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Katja Hanack ist Professorin an der Universität Potsdam und baut in ihrem Labor einzelne Teile des Immunsystems nach.

© Karla Fritze

Interview | Coronavirus: Potsdamer "Turbo-Boost" für künstliche Antikörper

Die Potsdamer Immuntechnologie-Professorin Katja Hanack über das von ihr entwickelte Verfahren, das in der Therapie von Covid-19-Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen könnte.

Frau Hanack, Sie haben ein Verfahren entwickelt, das beim Kampf gegen das Coronavirus helfen kann. Worum handelt es sich dabei?

Es geht um die Herstellung von Antikörpern. Antikörper sind die am meisten genutzten Bindemoleküle in Diagnostik und Therapie. Daran besteht ein sehr großer Bedarf – gerade auch jetzt. Das Problem ist, dass die Herstellung sehr lange dauert. Das konnten wir nun von rund zwölf auf weniger als drei Monate enorm verkürzen. Antikörper entstehen im Körper bei einer Infektion. Man kann sie aber auch künstlich herstellen.

Wie lässt sich das nun im Fall des Coronavirus einsetzen? 

Auch hier geht es darum, therapeutische Antikörper oder Diagnostiksysteme zu finden. Unser Verfahren ist wie eine Art Turbo-Boost für die Herstellung künstlicher Antikörper. Dadurch ermöglichen wir einen enormen Zeitvorteil bei der Entwicklung von Therapeutika und Diagnostika. 

Was kann man damit herstellen?

Als Therapeutika kommen zum Beispiel humane Antikörper in Frage, die als Medikament gegen das Virus eingesetzt werden können. 

Also kein Impfstoff?

Nein, Impfstoffe werden aus Viren oder Viruspartikeln hergestellt. Das wird ins Blut injiziert, damit der Körper selbst Antikörper entwickeln kann, um so vor einer Infektion vorbeugend zu schützen. Künstlich hergestellte Antikörper werden hingegen als Medikament bei einer akuten Infektion gegeben. Wenn der Körper des Kranken nicht in der Lage ist, gegen das Virus anzugehen, kann man die künstlichen Antikörper als unterstützendes Medikament geben.

Wie können die Antikörper hier wirksam werden?

Es gibt verschieden Optionen. Ein blockierender Antikörper verhindert den Eintritt eines Virus in eine Zelle. Auch kann ein Antikörper das Virus für das Immunsystem des Körpers sozusagen markieren, als Freigabe diesen abzubauen. Man kann auch einen Antikörper erzeugen, der das Virus erkennt. Das ist wichtig für die Diagnostik.

Wie stellen Sie Antikörper her? 

Zum einen können wir Zellen aus dem Blut von genesenen Kranken entnehmen, um diese dann im Labor zu vervielfältigen und den produzierten Antikörper zu charakterisieren. Zum anderen versuchen wir hier selbst, mit den Viruspartikeln eine entsprechende Immunreaktion zu erzeugen, um so Antikörper dagegen zu entwickeln, das machen wir im Labor.

Wie konnten sie das Verfahren so sehr beschleunigen? 

Normalerweise schmeißt die Zelle, die den Antikörper produziert, diesen einfach raus. Wenn wir einen Antikörper produzieren wollen, brauchen wir aber die Zelle, die das erledigt. Die Suche danach ist aufwendig und langwierig. Wir haben ein Verbindungsstück entwickelt, das die Zelle mit dem Antikörper verbindet. So haben wir beides, den Antikörper und die dazugehörige Zelle. Dadurch sind wir so viel schneller als andere Verfahren. Das innovative Antikörper-Screening haben wir SELMA genannt, es ist in Europa und den USA patentiert.

Welches Potenzial für den Einsatz gegen SARS-CoV-2 hat dieses Screening?

Ein sehr großes. Letztlich geht es um das Finden und Isolieren von spezifischen Antikörper-produzierenden Zellen. Diese neue Antikörper-Generation kann dann flexibel auf jeden gewünschten Antikörper abgewandelt werden – auch auf einen, der das Coronavirus erkennt und markiert. Die Technologie kann also dafür verwendet werden, in der aktuellen Situation Antikörper gegen das Coronavirus zu finden, die dann schnell eingesetzt werden können. Es gibt zahlreiche Erkrankungen, die durch Antikörper erfolgreich behandelt werden können, beispielsweise Autoimmunerkrankungen wie Rheumathoide Arthritis oder Morbus Crohn. Es gibt auch viele Antikörper, die in der Lage sind, bestimmte Viren zu neutralisieren.

Wie sieht Ihr Zeithorizont beim Coronavirus nun aus? 

Wir haben in diesen Tagen ein Projekt dazu gestartet – und hoffen im Mai halbwegs auf der Zielgeraden zu sein.

Ein Medikament also, das dann noch geprüft werden muss?

Natürlich, das liegt nicht bei uns. Bis dahin wollen wir einen Kandidaten haben, mit dem man in die Prüfverfahren gehen könnte. Wann das dann einsetzbar wäre, können wir allerdings nicht sagen. Ohne die akute Pandemie kann die Zulassung von Medikamenten mehr als fünf, sechs Jahre dauern. Aufgrund der aktuellen Situation gibt es aber sogenannte Fast-Track-Verfahren. 

Bei der Diagnostik geht es auch darum herauszufinden, ob jemand bereits erkrankt war. Einige Erkrankte produzieren aber wohl nur wenige Antikörper. Wie sehen sie die Frage nach der Immunität der Betroffenen? 

Das verfolgen wir natürlich mit großem Interesse. Es ist aber noch viel zu früh, um hier Aussagen treffen zu können. Es hängt immer davon ab, wie der Test aufgebaut ist. Das Virus ist nicht gänzlich neu, Viren aus der Corona-Familie kennen wir schon lange. Die Strukturen der verschiedenen Vertreter diese Familie ähneln sich. Daher muss man schauen, dass ein neuer Test auch spezifisch für SARS-CoV-2 ist und nicht auf ein anders Coronavirus anspringt.

Sie haben Ihr Verfahren nun der Forschung weltweit zur Verfügung gestellt, haben aber auch eine eigene Firma. Werden Sie in die Produktion einsteigen? 

Wir haben die Forschungsergebnisse weltweit zur Verfügung gestellt. Unser Biotech-Unternehmen new/era/mabs in Potsdam haben wir 2014 gegründet. Die Firma verwertet die Technologie. Mit der Forschungsgruppe machen wir frei zugängliche Open-Access-Projekte und mit der Firma kommerzielle Projekte. Es ist wichtig, dass ich diesen Transfer habe, weil viele Firmen unser System nutzen wollen – und kommerziell ist es nicht frei zugänglich.

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