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Wirklich der Wahrheit verpflichtet? Aktham Suliman sieht Al Dschasira (im Bild die englische Schreibweise) mit Sitz in Katar als einen Nachrichtensender, der mehr und mehr Märchen verbreitet.

© dpa

Interview mit Aktham Suliman: Fake News aus 1001 Nacht

Aktham Suliman, der ehemalige „Mr. Al Dschasira“ in Deutschland, über Wahlen als Viagra und Menschenrechte als Illusion

Herr Suliman, das Emirat Katar ist in Bedrängnis, auch der Sender Al Dschasira ist politisch unter Druck geraten. Sie sind Syrer, haben zehn Jahre für Al Dschasira gearbeitet. Tut Ihnen Ihr ehemaliger Sender heute leid?
Nein, ich empfinde sogar etwas Schadenfreude, dass ein Fake-News-Sender – und seit 2011 ist Al Dschasira ein Fake-News- Sender – mit den gleichen Waffen geschlagen wird, mit denen er selbst operiert. Die Katar-Krise ist ein höchst interessanter Medienkrieg. Allerdings kann keiner beanspruchen, der Saubermann zu sein – weder Katar noch die Vereinigten Arabischen Emirate.
Sie waren zehn Jahre bei Al Dschasira. Wie betrachten Sie heute diese Zeit?
Al Dsaschira war für uns wie ein Traum. 1996 kam der Sender als „arabisches CNN“ auf den Markt. Arabisch finanziert, den Global Players der Nachrichtenwelt ebenbürtig – und das in einem Kulturkreis, der sich gedemütigt fühlt. Da waren wir alle baff. Die Zuschauer, wow, und die Journalisten träumten davon, dort einzusteigen, das war ja die Spitze des arabischen Journalismus. Wir dachten: Wir sind die Stimme der Dritten Welt und des Südens, das erfüllt uns mit Stolz.
Wann endete diese Euphorie?
Es schien jahrelang so, als wollte sich der Emir von Katar, der Besitzer von Al Dschasira, nicht in die redaktionellen Belange einmischen. Wir wollten dieses Märchen glauben. Doch als der Arabische Frühling ausbrach, merkte man: Moment, da stimmt was nicht. Damals hat Al Dschasira so gelogen, dass die ganze Welt an die Demokratiebewegung glaubte, an friedliche Demonstranten in Libyen. Die hat es aber nie gegeben. Da hat Al Dschasira eine sehr schmutzige Rolle gespielt, und das wurde auch vom Westen gerne übernommen.
Was kritisieren Sie konkret?
Es hieß es zum Beispiel: „Wir haben gerade von unseren syrischen Verwandten gehört, dass es da eine Demonstration in Damaskus gibt. Unser Team ist gerade vor Ort und berichtet.“ Doch wir, die Journalisten vor Ort, sahen: Da war nichts. Warum? Weil irgendjemand eine Demonstration für 30 Sekunden gemacht hat, die irgendjemand aufgenommen hat, und das wird dann ausgestrahlt als die große Demonstration in Damaskus. Auf einmal ist eine Atmosphäre hergestellt, die es real gar nicht gibt. Sie wird aber dann real, indem sie gesendet wird.
Sie behaupten, der Arabische Frühling sei ein Medienphänomen gewesen.
Ich war selber in Ägypten. Mir wurde rasch klar, dass dahinter eine Kraft stand, die das alles ausnutzt: die Muslimbrüderschaft. Die Wahlen in Ägypten, die ich kritisiert habe, waren wirklich komisch. Wie macht man daraus eine positive Nachricht? Man schickt mindestens sechs bis sieben Teams in den Süden Ägyptens, nach Kairo etc. und zeigt, wie die Menschen wählen. Da sagt die Welt: Wow, welch demokratische Stimmung. Die Leute stehen in Schlangen, das Volk fühlt sich frei und will wählen.
So entsteht ein Eindruck von Demokratie. Es war aber gar nicht demokratisch. Al Dschasia hat die Gewalt verschwiegen. Es gab Gewalt in Ägypten, Libyen, Syrien, in vielen arabischen Ländern. Davon sah man nichts, weil Al Dschasira uns das Märchen eines friedlichen demokratischen Aufbegehrens gegen die Diktatur verkauft hat.
Immerhin musste Präsident Mubarak zurücktreten ...
Die Fernsehbilder suggerieren, das Volk sei gegen die Regierung und die Militärs auf die Straße gegangen. Es war aber ganz anders. Über die Hälfte der Bevölkerung war für die Armee. Nicht weil sie die Militärs lieben, sondern weil sie sich vor der Wahl sahen: Muslimbrüder oder Militärs.
Es gab relativ freie Wahlen ...
Im Westen will man vor allem Wahlen sehen, das ist wie eine Viagra-Tablette. Aber Wahlen kann man nicht einfach so veranstalten. Die Demokratie lebt in erster Linie davon, dass die Minderheiten geschützt werden. Nicht: Wahlen, Mehrheiten und dann dürfen sie alles machen, was sie wollen.
Sie behaupten, dass der Westen Fake News produziert, zum Beispiel die amerikanischen Propaganda-Lügen während des Golfkriegs.
Ich bin überzeugt, dass er mit Demokratie gnadenlos Ansprüche und Interessenpolitik betreibt. Deshalb kam aus dem Westen nie ein Vorstoß in Richtung Saudi-Arabien oder Katar oder Emirate, obwohl das politische Wüsten sind. In früheren Jahren wurden ganze Länder plattgemacht von Afghanistan bis Irak. Der Westen macht aus der Forderung nach Demokratie ein Machtinstrument, und deshalb werden pseudo-demokratische Bewegungen unterstützt und nicht wirklich die Demokratie.
Kann es im Islam wirklich Demokratie geben?
Im Islam kann es alles geben, genau so wie im Christentum. Es sei denn, man verfolgt die Linie der islamistischen Parteien. Der Islam ist wie jede andere Religion, er hat Schlechtes und Gutes, es kommt darauf an, was man davon nimmt. Und zum Thema Regieren sagt der Islam eigentlich nichts. Okay, da war Mohammed, die ersten Kalifen. Es gab aber keine Richtlinien für eine weltliche Regierung, das wurde alles erst später abgeleitet. Vor ein paar Jahren glaubte niemand, dass Allah alles gesagt habe. Wir haben jetzt 450 Millionen Araber, über eine Milliarde Moslems. Soll ich im Koran blättern, wenn ich regieren will?
Warum gab es in der arabischen Welt der 60er und 70er Jahre kaum Islamisten? Wir waren Nationalisten oder Linke. Waren wir damals keine Muslime? Wir sind seit 1500 Jahren Muslime. Aber es gab andere Ideologien und Visionen.
Kann der Westen Ihrer Auffassung nach die islamischen Länder nicht verstehen oder will er das nicht?
Der Westen agiert ganz rational. Aber er gibt vor, für Humanität zu stehen. Und deshalb produziert er Fake News. Das Problem liegt im Westen selbst. Die Interessen des Westens, der Russen und Chinesen im Nahen Osten sind alle nachvollziehbar. Jedes System versucht, seine Interessen zu verteidigen. Seine Tankstellen wie Katar in Schutz zu nehmen, die Geldautomaten in Saudi-Arabien sauber zu halten. Das Problem ist, wenn man uns einredet, die westliche Außenpolitik basiere auf Werten. Das ist lächerlich.
Haben Sie Beispiele?
Die Schizophrenie des Westens ist, dass die Medien den Deutschen jahrelang eingeredet haben, dass die Bundeswehr in Afghanistan nur Mädchenschulen gebaut hat. Ich kenne bessere Baufirmen als die Bundeswehr. Seit 1991 werden endlose Kriege exportiert, mal für Demokratie, mal gegen den Terror, letztendlich fällt die Bombe und zerstört alles.
Dennoch: Ist es nicht ein Fortschritt, wenn versucht wird, die Menschenrechte zu schützen?
Wenn man die Welt realistisch betrachtet, ist keine Seite besser als die andere. Der Westen mit seinen Menschenrechten: Wo sind die Menschenrechte in Palästina? In Saudi-Arabien? In Katar? Dort hat Beckenbauer keine Sklaven gesehen. Der Westen beleidigt sich selbst und seine Bevölkerung. Einmal hat Horst Köhler ehrlich gesagt, warum man in Afghanistan ist. Er musste kurz darauf zurücktreten. Soldaten sind da, wo sie sind, wegen Interessen. Wer glaubt wegen Mädchenschulen, der muss zum Arzt.
Sie haben ein Buch geschrieben, „Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht.“ Was wollen Sie damit erreichen?
Ich wollte meine Gedanken ordnen. Ich bin auch ein Opfer, auch als Journalist. Über Peter Scholl-Latour haben wir früher in der Uni geschmunzelt. Wir als Islamwissenschaftler sagten: Ja, der Scholl-Latour kommt im Fernsehen und sagt zwei Worte auf Arabisch und gibt sich als Experte aus. Wir fühlten uns als etwas Besseres. Ich muss zugeben: Peter Scholl-Latour hat etwas entwickelt, was jeder Mensch braucht: ein Gespür, eine Nase. Er hat mir über mein Land Syrien gesagt: Das wird nicht gut ausgehen, die jungen Leute dort sind super, aber sie werden nur benutzt. Junge Leute sind keine Partei. Scholl-Latour hat alles richtig vorhergesagt.
Das Interview führte Werner Bloch.

Werner Bloch

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