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Der Geschichte auf der Spur. Für ihr Berlin-Comic sprachen die Autoren Susanne Buddenberg (r.) und Thomas Henseler (l.) auch mit dem Zeitzeugen Detlef Matthes(M.). Die Ausstellung über den „Tunnel 57“ ist seit dieser Woche in Berlin zu sehen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Homepage: Geschichte im Untergrund

Durch den Tunnel in die Freiheit: Eine Comicausstellung erinnert an eine spektakuläre DDR-Fluchtaktion

Der unterirdische Schacht lag nicht weit vom toten Bahnhof „Bernauer Straße“ – genau unter der Berliner Mauer, die damals Ost und West teilte. 57 Menschen flohen an drei Oktobertagen im Jahr 1964 durch den Tunnel in der Brunnenstraße. Ihre Schicksale haben Thomas Henseler und Susanne Buddenberg, beides Absolventen der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf (HFF), recherchiert – und als Comic erzählt. In dieser Woche eröffnete im Berliner U-Bahnhof „Bernauer Straße“ ihre Plakat-Ausstellung mit dem Titel „Tunnel 57 – Geschichte im Untergrund“. Hier berichten die Comicautoren aus der Perspektive eines Fluchthelfers von den Vorbereitungen auf West-Berliner Seite, vom Graben des Tunnels nach Ost-Berlin.

„Ich wollte keine langweiligen Regisseursnummern mehr machen. Jetzt kann ich alles selber festlegen“, freut sich Thomas Henseler. Insgesamt fünf Geschichten hat er gemeinsam mit Susanne Buddenberg bereits für das im Sommer im Avant-Verlag erschienene Comic-Geschichtsbuch „Berlin - Geteilte Stadt“ recherchiert, gezeichnet und geschrieben. Die Story des „Tunnel 57“ haben die beiden Autoren für die Ausstellung zusätzlich bearbeitet.

Auf Plakatwänden zeichnen sie die dramatischen Ereignisse vom 3. bis 5. Oktober 1964 nach. Mit zahlreichen Zeitzeugen haben sich die Zeichner dafür unterhalten und deren Lebensgeschichten nachgespürt, wie Susanne Buddenberg berichtet. 57 Menschen flohen durch das Erdbauwerk, bevor die Stasi hinter das Fluchtvorhaben einen tragischen Schlusspunkt setzte. Nicht alle Flüchtlinge tauchen in der Ausstellung auf.

„Wie bei einem Film mussten wir uns auf eine Geschichte konzentrieren und uns jemand suchen, aus dessen Perspektive wir erzählen“, erläutert Henseler. In der Ausstellung ist das Fluchthelfer Joachim Neumann. Dem 25-Jährigen war bereits drei Jahre zuvor die Flucht aus der DDR gelungen. Über den selbst gegrabenen Tunnel will der Bauingenieurstudent seine Freundin aus der DDR holen. Dabei weiß er während des Tunnelbaus noch nicht einmal, ob sie überhaupt rechtzeitig aus der Haft entlassen wird, um bei der Flucht dabei zu sein. Als sie es doch schafft, ist ein Teddy das vereinbarte Zeichen, das der Fluchthelfer überbringt.

Nicht alle Zeitzeugen konnten ihre Geschichte selbst erzählen. Buddenberg und Henseler berichten etwa von Reinhard Furrer, der sich ebenfalls als Fluchthelfer engagierte: 1964 studierte er noch Physik, später startete er an Bord des Space Shuttle Challenger als einer der ersten Deutschen in den Weltraum. 1995 stürzte Furrer jedoch bei einer Flugschau in Berlin Johannisthal ab und verunglückte dabei tödlich.

In Archiven und mit Unterstützung der Gedenkstätte Berliner Mauer haben sich die Autoren ein Bild vom zeithistorischen Hintergrund gemacht. „Auf den Fotos sind die alten Autos, die Tapeten und auch die Grenzbauten an der Mauer zu sehen. Wir wollen möglichst authentisch sein“, beschreibt Henseler die Vorarbeiten. Je genauer Details und Personen gezeichnet würden, je mehr ziehe dies den Zuschauer in den Bann.

„Das ist nicht anders als beim Film“, weiß Buddenberg. „Wir sind Filmemacher, Designer, Drehbuchautoren, Zeichner, das lässt sich alles gar nicht trennen“, versichert die prämierte Kinderbuchautorin, die vor ihrem Studium an der HFF bereits ein Designstudium absolvierte. Auch Henseler illustrierte bereits vor seinem HFF-Studium Werbegrafiken. „Das Zeichnen war immer da, auch im Filmstudium“, stellt der Comicautor fest. Als Storyboardzeichner habe er zusammen mit den Regisseuren unmittelbar an den späteren Drehorten die ersten Skizzen für Filme gemacht und sie dann im Atelier im Detail ausgearbeitet.

Das Zeichenhandwerk und sein Wissen um filmische Inszenierung kommt Henseler bei den von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderten Comicprojekten zugute.

„Am Ende spitzt sich alles dramatisch zu“, beschreibt er die Filmhandlung. Denn zwei der vermeintlichen Fluchthelfer waren Spitzel. Sie verraten das Vorhaben an die Staatssicherheit, die mit Maschinengewehren anrückt. Aber auch einer der Flüchtenden greift zur Pistole. Als er schießt, stirbt ein DDR-Soldat. Der Schütze, Christian Zobel, wurde Arzt. Er sei im Bewusstsein gestorben, ein Mörder zu sein, berichten die Comicmacher. Nie erfuhr er, dass es der Soldat Maier war, dessen auf Dauerfeuer gestelltes Maschinengewehr den Grenzsoldaten Egon Schultz tötete. Dies stellte ein Obduktionsbericht der Charité fest, wie die HFF-Absolventen recherchierten. Das hinderte die DDR-Politik allerdings nicht, Schultz als Opfer der Flüchtenden darzustellen. Der vermeintliche Held Schultz erfuhr dagegen Ehrungen in Straßen – und Schulnamen.

Die Ausstellung ist bis 2. November im U-Bahnhof Bernauer Straße zu sehen. „Berlin - Geteilte Stadt“ ist im Avant-Verlag erschienen. 100 Seiten kosten 14,95 Euro.

Richard Rabensaat

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