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Interview mit Gravitationsphysiker: „Das gewaltigste Ereignis, das man jemals im Universum beobachtet hat“

Karsten Danzmann vom Potsdamer Alebert Einstein Institut in Hannover über die Entdeckung der Gravitationswellen, die Verschwiegenheit von 1000 Leuten und ein neues Signal in den Messdaten.

Herr Danzmann, sind Sie neidisch, weil der Nachweis einer Gravitationswelle erstmals mit den amerikanischen Ligo-Detektoren gelang und nicht mit „Geo600“ in der Nähe Ihres Instituts in Hannover?

Nein, Ligo ist auch unser Detektor, wir sind Teil der Kollaboration. Unsere Stärke war schon immer die Technologieentwicklung. Das, was wir für den kleineren Detektor Geo600 entwickelt und dort erprobt haben, steckt jetzt in dem erneuerten Ligo-Observatorium, wo die erste Welle nachgewiesen wurde. Und zwar gleich am ersten Tag, an dem es überhaupt möglich war, ein solches Ereignis zu messen. Da hatten wir schon Glück.

Seit wann wissen Sie von der Entdeckung der Welle?

Ungefähr eine Stunde, nachdem das Signal eintraf. Wir haben hier alle drauf geschaut und haben es erst mal nicht geglaubt. Das Signal war einfach zu schön. Wir dachten, es handelt sich um einen Test. Es hat eine Weile gedauert, bis uns allen klar wurde, was das war.

 Wann waren Sie sich sicher?

Das Signal war so groß und dick, das konnte man mit bloßem Auge erkennen, dass das ein Treffer war. Aber man muss trotzdem vorsichtig sein. Es braucht Wochen bis Monate, um das Rauschen, also all die Störungen, die in den Messungen enthalten sind, zu verstehen. Erst als wir so viele Daten ausgewertet hatten, dass wir sagen konnten, die Fehlerwahrscheinlichkeit ist kleiner als eine Falschmessung in 200.000 Jahren, da haben wir gesagt: Das ist sicher.

Ihr ganzes Forscherleben haben Sie den Gravitationswellen gewidmet. Seit Wochen wissen Sie: Wir haben eine! Und Sie dürfen nichts sagen – das muss doch quälend sein.

Eigentlich nicht. Man muss seine Arbeit ordentlich machen. Es bringt weder uns noch der Öffentlichkeit etwas, wenn wir über Dinge reden, die wir nicht richtig verstanden haben. Das schadet letztlich nur. Ich habe immer gesagt: Seit der Vorhersage dieser Wellen hat es 100 Jahre gedauert, da kommt es auf ein paar Wochen auch nicht mehr an.

 Schon länger gab es Gerüchte über die Entdeckung. Haben diese geschadet oder eher genützt, weil Sie dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommen haben?

Ich glaube, das war ausgeglichen. Dafür, dass ungefähr 1000 Menschen vier Monate davon wussten, ist ziemlich wenig an die Öffentlichkeit gelangt.

 Man erwartet, dass Advanced-Ligo etwa eine Handvoll solcher Ereignisse pro Jahr misst. Dann müssten Sie doch schon das nächste haben, wann wird das veröffentlicht?

Wir sind dabei, die Daten auszuwerten. In dem Fachartikel, der am Donnerstag in den „Physical Review Letters“ veröffentlicht wurde, sind Informationen zu insgesamt 16 Messtagen enthalten. Da ist schon zu sehen, dass es noch ein weiteres verdächtiges Signal gibt. Ob es wirklich eine Gravitationswelle war oder doch etwas anderes dahintersteckt, das müssen wir noch analysieren. Geben Sie uns noch ein paar Wochen, vielleicht auch Monate.

Wer bekommt den Nobelpreis? Danzmann will dem Komitee "nicht reinreden"

Die Entdeckung dürfte einen Nobelpreis bekommen. Wenn auch nicht dieses Jahr, weil Vorschläge bis zum 31. Januar eingereicht werden müssen, aber wohl im nächsten. Wer käme dafür infrage?

Darüber möchte ich öffentlich nicht spekulieren. Wir wollen dem Nobelkomitee nicht in die Arbeit reinreden.

 Wie geht es weiter? Welche Detektoren sind noch geeignet, so starke Wellen einzufangen?

„Virgo“ in Italien wird derzeit umgebaut und vermutlich im Herbst mit den Messungen beginnen. Auch die beiden Ligo-Detektoren haben noch nicht die volle Empfindlichkeit erreicht. Vielleicht haben wir zum Jahresende dann drei in Betrieb. Außerdem wird in Japan ein unterirdischer Detektor gebaut, „Kagra“. Es wird wohl noch zwei Jahre dauern, bis er fertig ist. Irgendwann wird einer der Ligo-Detektoren, der zurzeit ungenutzt ist, vielleicht in Indien installiert werden. Aber da gibt es noch politische Probleme, da wurde noch keine Einigung erzielt.

 Warum brauchen Sie so viele Detektoren, reicht nicht einer?

Jeder von ihnen ist omnidirektional, das heißt, er zeichnet Signale aus allen Richtungen auf und kann auch die Polarisation – also die Schwingungsrichtung der Wellen – nicht unterscheiden. Mit zweien kann man ungefähr die Ursprungsrichtung einer bestimmten Welle rekonstruieren, mit dreien geht das ganz gut, aber man kann noch nicht gut oben und unten unterscheiden. Erst mit vieren ist man in der Lage, das Signal vollständig zu erfassen bezüglich Richtung und Polarisation.

 Was nützt es, wenn Sie Herkunft und Polarisation der Welle kennen?

Dann erfährt man mehr über die Quelle. Wenn es zum Beispiel ein Doppelsternsystem war, können wir berechnen, wie die Bahnebene der zwei Objekte im Raum liegt, wie elliptisch sie ist, wie schnell die Sterne anfangs rotiert haben und wie schnell am Ende. Auch die Massen der beteiligten Himmelskörper können wir rekonstruieren.

 Wozu muss man das überhaupt wissen?

Wenn wir schon vorher wüssten, was wir lernen können, wäre es langweilig. Zunächst muss man sich vor Augen halten: 99 Prozent des Universums sind dunkel und werden nie mit elektromagnetischen Wellen wie Licht- oder Röntgenstrahlung beobachtbar sein. Aber alles unterliegt der Schwerkraft. Alles, was Strukturen bildet und eine Masse hat, erzeugt Gravitationswellen. Wir hoffen, mit diesen Wellen, einen Zugang zum dunklen Teil des Universums zu bekommen.

 Wie das? 

Wenn man sich das erste Signal anschaut, dann ist das ein Hinweis darauf, dass das ganz interessant werden könnte. Was wir registriert haben, ist mit Abstand das gewaltigste Ereignis, das man jemals im Universum beobachtet hat. Da wurden in Sekundenbruchteilen drei Sonnenmassen verbrannt und in Wellen umgesetzt. Und trotzdem war das Ereignis für alle möglichen Teleskope nicht sichtbar. Wir sehen nun erstmals Signale aus einer dunklen Schattenwelt, die wir bisher überhaupt nicht kennen. Wer weiß, was da noch alles auf uns lauert.

Die Fragen stellte Ralf Nestler.

KARSTEN DANZMANN (61) ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik Potsdam/Hannover und war an der Entdeckung der Gravitationswellen beteiligt.

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