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Auf den Teller geschaut. Von modischen Ernährungstrends wie glutenfreiem oder veganem Essen hält der Ernährungsexperte Tilman Grune nicht viel. Solche speziellen Ernährungsweisen seien nicht für jeden gesund. Grune empfiehlt vielmehr gesundes Essen, wenig Fleisch, viel Vitamine, Sport, Bewegung.

© Andreas Klaer

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DIfE-Chef Tilman Grune erforscht, wie sich Lebenswandel und Ernährung auf das Altern auswirken

Die kleinste Einheit des Organismus hat Tilman Grune schon in seiner Schulzeit fasziniert: die Zelle. Der Grundstoff menschlichen Lebens. „Wie funktioniert die, was spielt sich in ihr ab, wie verändert sich der Mensch, wenn sich die Zelle mit dem Älterwerden verändert?“ Das will der neue Leiter des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) auch heute noch wissen. Die Neugier des engagierten und von seinem Fach begeisterten Wissenschaftlers treibt den Biomediziner um. Heute konzentriert sich sein Interesse nicht nur auf die Grundlagenforschung, sondern auch auf einen Vorgang, der unausweichlich jeden Menschen trifft: das Altern. Zum Altern gebe es viele Theorien, nicht alle seien jedoch wissenschaftlich haltbar, hatte Grune bei seiner bei seiner Antrittsvorlesung an der Universität Potsdam festgestellt. Beim DIfE hat Grune nun im Blick, wie sich die einmal gewonnenen Erkenntnisse in praktisches Handeln umsetzen lassen.

Seine Ausbildung begann Tilman Grune, der aus Bad Saarow stammt, 1981 mit einem Studium der „Medizinischen Biochemie“ in Moskau. „Die Forschungsrichtung, eine Verbindung von Medizin und Chemie, das gab es nur dort“, sagt Grune. Es habe nur kurze Zeit gedauert, bis er den russischen Vorlesungen problemlos habe folgen können. Stellen als wissenschaftlicher Assistent, Mitarbeiter und Leiter an der Humboldt Universität und Stationen in Düsseldorf, Hohenheim und Jena führten ihn schließlich nach Potsdam. Schon bei seinen vorherigen Forschungen konzentrierte er sich auf die Ernährungstoxikologie und die Biofunktionalität und Sicherheit von Lebensmitteln.

Prozesse, die sich in der Zelle und überhaupt im ganzen Körper beim Altern abspielen, sind einer der Themenschwerpunkte am DIfE. „Wir schreiben aber keine Ernährungsratgeber, sondern betreiben systematische Forschung“, stellt der 52-Jährige klar. Das kantige Profil, die kräftige Statur, die schnurgerade Karriere und der sichere, eloquente Sachvortrag lassen einen erfolgsverwöhnten Wissenschaftsmanager vermuten. Aber die äußere Erscheinung kontrastiert im Gespräch zu Grunes eher vorsichtiger, fragender Artikulation. Es wirkt, als wäre der erfolgreiche Forschungsdirektor bereit, auf eine überraschende Frage des Gegenübers hin seine eigene Position noch einmal zu überdenken.

Dass Tilman Grune einmal ein Forschungsinstitut für Ernährungswissenschaften leiten würde, war eigentlich nicht das Ziel des Vaters zweier erwachsener Kinder. Schon Grunes Vater war Referent an der Humboldt Universität, die Mutter unterrichtete als Lehrerin. Die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft, der Dialog über theoretische Streitfragen lag da also nicht fern. In seiner wissenschaftlichen Karriere und auch bei seiner gegenwärtigen Tätigkeit am DIfE spielt die Diskussion kontroverser Thesen und Positionen eine wichtige Rolle. „Ich glaube nicht, dass wir in der Altersforschung schon so weit sind, wie es einige spektakuläre Positionen darstellen“, sagt Tilman Grune.

Er bezieht sich auf den englischen Bioinformatiker Aubrey de Grey. Der kam zu der für die übrige Fachwelt eher verblüffenden Erkenntnis, dass sich Alterungsprozesse auf zellulärer Ebene ganz erheblich beeinflussen lassen. Der Engländer geht davon aus, dass sich Alterungsprozesse schon in wenigen Jahrzehnten umkehren und sich das Altern möglicherweise vollständig aufhalten lässt. „Wahrscheinlich hat Aubrey noch nie eine Pipette in der Hand gehabt“, vermutet hingegen Grune. Allerdings habe Aubrey richtig erkannt, dass Veränderungen von zellulären Proteinen eine wesentliche Rolle bei Alterungsprozessen in Zellen und Geweben spielen, so Grune. Kurzlebige Molekülfragmente, die bei der Reaktion der Zelle mit Sauerstoff entstehen, freie Radikale, wirkten schädigend auf die Zelle ein. Der gesunde junge Körper verfüge über genug biochemische Mechanismen, um schädliche Nebenprodukte des Stoffwechsels schnell wieder abzubauen. Im Alter ändere sich das allerdings. Mehr schadhafte Reststoffe fielen an, weniger davon würden abtransportiert. Aubrey schlägt nun vor, die schadhaften Zellen einfach auszutauschen und vermutet, dass sich die schädigenden Prozesse weitgehend beeinflussen lassen. Dann wäre möglicherweise nahezu unbegrenztes Leben möglich.

Dem widerspricht Tilman Grune. „Wir sind noch lange nicht so weit, dass wir die Alterung von Zellen beliebig beeinflussen können.“ Eine Beeinflussung von Alterungsprozessen sei gegenwärtig nur über den Lebenswandel möglich: gesundes Essen, wenig Fleisch, viel Vitamine, Sport, Bewegung. Ziel der Forschung des DIfE sei es daher, eher ein langes, aktives und selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen. Hierzu wird am DIfE auch die Wirkung natürlicher Nahrungsinhaltsstoffe erforscht, die möglicherweise dem Brot, dem Joghurt oder anderen Lebensmitteln beigemischt werden können, um deren Gesundheitswert zu erhöhen.

Tilman Grune räumt aber auch mit modischen Ernährungsgewohnheiten auf: „Glutenfreies Essen ist an sich nur für Menschen sinnvoll, die eine Überempfindlichkeit haben. Das sind aber nicht so viele. Veganes Essen ist tendenziell eine Mangelernährung, denn Milch ist eigentlich gesund.“ Zudem sei noch viel weitere Forschung notwendig. Die könne nur gelingen, wenn sie international vernetzt sei: „Häufig sind Ergebnisse erst zu erzielen, wenn hunderttausend oder mehr Probanden untersucht werden.“ So etwas könne ein einzelnes Forschungsinstitut nicht leisten, daher sei die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen in Europa gefragt. Auch die wissenschaftliche Forschung funktioniere gelegentlich nur, wenn sich kleinste Zellen zu einem großen Ganzen zusammenfinden.

Richard Rabensaat

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