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Erfolgreicher Tüftler. Der Potsdamer Chemiker Peter Seeberger. 

© Ulrich Kleiner, MPIKG

Hilfe in der Coronakrise: Medikamente aus dem Mini-Reaktor

Gegen Engpass bei Arzneimitteln: Potsdamer Chemiker haben einen Syntheseautomat entwickelt, der ab sofort medizinische Wirkstoffe flexibel produzieren kann.

Potsdam - Mitten in die Coronakrise platzt der Potsdamer Chemiker Peter H. Seeberger mit einer guten Nachricht: In Zukunft könnten Engpässe in der Versorgung mit Medikamenten leichter zu umgehen sein. Und zwar mit einer neuen Mini-Chemiefabrik, die der renommierte Forscher zusammen mit seinem Team entwickelt hat. Gerade mal so groß wie eine handelsübliche Kühl-Gerfrierkombi ist die Apparatur, mit der sich an jedem Ort der Welt kurzfristig Medikamente und andere chemische Substanzen herstellen lassen. Grundsätzlich ließen sich damit auch antivirale Medikamente herstellen, die in der akuten Coronakrise benötigt werden. Biologika wie Impfstoffe lassen sich damit allerdings nicht herstellen.

Coronakrise verschärft Engpass bei Medikamenten

Nachdem gerade aus der chinesische Provinz Wuhan, in der das Coronavirus in China am stärksten verbreitet ist, viele Grundsubstanzen für Medikamente kommen, verschärften sich die Lieferschwierigkeiten von Medikamenten. Doch bereits vor der Krise gab es Engpässe, schon 2018 meldeten deutsche Krankenhäuser die Verknappung bestimmter Heilmittel, vor allem bei Antibiotika, Krebsmitteln und Vorsorgemedikamenten, was auch Kanada und die USA betraf.

Peter Seeberger, Direktor am Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm und Honorarprofessor der Universität Potsdam, hat zusammen mit seinem Team den neuartigen Syntheseautomaten entwickelt, der sich auch in entlegenen Regionen schnell und unkompliziert zum Einsatz bringen lässt. Das Patent ist bereits bewilligt, mit gerade mal 50 000 Euro sind die Anschaffungskosten einer solchen Medikamenten-Fabrik auch nicht gerade unerschwinglich. Hinzu können allerdings noch Kosten für Analysegeräte kommen. Zwei Prototypen stehen bereits am Institut in Golm.

Der Allzweck-Reaktor kann Wirkstoffe unkompliziert produzieren.
Der Allzweck-Reaktor kann Wirkstoffe unkompliziert produzieren.

© MPIKG/Sourav Chatterjee

Sehr viele Medikamente lassen sich damit generieren. Viele Wirkstoffe auf der Liste der 200 wichtigsten Medikamente der Weltgesundheitsorganisation WHO wäre damit machbar, sagt Seeberger. „Das ist der Grundbedarf.“ Die produzierbaren Mengen schwanken je nach Substanz zwischen 100 Gramm und mehreren Kilogramm pro Tag. Mit wenigen Geräten lasse sich so beispielsweise eine Versorgungssicherheit für zahnärztliche Betäubungsmittel herstellen - Substanzen, die mittlerweile auch knapp geworden sind.

Die Technik kann sofort eingesetzt werden

Inzwischen gab es schon Anfragen aus der Großindustrie, erste Industrieunternehmen haben laut Seeberger bereits ihr Interesse angemeldet. Auch mit dem Land Brandenburg gebe es Gespräche über einen Einsatz im Rahmen der akuten Krise, so Seeberger. Die Technik ist so weit entwickelt, das sie ab sofort zum Einsatz kommen könne. Ein Team aus der Abteilung des Direktors am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung hat den neuen Ansatz in der chemischen Synthese entwickelt.

Der neuartige Automat arbeitet mit Hilfe der sogenannten radialen Synthese, bei der die zyklische und die lineare Synthese miteinander kombiniert werden. So werden zwei Techniken aus der Chemie zusammengebracht, die bisher jeweils eigene Geräte erforderten. Bisher wurden entsprechende Anlagen jeweils speziell für ein Produkt konzipiert. Das könnte mit dem Automaten für die radiale Synthese deutlich einfacher werden - zumindest wenn ein Stoff nicht in riesigen Mengen gebraucht wird. „Mit der radialen Synthese schaffen wir einen Paradigmenwechsel in der Chemie“, meint Peter Seeberger.

Die beiden Techniken kombinieren die Potsdamer Forschenden nun, indem sie mehrere Reaktoren für zyklische Synthesen kreisförmig um eine Art Drehscheibe anordnen. So können Zwischenprodukte ferngesteuert von einem zyklischen Reaktor zum anderen befördert und mit linearen Prozessschritten verbunden werden. „Wir können sehr unterschiedliche Reaktionen flexibel kombinieren, auch schnelle und langsame“, erklärt der Chemiker Seeberger. Dass sei wichtig, da chemische Umwandlungen, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen, sich in gängigen linear arbeitenden Chemieanlagen nicht effizient ausführen ließen.

Einsatz in Entwicklungsländern oder auf Polarstation

Mit dem neuen Verfahren würden sich nun auch komplexe Stoffe herstellen lassen, für die bislang mehrere Geräte oder Eingriffe von Hand erforderlich waren – und dies sogar ferngesteuert. Das ermögliche auch die Produktion in Gegenden mit beschränkter Infrastruktur, etwa in Entwicklungsländern. Denkbar sei der Einsatz aber auch auf einer Polarstation oder Marskolonie. Die Apparatur lasse sich schnell auf die Synthese sehr unterschiedlicher, auch komplexer Substanzen umprogrammieren, ohne dass jemand den Prozessor umbauen muss. Dass sich dabei Syntheseschritte kombinieren lassen, für die bislang mehrere Geräte notwendig waren, sei wichtig. „Das könnte bei unverhofften Engpässen an medizinischen Wirkstoffen nützlich sein und Menschen in Entwicklungsländern generell einen flexiblen Zugang zu Substanzen ermöglichen, gerade wenn der Bedarf an einem Stoff nicht vorhersehbar ist“, erklärt Seeberger. Das einzige Problem könnte die Verfügbarkeit der Grundchemikalien vor Ort sein. „Mit den Ausgangsmaterialien zur Hand ist das aber eine riesige Chance“, sagt der Chemiker, der vor zwei Jahren erst einen Durchbruch bei der Herstellung eines Malaria-Wirkstoffes erzielen konnte.

Versuche künftig aus der Ferne steuern

Die neue Technik soll auch die datenbasierte Entwicklung in der Chemie erleichtern. Damit könnte die Suche nach neuen chemischen Produkten und Reaktionsprozessen beschleunigt werden. Peter Seeberger stellt sich die Chemie künftig wie den Service von Internetdiensten vor: „Sie sitzen zwar im Büro vor Ihrem Rechner, der Server, auf dem eine Anwendung läuft, steht aber irgendwo anders auf der Welt“, erklärt der Wissenschaftler. Damit könnten auch Chemiker ihre Versuche künftig aus der Ferne ansteuern. „So lassen sich viel mehr Substanzen und Reaktionen testen“, meint Seeberger. „Und so sind wir in der Lage, auch viel mehr und viel verlässlichere Daten zu sammeln.“ Das wiederum könnte Big-Data-Analysen auch in der Chemie voranbringen.

Die Chemiker des Max-Planck-Instituts wollen die Vielseitigkeit der radialen Synthese nun weiter austesten. Der neue Syntheseautomat könne helfen, die Forschung an neuen Produkten und deren Entwicklung drastisch zu beschleunigen. „Das würde nicht nur Kosten sparen, sondern könnte auch zu mehr Innovation führen“, so Seeberger.

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