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Die Schornsteine eines Blockheizkraftwerkes in Schönefeld.

© Patrick Pleul/dpa

Interview | Klimaforscherin Jessica Strefler: CO2-Speicherung unter der Nordsee wäre risikoarm

Klimaforscherin Jessica Strefler über den Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre und das umstrittene CCS-Verfahren.

Frau Strefler, welche Rolle spielen die sogenannten negativen Emissionen – also das aktive Entziehen von CO2 aus der Atmosphäre – beim Klimaschutz?
Eine relativ große. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass es ohne diese Entnahme sehr schwierig und teurer ist, unter dem Ziel von maximal zwei Grad globaler Erwärmung zu bleiben. In Paris wurde festgelegt, dass es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen Ausgleich von CO2 -Quellen und -senken geben soll – das ist die Option der negativen Emissionen. Nun wurde auf deutscher und EU-Ebene diskutiert, die Klimaziele von 2050 an auf Klimaneutralität anzuheben – also auf netto null Emissionen. Weil es aber etwa aus der Landwirtschaft eine gewisse Menge an kaum vermeidbaren Restemissionen geben wird, bedeutet das Ziel von „netto Null“ Ausstoß von Treibhausgasen, dass wir auf die eine oder andere Art die Restemissionen wieder aus der Atmosphäre herausholen müssen. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel im Petersberger Klimadialog noch einmal betont und erwähnt, dass man dafür auch noch einmal über CCS – also der Abscheidung und unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid – reden müsse. Wobei das nur in Verbindung mit Biomasse-Kraftwerken, dem Direct-Air-Capture-Verfahren, also der direkten Filterung von CO2 aus der Luft, oder Prozessemissionen etwa bei der Zementproduktion wirklich Sinn hätte.

Können wir uns unliebsame Klimaschutzmaßnahmen vielleicht durch die negativen Emissionen sparen?
Nein. Es ist wichtig, dass in diesem Zusammenhang verstanden wird, dass wir die Emissionen nur auf null senken können, wenn restliche nicht vermeidbare Emissionen ausgeglichen werden. Voraussetzung ist also immer eine massive Reduktion der Emissionen – und nur das, was sich gar nicht vermeiden lässt, etwa bestimmte Prozessemissionen in der Industrie oder manche Emissionen aus der Landwirtschaft, soll durch CO2-Entnahme ausgeglichen werden. Sämtliche Emissionen – derzeit rund 40 Milliarden Tonnen jährlich – auszugleichen, wäre viel zu teurer und wohl auch technisch gar nicht möglich. Negative Emissionen können also nicht die Vermeidung von Emissionen ersetzen.

Wie kann ein solcher Ausgleich gelingen?
Es gibt verschiedene Optionen. Einerseits die eher ökologischen Möglichkeiten, die Wiederaufforstung und Verdichtung der bestehenden Wälder oder die Speicherung von Kohlenstoff in den Böden. Zudem gibt es die eher technischen Verfahren, beispielsweise Bioenergie in Kombination mit CCS, also der unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid – dabei wird Biomasse in Kraftwerken verfeuert und das CO2 wird aus dem Abgas abgespalten und geologisch gespeichert. Interessant ist das, weil die als Biomasse verwerteten Pflanzen während ihres Wachstums CO2 aus der Luft aufgenommen haben, ganz natürlich und ohne komplizierte Technik. Zudem kommt noch das Direct-Air-Capture-Verfahren in Frage, bei dem CO2 aus der Umgebungsluft durch Filter entzogen wird, ebenfalls in Kombination mit dem CCS-Verfahren.

Wo liegen die Schwierigkeiten?
Beim Wiederaufforsten, also dem Binden von CO2 durch Bäume, braucht es Flächen, die derzeit anderweitig genutzt werden. Gerade in Deutschland stellt sich die Frage, wo solche Flächen herkommen sollen. Eine andere Möglichkeit wäre, bestehende Wälder zu verdichten. Aber die Unsicherheiten sind dabei relativ groß. Zudem binden Bäume in der Wachstumsphase am meisten CO2. Um dauerhaft große Mengen an CO2 zu binden müssten also immer neue Wälder angelegt werden. Global gesehen muss man natürlich erst einmal die Abholzung von Wäldern stoppen.

Was wäre in Deutschland denkbar, wenn die Flächen für Aufforstung so knapp sind?
Diskutiert wird aktuell auch das sogenannte Agroforestry. Dabei werden auf bestehenden Ackerflächen Baumreihen gepflanzt, die zum Beispiel durch Schatten die Erträge erhöhen könnten und gleichzeitig CO2-Senken herstellen, ohne dass dazu neue Flächen nötig würden. Die Unsicherheit ist hier aber noch relativ hoch, es ist unklar, wie hoch das zusätzliches Potenzial wäre.

Also haben die technischen Verfahren bei uns größere Chancen?
Auch wenn bei den natürlichen Verfahren noch Unsicherheiten bestehen, können sie einen Beitrag leisten. Die Frage ist nur wie groß dieser Beitrag sein kann. Das gilt es herauszufinden, denn diese Verfahren sind oft relativ kostengünstig und können ökologische Vorteile haben. Technische Verfahren haben zwar größeres Potenzial, sind aber auch teurer und haben andere Nebenwirkungen.

Jessica Strefler, 37, leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die Forschung zu Carbon Management innerhalb der Energiesystemgruppe des Instituts.
Jessica Strefler, 37, leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die Forschung zu Carbon Management innerhalb der Energiesystemgruppe des Instituts.

© Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Welche Probleme bestehen hier?
Die Kombination von Biomasse mit CCS ist attraktiv, weil dabei nicht nur der Atmosphäre CO2 entzogen werden kann, sondern auch noch nutzbare Energie entsteht, etwa in Form von Treibstoff. Allerdings muss die Biomasse auch erzeugt und transportiert werden. In kleinem Maßstab könnten zum Beispiel zunächst Reststoffe verwendet werden, aber wenn das Verfahren in großem Maßstab angewendet werden soll, muss auch sehr viel Biomasse produziert werden. Die hierfür benötigten Flächen stünden in Konkurrenz zu Flächen für die Nahrungsmittelproduktion, außerdem könnte der Bedarf an Düngemitteln steigen was zusätzliche Stickstoffemissionen verursachen würde. Außerdem muss das CO2 geologisch gespeichert werden. Die Möglichkeiten hierfür sind zwar ausreichend vorhanden, das Verfahren stößt aber in Deutschland derzeit auf Ablehnung.

Wie sieht es mit dem Direct-Air-Capture-Verfahren aus. Das klingt doch ganz einfach?
Hier sind zumindest keine negativen ökologischen Auswirkungen bekannt. Dafür benötigt das Verfahren sehr viel Energie, die natürlich CO2 -neutral erzeugt werden muss. In Deutschland sind die Möglichkeiten da begrenzt. Und auch hier muss das CO2 geologisch gespeichert werden.

Das unterirdische Speichern von CO2 (CCS) ist in Deutschland politisch gescheitert. Wie realistisch sind solche Verfahren also?
Die stärkste Ablehnung dafür findet sich tatsächlich in Deutschland. In Ländern wie Norwegen, Großbritannien oder den Niederlanden aber auch in den USA geht die Bevölkerung entspannter mit solchen Verfahren um. Vielleicht wäre eine Speicherung unter der Nordsee, wie etwa Norwegen es macht, auch für Deutschland eine akzeptablere Lösung. Die Ängste sind ja, dass das Treibhausgas in großen Mengen aus den Speichern wieder herauskommt und es zu Sauerstoffmangel und Erdbeben kommen könnte. Bei Speichern unter dem Meer wären zumindest diese Ängste gegenstandslos – die Forschung geht ohnehin davon aus, dass hier keine großen Risiken bestehen. Schließlich gibt es auch Erdgas in unterirdischen Speichern. Und Erdgas kann man genauso wenig atmen wie Kohlendioxid – nur ist Erdgas im Unterschied zu CO2 brennbar, also eigentlich deutlich gefährlicher.

Der Löwenanteil wird also auf die technischen Verfahren zusammen mit CCS hinauslaufen – wie viel ist damit machbar?
Bei Bioenergie-Verfahren gibt es eine Koppelung an das CCS-Verfahren, die Grenze hängt dabei von den beiden Faktoren ab, wie viel CCS ist machbar und wie viel Bioenergie kann nachhaltig für solche Verfahren bereitgestellt werden.

Wir sprechen von enormen Mengen Kohlenstoff, die unter der Erde verschwinden müssen!
Das kommt darauf an. Wie viele solcher Technologien wir brauchen, hängt maßgeblich davon ab, wie schnell wir global gesehen von Gesamtemissionen aus Energiegewinnung, Verkehr et cetera herunterkommen. Wenn wir bis 2050 Treibhausgasneutral sein wollen, bis 2030 aber nicht massiv unsere Emissionen reduzieren, wird es sehr viel schwieriger – und wir brauchen eine viel größere Anzahl solcher Verfahren. Wenn wir nun schnell anfangen zu reduzieren und auch nach 2030 ambitioniert weiter machen, ist der Rest, der auszugleichen wäre, natürlich deutlich geringer. Das ist nun der springende Punkt.

Was bedeutet das konkret?
Wir müssten auf beiden Seiten viel tun, sehr schnell und viele Emissionen vermeiden, auf der anderen Seite aber – wenn wir den Rest 2050 ausgleichen wollen – müssen wir dafür sorgen, dass wir bis dahin ausreichend solche Optionen zur Verfügung haben. Das bedeutet, dass wir jetzt in die Entwicklung solcher Verfahren investieren müssten. Die CCS-Technologie müsste weiterentwickelt werden, wir müssten wissen, wie der Transportweg zu machen ist, und wo gespeichert werden kann. Das Monitoring muss verbessert werden, damit klar wird, wie und ob die Verfahren in dem nötigen Ausmaß funktionieren können. Auch bei den natürlichen Optionen wie etwa der Wiederaufforstung müsste man in Erfahrung bringen, wo und in welchem Umfang das möglich ist.

Würde es auch helfen, Moore wieder zu vernässen?
Die Trockenlegung von Mooren führt zum Ausstoß von Kohlendioxid, insofern reduziert die Wiedervernässung zumindest diese Emissionen. Das ist daher eine sinnvolle Maßnahme. Darüber hinaus kann meines Wissens aber kein zusätzliches CO2 gebunden werden.

Welches Potenzial sehen Sie in der Nutzung des Kohlendioxids, also den sogenannten CCU-Verfahren?
Hier sehe ich noch einige Probleme. Die Kosten sind bislang ziemlich hoch und die energetische Effizienz ziemlich gering. Wenn man CO2 nutzt, um einen Treibstoff daraus zu machen, wird bei der Nutzung das Treibhausgas wieder freigesetzt. Das bedeutet zwar eine Doppelnutzung des CO2 – aber damit werden wir den CO2-Gehalt in der Atmosphäre nicht senken. Dazu müsste man beispielsweise Baustoffe aus dem Kohlendioxid machen, womit der Kohlenstoff langfristig gebunden wird. Am Ende führt nichts darum herum: Zwar müssen wir Möglichkeiten für das Herausholen von CO2 aus der Luft entwickeln, aber für die Klimastabilisierung entscheidend ist ganz klar die drastische Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid.

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