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Einen Mangel bestimmter Mikronährstoffe konnten die Wissenschaftler mit dem Phänomen der Altersgebrechlichkeit in Verbindung bringen.

© Christoph Soeder/dpa

Gesund im Alter: Mit Ernährung gegen die Altersgebrechlichkeit

Wissenschaftler des Instituts für Ernährungsforschung in Bergholz-Rehbrücke (DIfE) haben das Frailty-Syndrom, einen degenerativen Prozess im Alter, auf mögliche Zusammenhänge mit der Ernährung untersucht – und sind dabei auf eine heiße Spur gestoßen.

Potsdam- Das Thema hat Zukunft. In einer älter werdenden Gesellschaft sind immer mehr Menschen davon betroffen. Früher hieß es, dass man Gebrechlichkeit im Alter hinnehmen müsse. Mittlerweile gibt es den medizinischen Terminus des Frailty-Syndroms. Betroffene sind kraftlos und schwach, die Schritte werden unsicher, erste Stürze folgen, Muskelschwäche, Erschöpfung und Gewichtsverlust kommen hinzu – bis hin zu körperlichen Beeinträchtigungen, Krankenhausaufenthalten und vielleicht sogar einem frühzeitigen Tod. 

Gegenwärtig will die Forschung das Phänomen enträtseln: Was steckt dahinter, wie kann man es erkennen, was kann getan werden? Ein vielversprechender Ansatz kommt nun von einem internationalen Team der Forschungsinitiative „Frailomic“ um die Forscherin Daniela Weber vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Bergholz-Rehbrücke.

Mangel an Vitaminen und Carotinoiden 

Für eine aktuelle Studie haben sie die Blutproben von 1450 Menschen zwischen 65 und 104 Jahren untersucht. Ihr Ergebnis: Menschen mit Altersgebrechlichkeit haben zu wenig von bestimmten Mikronährstoffen im Blut: Vitamin D, Vitamin E und Carotinoide. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden nun im „Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle“ veröffentlicht. Darin schlagen die Forscher auch einen Ansatz zur Vorbeugung vor. Denn die Konzentration der Nährstoffe im Blut lässt sich in Zukunft vielleicht als zuverlässiger und schnell verfügbarer Biomarker nutzen: Ist der Spiegel zu niedrig, sollte etwas unternommen werden. „Umso eher die Altersgebrechlichkeit erkannt wird, desto besser können Begleitbeschwerden und Folgeerkrankungen mit Ernährungs- und Bewegungsprogrammen behandelt werden“, sagt Daniela Weber.

Bislang wird das Frailty-Syndrom durch Fragebögen und Tests festgestellt, die jedoch das Manko haben, dass man dabei auf die aktive Mitarbeit der Patienten angewiesen ist – etwa bei der Messung von Handkraft und dem verlangsamten Gehen. „Somit ist es schwierig, Altersgebrechlichkeit zuverlässig und rechtzeitig zu diagnostizieren“, so Weber, die Projektleiterin in der Abteilung Molekulare Toxikologie am DIfE ist. Um medizinische Tests zu vereinfachen und Diagnosen zu präzisieren, haben die Forscher daher nach Biomarkern gesucht, die vermehrt oder verringert im Blut vorkommen. Und wurden fündig: „Wir konnten zeigen, dass die Gruppe mit Frailty-Syndrom im Vergleich zu der Gruppe ohne Frailty-Syndrom eindeutig weniger Vitamin D, Vitamin E und weniger Carotinoide, dafür aber erhöhte Werte von oxidierten Proteinen aufwiesen“, erklärt Bastian Kochlik, Erstautor der Studie und Doktorand am DIfE.

Steigende Konzentration geschädigter Proteinen im Blut

Mit dem Mangel der Nährstoffe geht eine steigende Konzentration von geschädigten Proteinen im Blut einher. Einen Zusammenhang zwischen den niedrigen Nährstoffkonzentrationen im Blut der Betroffenen und den geschädigten Eiweißen können die Forscher nicht ausschließen. Denn die genannten Nährstoffe wirken zum Teil als Antioxidantien, verhindern also eine Schädigung von Proteinen – wenn man ausreichend damit versorgt ist. Ob die geschädigten Proteine wiederum zu den Frailty-Symptomen führen, können die Ernährungsforscher nicht sagen. Allerdings gibt es Studien die darauf hinweisen. 

Proteinoxidationen sind Veränderungen an Proteinen, die durch reaktive Sauerstoffspezies und andere chemische Verbindungen verursacht werden. Sie können die Funktion von Proteinen, beispielsweise als Enzym oder Botenstoff, enorm beeinträchtigen. „In einer funktionierenden Zelle werden oxidativ veränderte Proteine repariert oder abgebaut. Diese Schutzfunktion lässt jedoch im fortgeschrittenen Alter nach, was zu einer Ansammlung geschädigter Proteine führen kann und mit verschiedenen Krankheiten, darunter auch Diabetes, assoziiert ist“, erklären die DIfE-Forscher.

Biomarker für den klinischen Alltag

Die neuen Ergebnisse aus Rehbrücke zeigen, wie wichtig Mikronährstoffe in der Ernährung offenbar sind. Daher setzen die Forscher darauf, dass sich ihr Ansatz bald in der Medizin durchsetzt. „Wir hoffen, dass unsere Biomarker irgendwann Einzug in den klinischen Alltag finden", sagt Weber. Diese Biomarker könnten dann genutzt werden, um das Risiko für das Frailty-Syndrom zu ermitteln und um vorbeugende und therapeutische Ernährungsempfehlungen zu geben. In Zukunft könnte der Arzt bei älteren Menschen gezielt nach diesen Biomarkern suchen. Und im besten Falle lässt sich der Prozess der Altersgebrechlichkeit dann durch eine Umstellung der Ernährung verlangsamen. „Dass man den Prozess rückläufig machen kann, bezweifle ich allerdings“, sagt Daniela Weber.

Allerdings ist noch nicht geklärt, ob die Probanden zuerst niedrige Nährstoffwerte und vermehrt geschädigte Proteine im Blut hatten, und dann gebrechlich wurden – oder ob es umgekehrt zuerst eine Gebrechlichkeit gab, wodurch Ernährung und Appetit gelitten haben und sich dadurch die Blutwerte erst veränderten. Hier gibt es noch weiteren Forschungsbedarf. Als nächstes wollen die Wissenschaftler nun herausfinden wie sich die Biomarker im Verlauf mehrerer Jahre bei einzelnen Probanden verändern. „Denn so können ursächliche Zusammenhänge besser aufgeklärt werden“, erklärt Weber.

Sonnenlicht, Karotten und Nüsse 

Empfehlen können die Rehbrücker Ernährungsforscher generell eine ausgewogene Kost aus viel Obst und Gemüse für eine ausreichende Versorgung mit Vitamin E und Carotinoiden – und das nicht erst im höheren Alter. Bei Vitamin D sollte man in den Sommermonaten auf ausreichend Bewegung im Sonnenlicht achten (bis zu 20 Minuten am Tag werden empfohlen), denn das Vitamin, das auch die Knochen vor Osteoporose schützt, wird durch UV-B-Licht in der Haut gebildet. In den Wintermonaten und bei älteren Menschen muss man gegebenenfalls auf Vitaminpräparate zurückgreifen. „Ich bin kein Verfechter solcher Supplemente, aber bei Vitamin D macht das mehr Sinn als bei den anderen Vitaminen, die man über die Ernährung abdecken kann“, sagt Weber. Grundsätzlich seien Nährstoffe über die Ernährung besser für den Körper, weil so auch noch andere Substanzen wie Polyphenole oder Ballaststoffe mit positiven Effekten und Wechselwirkungen aufgenommen werden. Kombipräparate, wie es sie heute in den USA bereits gibt, wären zusätzlich denkbar. „Aber die Bedarfsdeckung ist grundsätzlich über die Ernährung besser“, betont Weber.

Mit Carotinoiden kann man den Körper gut über Obst und Gemüse versorgen, wir kennen sie als bunte Farbstoffe in Karotten, Tomaten, Orangen, Wassermelonen, aber auch Grünkohl. Und das muss nicht als Rohkost gegessen werden, in einigen Fällen – wie etwa bei Tomate und Möhre – wird die Bioverfügbarkeit der guten Stoffe durch Kochen sogar noch verbessert. Zusätzlich braucht es etwas Fett, da diese Nährstoffe fettlöslich sind. „Erhitzen schadet hier nicht“, sagt die Expertin. Vitamin E bekommt man über Nüsse und Öle wie Weizenkeim, Sonnenblume, Raps, aber auch Olive. Eine Handvoll Nüsse – vor allem Erdnüsse, Haselnüsse und Walnüsse – ist zudem zu empfehlen.

HINTERGRUND

Das Deutsches Institut für Ernährungsforschung DIfE hat explizit einen Forschungsschwerpunkt auf die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern gesetzt. Die „Frailomic“-Initiative ist ein umfangreiches, internationales Forschungsprojekt mit dem Ziel, die Vorhersagbarkeit und Therapie des Frailty-Syndroms zu verbessern. In diesem Zusammenhang sollen unter anderem aussagekräftige Biomarker für die Risikoprognose und die Diagnose der Altersgebrechlichkeit identifiziert werden. Die EU-weite Studie läuft unter dem von der EU finanzierten Forschungsprogramm RP7 „Gesundheit“ und wurde mit 12 Millionen Euro dotiert. 

Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten

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