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Bei dem verheerenden Sumatra-Tsunami 2004 lagen zwischen Beben und Welle 20 Minuten – ausreichend Zeit für eine Warnkette.

© David Rydevik

Geoforschung in Potsdam: Nur zehn Sekunden zur Warnung

In Potsdam tagen bis nächste Woche 40 Nachwuchsforscher aus 28 Ländern. Ihr Ziel ist es, die Vorsorge und Frühwarnung vor Naturkatastrophen zu optimieren - und wie es in der Praxis umgesetzt werden kann.

Potsdam - Zwischen einem Seebeben und dem Landgang des daraus resultierenden Tsunamis können einige Minuten, aber auch bis zu zwei Stunden vergehen – je nach Entfernung des Bebens von der Küste. Genug Zeit für eine Vorwarnung. Bei einem Erdbeben ist das schon viel komplizierter. „Die seismische Analyse muss hier viel schneller laufen, meist hat man nur zehn Sekunden“, erklärt Torsten Dahm vom Potsdamer Geoforschungszentrum (GFZ), der auch Professur am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Uni Potsdam ist.

Dahm sprach in dieser Woche vor 40 Nachwuchswissenschaftlern aus 28 Ländern, die zur Potsdamer Summer School gekommen sind (14.–23. September), um mit renommierten Wissenschaftlern der Potsdamer Geo- und Klimaforschungsinstitutionen sowie internationalen Experten die drängenden wissenschaftlichen und gesellschaftsrelevanten Fragen der Naturgefahren zu diskutieren. Der Potsdamer Geophysiker arbeitet an einem Early Warning System, das die Folgen von Erdbeben in sekundenschneller Warnung zwischen der einem Beben vorauslaufenden, eher seichten Primärwelle und der zerstörerischen Sekundärwelle analysiert. Dahm berechnet für ein Beben in Mexiko eine Vorwarnzeit von 85 Sekunden.

Viel Zeit für eine Warnkette

Dass 85 Sekunden doch eine recht lange Zeit sind, demonstriert der Geophysiker mit einer Videoaufnahme, die während des Meteoriteneinschlags 2013 im russischen Tscheljabinsk gemacht wurde. In einer Fabrik ist der grelle Lichtblitz durch die Fenster zu sehen. Die Arbeiter nehmen davon kaum Notiz, sie machen weiter, als sei nichts gewesen. Bis dann nach 90 Sekunden die Druckwelle des Einschlags die Fenster der Fabrik wegbläst, dauert es länger, als man erwartet hätte. Viel Zeit für eine Warnkette. Bei dem Japan-Beben von 2011 waren es 57 Sekunden, bis die Sekundärwelle, allerdings sehr abgeschwächt, in Tokio eintraf. Ausreichend Zeit für eine Warnung an Behörden, Rettungsdienste, aber auch an die Öffentlichkeit. Um aus einem Gebäude herauszukommen, dürfte das in den meisten Fällen reichen. Die Kunst der Forscher ist es nun, zwischen einem mittleren Beben der Stärke vier und einem wirklich großen Ereignis in den ersten zehn Sekunden zu unterscheiden, um einen falschen Alarm zu verhindern. Eine Warnung nach zehn Sekunden kann in Regionen, die über 30 Kilometer vom Epizentrum entfernt liegen, viele Menschenleben retten.

Das IASS hat für die diesjährige Summer School bewusst nicht nur Wissenschaftler eingeladen, die Naturkatastrophen im Blick haben, sondern auch Rettungskräfte. Man will eine übergreifende Thematik schaffen, die Wissenschaft und Praxis gleichermaßen in den Blick nimmt. „Das Konzept der Summer School ist, dass verschiedene Disziplinen, neben der Wissenschaft etwa auch Ingenieure oder Hilfsoganisationen, zusammenkommen“, erklärte Angela Borowski vom IASS. So soll in den kommenden Tagen geklärt werden, wie Informationen aus der Wissenschaft in der Praxis besser umgesetzt werden können. Es gehe um die ganze Kette – von der Vorbeugung über die Geschehnisse während einer Naturkatastrophe bis zu den Aufbauarbeiten danach.

Vom Potsdamer GFZ wird seit vielen Jahren bereits wissenschaftliche Expertise für den praktischen Katastrophenschutz genutzt: Das Tsunami-Frühwarnsystem aus Potsdam wacht seit 2008 über den Indischen Ozean. Einen ganz neuen Ansatz verfolgt Andrey Babeyko vom GFZ, der für das System GPS-Daten mit seismischen Daten verschneidet, um so ein zeitnäheres Ergebnis zu einem akuten Seebeben zu erhalten. Beim Sumatra-Beben von 2004 mit seinem verheerenden Tsunami, der rund 230 000 Menschen das Leben kostete, dauerte es zwischen dem Beben und dem erstem Eintreffen der Tsunami-Welle an Land rund 20 Minuten – wenn man diese Zeit abwartet, um zu einem exakten Ergebnis zu kommen, ist es schon zu spät. Daher werden jetzt die Messmethoden geschärft.

Warum werde manche Naturgefahren verharmlost und andere dramatisiert?

Im Rahmen der Summer School wird auch der designierte neue IASS-Direktor Ortwin Renn seinen öffentlichen Einstand in Potsdam geben, bevor er voraussichtlich im Februar 2016 die Leitung des Instituts übernehmen wird. Am 21. September spricht Renn in der Reihe „Potsdamer Köpfe nachtboulevard“. Der Risikoforscher mahnt eine differenzierte Sichtweise auf Naturkatastrophen an: Bei ihnen würden der Öffentlichkeit immer gleich dramatische Bilder von Überschwemmungen oder Erdbeben in den Sinn kommen. „Tatsächlich sind für Deutschland aber eher schleichende Naturgefahren wie vor allem Hitzeperioden und Extremwetterereignisse wie Hagelschlag von Bedeutung“, so Renn. Diese würden wesentlich mehr Opfer als die bildstarken Naturgewalten fordern, die oft die Nachrichten dominieren. Renn stellt die Frage, warum die Menschen dazu neigen, bestimmte Naturgefahren eher zu verharmlosen und andere zu dramatisieren. Die Frage, die sich für die Forschung und die Öffentlichkeit gleichermaßen ergebe, sei, wie wir uns in Zukunft besser vor Naturgefahren schützen können.

Der Risikoforscher Ortwin Renn spricht am 21. September um 19.30 Uhr bei der gemeinsamen Veranstaltungsreihe „Potsdamer Köpfe nachtboulevard“, Hans Otto Theater (Reithalle), Eintritt 4 Euro

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