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Interview mit Ernst Huenges: „Die wichtigste Option der Zukunft“

Der Potsdamer Geoforscher Ernst Huenges über das Potenzial der tiefen Geothermie für die Wärmeversorgung der Städte, Risiken der Förderung und unverhoffte Nebeneffekte

Herr Huenges, wann werden wir Wärme aus dem Erdinneren großflächig als neue Energieform einsetzen können?

Geothermie wird heute schon in kleinerem Maßstab genutzt. Den großen Durchbruch in Städten erwarte ich in den kommenden zehn Jahren. Und dann wird es sehr schnell gehen, denn es bedarf jeweils nur einer einmaligen Investition, danach werden die Anlagen mit vergleichsweise niedrigen Kosten betrieben.

Gilt das auch für die Stromversorgung?

Da haben Sonnen- und Windenergie das Rennen gemacht. Die Rolle der Geothermie liegt in erster Linie in der Wärmebereitstellung. Und dazu gibt es kaum Alternativen aus anderen regenerativen Energieträgern, da entweder weiter Transport für Biomasse oder große Flächen für solarthermische Installationen benötigt werden. Tiefe Geothermie als Punktquelle ist in den Innenstädten die wichtigste Option der Zukunft für die Quartierswärmeversorgung.

Ist das tatsächlich mitten in einer Stadt denkbar?

Natürlich. Es gibt ausreichende Freiflächen, etwa eine alte Kohlehalde oder etwas Ähnliches, die dann für die Bohrung zur Verfügung gestellt werden sollte.

In welchen Regionen ist das möglich?

Eigentlich fast überall. Besonders gut kann Erdwärme in Tiefebenen wie in Norddeutschland oder auch im Bayrischen Alpenvorland genutzt werden. Auch in Potsdam oder Berlin finden sich im Untergrund wasserführende Schichten in mittleren Tiefen. Unter Berlin oder Potsdam gibt es beispielsweise den Buntsandsteinhorizont in einer Tiefe von 1600 und 2000 Meter Tiefe, der Wasser führt: sehr wahrscheinlich genug, um einen signifikanten Beitrag zur Wärmeversorgung der Großstädte zu leisten.

Von welchen Temperaturen sprechen wir?

Die Temperaturen des Buntsandsteins unter Berlin liegen bei schätzungsweise 60 Grad, das sollte zur Wärmeversorgung ausreichen, da für die Heizungen nur 30 bis 40 Grad benötigt werden.

Reicht das auch für Dusche und Bad?

Es geht in erster Linie um Heizung, denn für Warmwasser braucht man mindestens 80 Grad, um sicherzustellen, dass keine Legionellen entstehen. Aber auch dafür sind Lösungen denkbar.

Und wo ist der Haken?

Es gibt verschiedene Herausforderungen. Die großen Heiznetze sind beispielsweise wegen der jetzigen fossilen Befeuerung für sehr hohe Temperaturen ausgelegt. Tiefer zu bohren wäre zu teuer. Daraus folgt, dass man längerfristig die Heiznetze anpassen muss, die heute noch mit 110 Grad arbeiten. Bis das soweit ist, kann das warme Wasser aus der Tiefe genutzt werden und mit Wärmepumpen oder mit zusätzlichen Systemen auf die nötigen Temperaturen gebracht werden. Für die Wärmepumpen muss Strom eingesetzt werden. Das lässt sich intelligent managen, da wir oft überschüssigen Strom haben. Wegen der Trägheit der Wärme kann man getrost den Strombedarf in einer Zeit ansetzen, in der es sehr günstig ist.

Es gibt aber auch Risiken. Sogar kleinere Erdbeben wurden schon ausgelöst.

Erdbeben durch Geothermie können in Berlin und Potsdam aus geologischen Gründen ausgeschlossen werden. Wir denken hier an die Nutzung von hydrothermaler Geothermie, bei der heißes Wasser aus der Tiefe genutzt wird. In dem Schweizer Vorhaben bei Basel ging es um ein System mit wenig Wasser im Untergrund, das dann für eine wirtschaftliche Produktivität stimuliert werden musste. Das ist ein anderes Verfahren. Dadurch kam es zu kleineren seismischen Ereignissen. Eine Stimulation in einem Gebiet, in dem sehr starke tektonische Kräfte im Untergrund wirken, erfordert ein sehr sorgfältiges Risikomanagement. Stimulieren ist aber in unserer Region nicht nötig, da es wasserführende Schichten in der Tiefe gibt. Dieses Wasser zu fördern birgt keinerlei Risiko.

Im Schwarzwald wurde sogar die Bausubstanz einer ganzen Gemeinde angegriffen.

In dem Ort Staufen ging es um ein Vorhaben der oberflächennahen Geothermie. Hier wurden ganz offensichtlich handwerkliche Fehler gemacht. Für jeden Bohrer gilt, dass verschiedene Grundwasserleiterschichten hydraulisch durch zementierte Verrohrung getrennt werden müssen. Die dringend notwendige Trennung von wasserführenden Schichten mit einer Gipsschicht wurde nicht vorgenommen – als dann Wasser und Gips zusammenkamen, quoll der Gips auf und es kam zu den Hebungsprozessen, die dann die Gebäude schädigten. Das hätte nicht passieren dürfen, wenngleich man auch in dieser Geologie sicher bohren kann. Das setzt aber Qualitätssicherung bei der oberflächennahen Geothermie wie in jeder anderen Technologie voraus.

Wenn die hydrothermale Geothermie machbar ist, warum wird es dann nicht längst im großen Maßstab eingesetzt?

In der Wissenschaft schaffen wir die Grundlagen und entwickeln sichere und machbare Verfahren. Warum und wie Politik und Gesellschaft dies nun wiederum einsetzen, ist eine andere Frage. Zurzeit nutzen die lokalen Heiznetzbetreiber fossile Energien. Die Frage nach Alternativen wird zu wenig gestellt, obwohl verschiedene Optionen verfügbar sind. Zunächst sollte das Startrisiko durch lokale Erkundung gesenkt werden. Leider sind die Investitionen dafür recht hoch, sodass mit der ersten Bohrung auch ein relativ hohes finanzielles Risiko einhergeht. Interessierte Energieversorger tun sich schwer damit, dafür Risikokapital in die Hand zu nehmen. Daher hofft man auf die Unterstützung der öffentlichen Hand für den Start. In München gibt es beispielsweise ein Erkundungsprogramm, das von den Stadtwerken getragen wird. Das ist eine für Potsdam und Berlin vorbildliche Investition heimatliche Ressourcen für die Wärmebereitstellung nutzbar zu machen.

Wie viele der Haushalte lassen sich mit Geothermie versorgen?

In Berlin gibt es einen Wärmebedarf von rund 35 Terawattstunden pro Jahr. In überschaubarer Zeit werden sich etwa zwei Terawattstunden, also rund fünf Prozent davon aus Geothermie bereitstellen lassen. Mit jeweils rund 2000 Quadratmetern Fläche in der verdichteten Innenstadtzone lassen sich mehrere abgelenkte Förder- und Schluckbohrungen erstellen, sodass größere Wärmemengen in die gegebenen Heiznetze eingespeist werden können. Das wäre die Option für Quartiersversorgung. Am Stadtrand kann auch oberflächennahe Geothermie genutzt werden, um Einfamilienhäuser zu heizen.

Sonnen- und Windenergie haben ein Akzeptanzproblem, auch weil sie das Landschaftsbild großflächig beeinträchtigt. Ist die Geothermie hier im Vorteil?

Auf jeden Fall. Die Arbeiten sind nur während der Bohrung zu Anfang sicht- und hörbar, im Betrieb dann schnurrt die Anlage leise vor sich hin und ist kaum noch sichtbar. Der Bohrplatz kann in der Folge auch bepflanzt werden. In der Berliner Innenstadt an der Fasanenstraße hatten wir aktuell ein Projekt, bei dem es keinerlei Beschwerden von den Anwohnern gab. Ein anderer Vorteil ist, dass diese Wärmebereitstellung nur mit einem Bruchteil der CO2-Emission gegenüber Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas verbunden ist, sodass durch Substitution fossiler Heizwerke ein signifikanter Beitrag zur Reduktion der Klimagase geleistet wird. Sollten die zwei Terawattstunden realisiert werden, dann hätte Berlin pro Jahr nahezu eine Millionen Tonnen CO2 der Umwelt erspart.

Und heiß ist es unter Tage auch im Winter.

Genau. Die sogenannte Grundlastfähigkeit ist ein weiterer Vorteil: Die Wärme aus der Tiefe ist immer verfügbar, im Gegensatz zu der Energie aus Sonne und Wind. Da im Energiemix der Zukunft eine hohe Flexibilität nötig sein wird, kommt der Geothermie die wichtige Rolle zu, das Versorgungssystem zu stabilisieren. Bei Energiespitzen kann überschüssiger Strom aus Sonne und Wind in den Betrieb von Wärme- und Wasserpumpen fließen – und bei Dunkelflauten bleibt das Wasser aus der Tiefe trotzdem heiß. Der Charme von dem Verfahren ist, dass die Wärmeströme der Geothermie sehr gleichmäßig und einfach sind, im Gegensatz zur hohen Fluktuation der anderen Erneuerbaren Energien. Ein halber Tag Vorlauf reicht, und dann kann die Wärme geholt werden, wenn sie gebraucht wird.

Sie sehen also keine Hindernisse mehr?

Das ganze Verfahren ist an verschiedenen Standorten durchdekliniert worden und machbar. Für Berlin und Potsdam muss erst erkundet werden, wo wasserführende Schichten liegen, die bohrtechnisch erschlossen werden können. Und man muss für den Betrieb eines Thermalwasserkreislaufes die Chemie der Wässer kennen. Den Salzgehalt und den daraus resultierenden Korrosionsschutz haben wir mittlerweile im Griff. In unserem Versuchslabor in Groß Schönebeck haben wir auch gesehen, dass es in dem Tiefenwasser weitere Komponenten gibt, die interessant sein können. Wir haben beispielsweise Kupferoxide gefunden, die mit dem Eisen der Verrohrung unter Tage reagieren, was zu Kupferausfällungen im Bohrlochtiefsten führt und die Bohrung verstopfen kann. Das muss und kann in einem Thermalwasserkreislauf vermieden werden. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine große Chance.

Inwiefern?

Wir müssen diese Ausfällungen nur auf über Tage verlagern. Dann gewinnen wir gediegenes Kupfer. Wir brauchen für die Elektroautos in der Zukunft sehr viel Kupfer. Wir haben in den heißen Tiefenwässern auch noch andere interessante Komponenten gefunden. Das Wasser in Groß Schönebeck führt beispielsweise Lithium, das für leichte Batterien benötigt wird und als Mangelelement gilt. Da wir sehr große Wassermengen bei der Geothermie fördern, pro Förder- und Schluckbohrung bis 100 Kubikmeter pro Stunde, sind hier schon sehr kleine prozentuale Anteile von Interesse. Der Untergrund bringt Überraschungen, die vielleicht zu Lösungen für ganz andere Fragen führen können. Hier tun sich zusätzlich heimische Lagerstätten auf, die man zuvor gar nicht erwartet hätte.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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Zur Person: Ernst Huenges (63) leitet die Sektion Geothermische Energiesysteme am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). Er ist Professor für Geothermische Technologien an der TU Berlin.

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