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Interview mit Klima-Ökonom Edenhofer aus Potsdam: "Wir bestimmen heute die Welt von morgen"

Der Potsdamer Klima-Ökonom Ottmar Edenhöfer sprach im Vatikan. Er schlägt eine Kohlesteuer für das Klima und gegen Armut vor. Eine Steuerreform und ein CO2-Preis könnten eine nachhaltigere und gerechtere Welt schaffen.

Herr Edenhofer, auf dem G-7-Gipfel im Juni wurde das Zwei-Grad-Ziel für den Klimaschutz einmal mehr bekräftigt. Wie realistisch ist diese Zielsetzung denn überhaupt noch?

Wir sind derzeit auf einem Pfad, der weit entfernt von jedem ambitionierten Klimaschutzziel ist. Es wird sehr schwer, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Die aktuelle Renaissance der Kohle lässt die Kohlendioxid-Emissionen jährlich mit zunehmender Geschwindigkeit steigen. Für das Zwei-Grad-Ziel müssen wir bis 2050 die Emissionen um 40 bis 70 Prozent reduzieren und sie danach komplett absenken. Am Ende des Jahrhunderts bräuchten wir dann negative Emissionen. Diese würden den großflächigen Anbau von Biomasse für Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung beziehungsweise großflächige Aufforstung bedeuten. Selbst ein Drei-Grad-Ziel aber verlangt noch ein fundamentales Abweichen von der aktuellen Kohlenstoffnutzung und wir brauchen am Ende des Jahrhunderts zumindest eine kohlenstofffreie Weltwirtschaft.

Würden wir in einer drei Grad wärmeren Welt leben können?

Das Risiko des gefährlichen Klimawandels steigt bei einem Drei-Grad-Szenario deutlich, der Anpassungsdruck für die Entwicklungsländer steigt. Aber auch bei einem Drei-Grad-Ziel müssten wir die Weltwirtschaft bis zum Ende des Jahrhunderts dekarbonisieren. Das Zwei-Grad-Ziel mindert den Anpassungsdruck für die Armen, stellt aber für die reichen Länder eine größere Herausforderung dar: Wir dürfen nur noch etwa 1000 Gigatonnen Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre emittieren. Die Emissionen, die wir heute in der Atmosphäre ablagern, bestimmen auf irreversible Weise das künftige Klima, die Folgen des Klimawandels werden dann vor allem in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts spürbar. Wenn die 1000 Gigatonnen erst einmal in der Atmosphäre sind, hat die Menschheit nur noch zwei Optionen: negative Emissionen oder Geo-Engineering. Vermeidungsstrategien bezüglich der Klimafolgen sind dann nicht mehr realisierbar. So gesehen ist das Zwei-Grad-Ziel Ausdruck eines Vorsichtsprinzips.

Bedeutet es nicht Stillstand, wenn man immer nur vorsichtig ist?

Wer bei starkem Nebel auf der Autobahn langsam fährt, kommt schneller ans Ziel. Brettert er mit 180, steigt das Risiko, dass er überhaupt nicht ankommt. Gerade weil der einmal eingetretene Temperaturanstieg nicht mehr zurückgedreht werden kann, ist das Vorsichtsprinzip sinnvoll. Wir müssten ansonsten mit Folgen leben, von denen wir nicht wissen, ob sie für die Schwächsten zu moralisch akzeptablen Kosten tragbar sind. Das Zwei-Grad-Ziel ist ein Gebot der Klugheit und der Gerechtigkeit angesichts irreversibler Gefahren.

Wie sind negative Emissionen überhaupt zu erreichen?

Negative Emissionen könnten wir zum Beispiel dadurch erreichen, dass wir nachhaltig gewonnene Biomasse für die Stromgewinnung nutzen, die somit als fast CO2-neutral betrachtet werden kann. Die CO2-Bilanz wird negativ, wenn wir an den Kraftwerken das CO2 außerdem abfangen und im Untergrund speichern, das Verfahren ist als CCS bekannt. Damit könnte die Menschheit der Atmosphäre zum Ende des Jahrhunderts bis zu 20 Gigatonnen CO2 pro Jahr entziehen.

Die Verfahren für negative Emissionen sind recht umstritten.

Bei der Transformation der Energiesysteme müssen wir Risiken in Kauf nehmen. Der Weltklimarat IPCC hat viele der Unsicherheiten, die damit einhergehen, untersucht und die Risiken benannt. So ist noch offen, wie viel landwirtschaftlicher Boden zur Erzeugung von Biomasse zur Verfügung steht, ohne dass es zu Konflikten mit der Nahrungsmittelproduktion kommt oder wie groß der technische Fortschritt in der Agrarproduktion sein wird. Auch muss verhindert werden, dass Wälder zuerst abgeholzt werden, um dann Plantagen anzubauen, um am CO2-Markt damit Geld zu verdienen. Und schließlich darf das nicht über die Köpfe der Menschen hinweg umgesetzt werden.

Was wäre ohne negative Emissionen?

Dann steigt das Risiko beträchtlich, dass wir das Zwei-Grad-Ziel nicht mehr erreichen. Wir müssten nun also eine vernünftige Debatte darüber führen, wie sich die Risiken einer Erwärmung von drei Grad gegenüber den Risiken der negativen Emissionen darstellen. Der fundamentale Unterschied besteht darin, dass die Risiken bei der Nutzung der Biomasse in Verbindung mit CCS reversibel sind, die Risiken einer höheren Erwärmung hingegen sind irreversibel. Vermeidung ist nicht ohne Risiken möglich. Fehler bei der Bioenergienutzung oder bei der Aufforstung sind korrigierbar. Die kumulative Menge des Kohlendioxids, die wir nun in der Atmosphäre abladen und die sich daraus ergebenden Folgen sind nicht mehr korrigierbar.

Sie setzen also weiter auf die unterirdische CO2-Einlagerung des CCS-Verfahrens?

Wir haben noch Platz für etwa 1000 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre, aber es stecken noch rund 15 000 Gigatonnen an fossilen Ressourcen und Reserven in der Erde. Wir gehen davon aus, dass selbst beim Einsatz von CCS bis zum Ende des Jahrhunderts die Nutzung der Kohle ungefähr um zwei Drittel, und die des Öls sowie des Erdgases um ein Drittel verringert werden müssten. Ohne CCS wären es sogar knapp 90 Prozent weniger bei der Kohle und fast zwei Drittel jeweils bei Öl und Gas. Mit anderen Worten: CCS ist eine Option, die den Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft verzögert. Es ist eine kosteneffektive Option, um Zeit zu kaufen. Aber wir benötigen angesichts der enormen Herausforderung diesen Zeitgewinn. Diese Transformation wird aber nur möglich, wenn die Knappheit der Atmosphäre in einem Preis für CO2 reflektiert wird. Ein CO2-Preis ist eine notwendige Bedingung für den Einstieg in eine effektive Klimapolitik.

Wie bringt man die Weltwirtschaft zu einem CO2-Preis?

Der erste Schritt: Wir müssen die Subventionen für fossile Energieträger abschaffen. Immerhin verschwenden wir 548 Milliarden US-Dollar jährlich mit der Subventionierung von Kohle, Öl und Gas. Gegen die Abschaffung dieser Subventionen wird immer wieder eingewandt, dass die ärmeren Haushalte dadurch überproportional belastet werden. In vielen Entwicklungsländern ist dies jedoch nicht der Fall, weil der Konsum der Haushalte mit niedrigem Einkommen nicht sehr kohlenstoffintensiv ist. In Ländern, in denen ärmere Haushalte einen hohen Anteil ihres Einkommens für Heizung, Strom und Transport ausgeben, muss der Abbau der Subventionen nicht zu Lasten der ärmeren Haushalte gehen: Man kann die Einnahmen aus dem Subventionsabbau den Haushalten zurückerstatten! Der Abbau von Subventionen genügt jedoch nicht, wir brauchen einen steigenden CO2-Preis. Die Einführung eines CO2-Preises muss mit einer Einkommensteuerreform verbunden werden, damit die Ungleichheit der Einkommensverteilung nicht steigt – am besten wäre es, sie sogar zu verringern.

Für welche Länder macht ein CO2-Preis Sinn?

Sinnvoll könnte eine CO2-Bepreisung in allen Ländern sein. Entscheidend ist jedoch, was mit den Einnahmen einer CO2-Steuer oder aus den Auktionserlösen von Zertifikaten geschieht. Für viele Länder ist es sinnvoller, in Infrastruktur zu investieren. Würde beispielsweise die indische Regierung die Tonne CO2 mit zehn Dollar belasten, könnte sie aus den Einnahmen jedes Jahr mehr als 60 Millionen Menschen zusätzlich Zugang zu Elektrizität, sauberem Wasser, Sanitäreinrichtungen und Telekommunikation verschaffen. Die CO2-Bepreisung käme somit einem Programm zur Armutsbekämpfung gleich. Ähnliches gilt für China oder auch für Mexiko, wo eine CO2-Bepreisung auch helfen würde, die lokale Luftqualität drastisch zu verbessern.

Ökonomen warnen mittlerweile, dass ein weltweiter Kohleausstieg zu einer neuen Finanzkrise führen könnte.

Warum sollte ein Kohleausstieg zu einer Finanzkrise führen? Ein steigender CO2-Preis führt dazu, dass Investoren ihre Strategien verändern. Wenn der Preis der Nutzungsrechte steigt, gibt es einen ausreichenden Anreiz, die Emissionen zu vermindern und in emissionsarme Technologien zu investieren. Allerdings werden von einem steigenden Nutzungspreis arme und reiche Länder unterschiedlich betroffen sein. Daher wird man im Rahmen eines globalen Klimaabkommens auch darüber verhandeln müssen, wie die Nutzungsrechte zu verteilen sind, damit dies von den beteiligten Staaten als fair empfunden wird.

Warum könnte der CO2-Preis auch für Länder interessant sein, denen Klimaschutz egal ist?

Regierungen sind heute in globale Kapitalmärkte eingebunden. Somit werden sie nicht mehr nur durch ihre Wähler, sondern auch durch die Kapitalmärkte bewertet. Das führt mitunter dazu, dass die nationale Souveränität in der Bereitstellung öffentlicher Güter wie etwa Bildung und Gesundheit eingeschränkt wird – die Globalisierung beschränkt zunehmend den finanzpolitischen Handlungsspielraum. Vielen Regierungen bleibt nur die Möglichkeit, die Steuern zu senken, um Kapitalflucht zu verhindern. Es setzt ein Wettlauf nach unten ein, an dessen Ende eine Unterversorgung mit öffentlichen Gütern steht. Eine kontinuierlich steigende CO2-Steuer – auf importierte oder heimische fossile Ressourcen – stellt ein hervorragendes Mittel zur Investition in Infrastrukturen oder den Abbau von Staatsverschuldung, ohne dass man zum Beispiel die Steuern auf Arbeit oder mobiles Kapital erhöhen müsste.

Ist der Grüne Klimafonds ein zielführendes Werkzeug?

Ein solcher Fonds könnte zu einem Instrument werden, um die Bereitschaft für den Klimaschutz zu erhöhen. Der springende Punkt dabei ist aber, wie das Geld verwendet wird. Wenn vor allem die Länder, die die niedrigsten Vermeidungskosten haben, daraus Unterstützung erhalten, könnte das das Ambitionsniveau und das Potenzial zur internationalen Kooperation in der Klimapolitik erhöhen.

Sie sprechen am heutigen Mittwoch auf der päpstlichen Konferenz „Menschen und Planet zuerst“ im Vatikan – was werden Sie der katholischen Kirche dabei mitteilen?

Ich werde darlegen, warum ich glaube, dass Papst Franziskus eine revolutionäre Enzyklika verfasst hat. Er hat nämlich gesagt, dass die Atmosphäre ein globales Gemeinschaftseigentum der Menschheit ist. Ich werde erläutern, dass wir drauf und dran sind, dieses Eigentum zu verschleudern. Als Treuhänder dieses Vermögens haben wir jedoch die Aufgabe, es klug zu nutzen. Doch derzeit sieht es eher nach dem Gegenteil aus: Die Atmosphäre wird von uns wie ein Niemandsland benutzt: Sie steht als CO2-Senke unbeschränkt jedem kostenlos zur Verfügung – es gilt das Recht des Stärkeren. Ich möchte zeigen, dass Klimapolitik der Wirtschaft nicht einfach Lasten auferlegt, sondern einen Beitrag zur Vermögensbildung leistet, zum Wohlstand, vor allem zum Wohlstand der Armen.

Sie sind vor der UN-Klimakonferenz, die im November in Paris stattfinden wird, also eher optimistisch?

Grundsätzlich ist das Zwei-Grad-Ziel machbar, auch wenn es eine sehr große Herausforderung ist. Für einen Erfolg der Klimakonferenz in Paris ist vor allem die Frage der Klimafinanzierung entscheidend. Es muss sichergestellt werden, dass die 100 Milliarden US-Dollar, die ab 2020 über den Grünen Klimafonds mobilisiert werden sollen, auch effizient eingesetzt werden. Klimaanpassungen und Emissionsreduktion haben nun einmal ihren Preis: Aber wir bekommen ja etwas dafür: eine nachhaltigere Welt.

Die Fragen stellte Jan Kixmüller

ZUR PERSON: Ottmar Edenhofer (53) ist Vize-Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Mehr Infos gibt es hier >>

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