacht, was andere Staaten auch machten. Und da war die Stasi so gut, dass sie immer noch Vorbild für andere Geheimdienste ist. Sie merken schon, da blitzt ein bisschen von der Bewunderung auf, die ich als Falk Kupfer haben muss.

Welchen Weg wird Falk Kupfer nach der Wende einschlagen?

Für Falk ist der Mauerfall natürlich ein Schock, auch weil er merkt, dass die Partei ihn im Stich lässt. Erst kommt Wut auf, dann kämpft er, aber nicht mehr für die Partei. Für den Moment mag es mit dem Sozialismus vorbei sein. Aber in seinen Augen bedeutet das nicht, dass es nicht irgendwann eine neue Chance gibt.

Glaubt der Mann wirklich an den Sozialismus? Er lebt in einer Villa am See, unter Bedingungen, die mit dem real existierenden Sozialismus nichts zu tun haben.

Ich will diesen Leuten nicht ihren Glauben an den Sozialismus absprechen, auch wenn sie leben wie Gott in Frankreich. So viel Selbstreflexion ist da nicht. Falk Kupfer hat Privilegien, aber was zählen die schon? Er arbeitet von früh bis spät und schont sich so wenig wie andere. Das ist kein Leben in Saus und Braus. Der Genosse Generalsekretär hat doch in Wandlitz in einer Hütte gewohnt, das war doch pillepalle! Wahrscheinlich war das Volk auch deswegen so enttäuscht. Ein bisschen mehr Stil hätten sie schon erwartet.

Falk Kupfer residiert in einem Büro, wie es heute manchem Vorstandsvorsitzenden gut zu Gesicht stehen würde.

Da sind wir in einem Detail mal nicht historisch korrekt. Dieses Büro war das von Erich Mielke, kein anderer hatte so eins, das war auch in der Stasi-Zentrale alles viel popliger. Falk hat keinen Trabi, sondern einen Wartburg. Das ist für ihn nicht entscheidend. Er glaubt an seinen Sozialismus, und wenn alle um ihn herum schlappmachen, muss er es allein durchziehen. Wenn jetzt ein anderer Geheimdienst kommt und er seine Fähigkeiten jetzt endlich mal auf Weltniveau einsetzen könnte – das würde ihn schon reizen!

Sie wohnen seit zwölf Jahren in Potsdam …

… wo es mehr Hundertfünfzigprozentige gab als zum Beispiel in Ost-Berlin.

Gehen Sie manchmal durch Potsdam und denken sich bei älteren Männern, die Ihnen begegnen: Der war früher vielleicht Hauptmann oder General?

Ich glaube, so etwas kann man einem Menschen nicht ansehen. Was ich aber sehr wohl heraushöre, ist ein gewisser Ton. Neulich bin ich mit dem Fahrrad verkehrt herum in einer Einbahnstraße gefahren, da brüllt sofort einer: ,Dit is ne Einbahnstraße, du Arsch!‘ Mal abgesehen davon, dass die Einbahnregelung für Fahrradfahrer in dieser Straße aufgehoben war: Was ist denn das für ein Ton?

Der alte Abschnittsbevollmächtigtenton.

Viele müssen ihre Mitmenschen offenbar darauf aufmerksam machen, dass sie vermeintliche Regeln nicht befolgen. Das heißt nicht, dass ich gegen Regeln bin. Aber dieses andauernde Bedürfnis, andere erziehen zu wollen, und dabei meistens noch im Unrecht zu sein – das nervt!

Das ist in Brandenburg stärker ausgeprägt als dort, wo Sie aufgewachsen sind?

Ja, ein klares Ja! In Westfalen oder im Ruhrpott sind die Leute nicht so. Aber was heißt schon: die Leute? Das ist ein Allgemeinplatz, da fühlt sich jeder Potsdamer oder Brandenburger zu Recht beleidigt. Lassen Sie es mich so sagen: Es passiert einem hier etwas häufiger.

Jörg Hartmann, 46, hat für seine Rolle als Stasi-Offizier Falk Kupfer in „Weissensee“ 2011 den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Bester Schauspieler“ gewonnen. Am Dienstag startet die dritte Staffel der ARD-Serie, die sechs Folgen werden an drei Tagen hintereinander als Doppelfolge gezeigt, jeweils ab 20 Uhr 15 im Ersten. Hartmann spielt auch den Kommissar Faber im Dortmunder "Tatort".

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