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Interview: „Brandenburg ist ein Extremfall“

Der Potsdamer Verwaltungsexperte Jochen Franzke über den Reformbedarf in Brandenburg, spanische und skandinavische Vorbilder, zeitgemäße Prioritäten und den auslaufenden Länderfinanzausgleich. „Eine punktuelle Kreisgebietsreform reicht vielleicht aus“, sagt er im Interview.

Herr Franzke, der demografische Wandel und die rückläufigen Budgets werden dem Land Brandenburg in Zukunft sehr zusetzen. Ist das Land angesichts dieser Herausforderungen überhaupt noch reformierbar?

Das Land wird am Ende einen Weg finden, auch wenn dieser sicher nicht einfach sein wird. Brandenburg ist ja schon länger in zwei Strukturgebiete gespalten: In den Entwicklungsbereich um Berlin, der wirtschaftlich gut läuft und dessen Verwaltungsstrukturen überwiegend effizient sind. Und in die Peripherie, dessen ökonomische Lage eher schwierig ist und dessen Kreis- und Gemeindestrukturen wegen negativer demografischer Trends belastet sind. Es sind Strukturveränderungen nötig, die möglichst auch 20 Jahre halten – und nicht wie die jetzigen – nach weniger als zehn Jahren schon wieder reformiert werden müssen.

Ist Brandenburg ein Einzelfall?

Es gibt nur einige wenige vergleichbare deutsche Länder. Brandenburg ist in der Schärfe der Problematik schon ein Extremfall. Man kann sich Lösungen anderer Bundesländer und im europäischen Ausland anschauen. Letztlich muss Brandenburg aber eigene Wege finden.

Von wem können wir etwas lernen?

Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben bereits ausstehende Reformen durchgesetzt. Mecklenburg-Vorpommern zuletzt vor allem auf der Kreisebene, Sachsen-Anhalt zuletzt vor allem auf der Gemeindeebene. Beide Länder sind ebenfalls stark vom demografischen Wandel betroffen. Auch die finanziellen Rahmenbedingungen sind ähnlich. An Mecklenburg-Vorpommern sind für Brandenburg vor allem die Erfahrungen mit der Vergrößerung der Kreise unter Einbeziehung kreisfreier Städte interessant. Diese Diskussion findet in Brandenburg ja auch statt. In Sachsen-Anhalt ist spannend wie die neuen Gemeindeverbände funktionieren, ob die Aufgabenverteilung zwischen den Verbandsstrukturen und den Mitgliedergemeinden klappt. Das wäre ein mögliches Vorbild für Brandenburg.

Und im europäischen Vergleich?

Dänemark hat eine sehr radikale Reform durchgeführt, dort gibt es nur noch weniger als 100 Gemeinden. Das hatte durchaus Effizienzgewinne ergeben. Es gibt auch andere Länder, wie etwa Spanien, die den Status der territorialen Verteilung unberührt lassen und stärker auf interkommunale Kooperation bei öffentlichen Dienstleistungen setzen. Das funktioniert dort in großen und mittleren Städten recht gut. Grundsätzlich bleiben die skandinavischen Länder wegen der hohen Autonomie ihrer Kommunen und der hohen Qualität der öffentlichen Dienstleistungen immer ein Vorbild für die Mark.

Wie lauten Ihre Vorschläge für ein leistungsfähiges Brandenburg 2020?

Den Weg zur Anpassung der öffentlichen Verwaltung auf allen Ebenen an die schwierigen Rahmenbedingungen sehe ich als eine Art Triade. Mein wichtigster Vorschlag: Man darf die erste Frage nicht zuletzt stellen, nämlich die Frage nach den zeitgemäßen Prioritäten. Was kann sich das Land weiter an öffentlichen Aufgaben leisten? Welche Standards sind finanzierbar? Das ist der zentrale Ausgangspunkt, der politisch beantwortet werden muss. Danach sollte entschieden werden, welche Aufgabe auf welche administrative Ebene verteilt wird. Alle Dienstleistungen sollten möglichst bürgernah angesiedelt werden. Wenn das immer noch nicht reicht, um zu effizienten Strukturen zu kommen, kann man als drittes über Gebietsreformen auf Kreis und Gemeindeebene nachdenken.

Gebietsreformen sehen Sie also nicht als zwingend notwendig?

Ich halte Reformen auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte in Brandenburg für unumgänglich. Die 1993 geschaffenen Strukturen gehören auf den Prüfstand. Es gibt aber neben Problemkreisen auch erfolgreiche, die nicht unbedingt zerschlagen werden sollten. Daher ist zu diskutieren, ob eine punktuelle Kreisgebietsreform nicht vielleicht ausreichend ist: wir haben ja vor allem Probleme in der Prignitz und im Süden des Landes. Auf der Gemeindeebene sollte man sicher die Möglichkeit einer Gemeindegebietsreform diskutieren. Allerdings ist die letzte Gemeindegebietsreform erst 2003 abgeschlossen worden. Es ist allerdings nicht nur rechtlich, sondern auch politisch äußerst problematisch, in so kurzer Zeit erneut Gemeindestrukturen flächendeckend zu verändern. Vielleicht reichen aber die anderen Instrumente, wie etwa interkommunale Zusammenarbeit oder E-Government aus, um die Probleme zu lösen.

Was lief bislang verkehrt?

In der öffentlichen Debatte ist die künftige Größe der Gemeinden als erstes diskutiert worden. Um die Debatte kommt man möglicherweise nicht herum, aber das sollte erst am Ende des Prozesses geschehen. Das hat viele verschreckt.

Welche Strukturen brauchen Kommunen, um stark zu werden?

Kommunen müssen in der Lage sein, eigene lokale Prioritätenentscheidungen treffen zu können. Dazu brauchen sie finanzielle Grundlagen und reale Kompetenzen. Eine Kommune, die keinerlei freiwillige Aufgaben mehr anbietet, ist nur ein verlängerter Arm des Staates. Für die Bürger ist sie dann ohnehin entbehrlich. Die kommunale Selbstverwaltung wird zur Farce, dann kann der Staat die Aufgabenerledigung auch gleich selbst übernehmen. Im Allgemeinen ist die Leistungsfähigkeit von Gemeinden mit größerer Einwohnerzahl besser als die kleinerer.

Kommunal- und Landesverwaltungen sollen nun in Brandenburg reformiert werden. Ist man hier auf dem richtigen Weg?

Die Enquete-Kommission des Landtages hat bislang zahlreiche Gutachten gesammelt und Anhörungen durchgeführt, über die vielfältigen Vorschläge der Wissenschaft sind wir ebenfalls recht gut informiert. Jetzt ist der politische Sachverstand gefragt, das in bestimmte Richtungen zu lenken. Die Kommission befindet sich aus meiner Sicht nun in einer entscheidenden Phase, in der aus vielen Informationen und Vorschlägen konkrete Wege für Brandenburgs Verwaltung herauskristallisiert werden müssen.

Die Steuereinnahmen in Brandenburg zeigen einen leichten Aufwärtstrend. Das klingt doch erst einmal gut.

Das Problem liegt darin, dass in den nächsten Jahren viele zusätzliche Einnahmen des Staates wegfallen, die lange Jahre den Landeshaushalt mit gespeist haben wie EU-Mittel, Mittel des Solidarpakts II. Zusätzlich beginnt die Schuldenbremse zu wirken. Die Spielräume werden einfach kleiner. Der erfreuliche Steueraufwuchs der nächsten Jahre gleicht das leider vorerst nicht aus. Er deutet aber darauf hin, dass sich die finanzielle Situation des Landes langfristig durchaus stabilisieren kann.

Auf lange Sicht also eher eine positive Prognose, kurzfristig aber eine holprige Fahrt?

So kann man es sagen. Aber man kann sich nicht auf eine solche Entwicklung verlassen. Kurzfristig müssen gegebenenfalls auch andere Lösungen gefunden werden.

Was wäre die größte Gefahr für Brandenburg?

Die größte Bedrohung wäre generell eine Wirtschaftskrise in Deutschland, die das zarte Pflänzchen höherer Steuereinnahmen sofort verdorren ließe. Im Augenblick läuft die Konjunktur gut. Aber wir alle wissen, dass sich dies schnell ändern kann.

Der Länderfinanzausgleich läuft 2020 aus. Nun gibt es im Westen eine Debatte, ob das nicht schneller passieren sollte. Bekommen wir nun einen West-Ost-Konflikt?

Die aktuelle Zuspitzung der Debatte ist wohl dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geschuldet. Grundsätzlich ist es aber so, dass die Kommunen sich weiter ausdifferenzieren. Vor allem die finanzschwachen Kommunen werden immer mehr abgehängt. Am Ende ist es daher kein Ost-West-Konflikt, sondern ein Konflikt zwischen finanzschwachen und -starken Kommunen. Solche schwachen Kommunen findet man in NRW genauso wie in Brandenburg oder in anderen Regionen Norddeutschlands. Im Süden sieht es vielfach besser aus. Natürlich bleibt auch weiter ein Nachholbedarf in vielen Kommunen des Ostens. Es muss auch darauf geachtet werden, dass ein föderales Staatswesen auch auf Solidarität beruht und nicht nur auf maximaler Durchsetzung der eigenen Interessen. Das sollten alle Beteiligten stärker berücksichtigen. Dann kommt auch bis 2020 ein vernünftiger Ausgleich zum künftigen Finanzausgleich zustande.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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Jochen Franzke ist Professor für Verwaltungswissenschaft an der Universität Potsdam sowie Vorstandsmitglied des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Uni (KWI). Ende vergangener Woche veranstaltete das KWI eine Fachtagung zum Thema „Starke Kommunen in leistungsfähigen Ländern“ – als Beitrag zur Diskussion um Funktional- und Territorialreformen in Brandenburg.

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