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Verfolgt. Nach der Unterzeichnung einer Friedenspetition geriet Zafer Yilmaz ins Visier der türkischen Regierung. Eine Kampagne der Erdogan-Regierung habe die „Akademiker für den Frieden“ in eine terroristische Ecke gestellt.

© Andreas Klaer

Geflüchteter Wissenschaftler lehrt in Potsdam: Angriff auf die freie Forschung

Der Hochschulprofessor Zafer Yilmaz musste wegen politischer Verfolgung seine türkische Heimat verlassen. Seit Januar 2017 ist er Gastwissenschaftler an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Potsdam.

Potsdam - Begonnen hat alles mit einer Unterschrift. Wie viele Akademiker in seinem Heimatland unterstützte der türkische Hochschulprofessor Zafer Yilmaz im Januar 2016 eine Petition, in der ein Ende des türkischen Militäreinsatzes in den Kurdengebieten und eine friedliche Lösung gefordert wurde. Mit weitreichenden Konsequenzen. Viele Akademiker verloren ihren Job, auch Yilmaz, der die Türkei aus Angst vor weiteren Repressionen und Verfolgung verlassen hat. Seit Januar 2017 ist er Gastwissenschaftler an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Potsdam.

In der vergangenen Woche hielt der Politik- und Sozialwissenschaftler an der Universität einen Vortrag über Autoritarismus und Populismus in der Türkei und anderen Ländern. Der Vortrag gehört zu der interdisziplinären Vorlesungsreihe „Science at Risk - Scholars at Work“, die noch bis Juli an der Uni läuft und in der geflüchtete Akademiker ihre Arbeit und Forschung präsentieren. Veranstalter ist das Centre for Citizenship, Social Pluralism and Religious Diversity mit Unterstützung des internationalen Netzwerkes Scholars at Risk (SAR) und dem Welcome Center der Universität Potsdam, ein Service Center für ausländische Wissenschaftler, die in Potsdam arbeiten, lernen und forschen. Scholars at Risk arbeitet in 39 Staaten mit mehr als 400 akademischen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen, um gefährdete Wissenschaftler zu schützen und die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen. Die Universität Potsdam ist seit März 2017 Mitglied des Netzwerkes.

Mehr als 500 Akademiker haben in der Türkei ihre Stellung verloren

Yilmaz ist Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung. Mit dem Stipendium erhalten Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen in Deutschland die Möglichkeit, gefährdete Wissenschaftler und Forscher mit Unterstützung eines Vollstipendiums aufzunehmen. Ihm sei schon lange vor seiner offiziellen Entlassung, die er im Februar 2017 erhielt, klar gewesen, dass er das Land verlassen muss, erzählt Yilmaz.

Viele Jahre hat der 41-Jährige am Institut für Politikwissenschaft der Ankara University gearbeitet und gelehrt. Nach der Veröffentlichung der weltweit für Schlagzeilen sorgenden Friedenspetition habe es eine Image-Kampagne gegen die mittlerweile mehr als 2000 Unterzeichner von Seiten der Erdogan-Regierung gegeben, die alle der sogenannten „Akademiker für den Frieden“ in eine terroristische Ecke gestellt hat. „Seit der Veröffentlichung haben mehr als 500 Akademiker ihre Stellung verloren, andere sind suspendiert worden“, erzählt Yilmaz. Es habe Verhaftungen gegeben, Reisepässe wurden eingezogen und Ausreiseverbote erteilt. Einige Akademiker wurden wegen „terroristischer Propaganda“ von der türkischen Justiz angeklagt und saßen im Gefängnis. An den Universitäten sei das Vorgehen der türkischen Regierung nicht ohne Widerstand hingenommen worden. "Nachdem an meiner Universität mehr als 100 Professoren entlassen wurden, hat es solidarische Demonstrationen gegeben. Die sind aber von der Polizei mit Gewalt aufgelöst worden“, sagt Yilmaz. Gegen mehrere hundert Unterzeichner und auch die Demonstranten laufen bis heute Verfahren. Auf sie könnten mehrjährige Gefängnisstrafen zukommen.

„Es gibt geheime Spionagenetzwerke"

Es habe schon lange vor der Petition Unterdrückung an den Universitäten des Landes gegeben, erklärt er. Der sogenannte Hochschulrat, ein zentrales staatliches Gremium, kontrolliere alles. Er entscheide, wie viel Geld den Universitäten zur Verfügung steht, wie viele Assistenten und wie viele Studenten an der Uni zugelassen werden. „Das macht die Universitäten sehr politisch. Und Unterdrückung ist dadurch sehr einfach.“ Seit der Petition habe es sich noch verschlimmert. „Es gibt geheime Spionagenetzwerke. Wenn jemand die Regierung kritisiert oder die Wahlen, ruft jemand die Polizei", so Yilmaz. Auch die Professoren würden so überwacht. An den Universitäten herrsche dadurch Angst. Die Redefreiheit werde unterdrückt, die Forschung kontrolliert. In seiner Heimat könnte Yilmaz so seiner Forschung nicht nachgehen.

Zwischen 2005 und 2006 war Yilmaz als Doktorand an der Freien Universität in Berlin. Über seinen dortigen ehemaligen Dozenten habe er den Kontakt zu dem Soziologieprofessor Jürgen Mackert von der Universität Potsdam bekommen, erzählt er. Mackert half ihm bei den Anträgen für ein Stipendium, um die Türkei verlassen zu können. Der Fall seines türkischen Kollegen hat Mackert zudem dazu verleitet, der Uni Potsdam die Mitgliedschaft bei Scholars at Risk vorzuschlagen. „Ich denke, das ist wichtig. Die Uni sollte Flagge zeigen“, meint Mackert. „Den Angriff auf das, was wir als Freiheit der Forschung und Lehre, als Redefreiheit und andere Werte verstehen, nimmt deutlich zu und ist leider in immer mehr Ländern zu sehen.“

Er doziert über die Unterwanderung der Rechtsstaatlichkeit

Yilmaz ist der Uni Potsdam und seinen Kollegen sehr dankbar für ihre Unterstützung. Wichtig ist ihm dabei, dass er als Wissenschaftler wahrgenommen wird. So kam es auch zur Idee der Vorlesungsreihe. Denn trotz der Schwierigkeiten, in denen sich die geflüchteten Akademiker weltweit befinden, würden sie nicht aufhören, wissenschaftlich zu arbeiten, zu forschen und zu lehren, so Yilmaz. „Diese Leute möchten vermeiden, nur einem Opferdiskurs anzugehören. Sie wollen ihre Handlungsfähigkeit zeigen.“

Die Zustände in seinem Heimatland haben jedoch den Fokus seiner Arbeit verschoben. In der Türkei hat Yilmaz Vorlesungen zu politischer Theorie gehalten und über Armut sowie Gegenmaßnahmen wie Wohltätigkeitsarbeit geforscht. Heute sind seine Themen der Vormarsch des Autoritarismus in der Türkei, die Unterwanderung der Rechtsstaatlichkeit und Unterdrückung der Meinungsfreiheit. „Ich habe realisiert, dass ich auch andere Aspekte analysieren muss, wie die politischen, um den Autoritarismus zu verstehen“, sagt Yilmaz. Sein Stipendium an der Uni Potsdam läuft Ende des Jahres aus. Danach wird er für ein weiteres Jahr dank Kooperation der Humboldt-Stiftung und der Universität Potsdam weiterforschen dürfen. Wie es danach weitergeht, ist für den Soziologen noch ungewiss.

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HINTERGRUND: Auf der Flucht

Die Vortragsreihe an der Universität Potsdam bietet ein Forum für Wissenschaftler, die aus ihrem Heimatland flüchten mussten und nun in Deutschland forschen. Die Vorträgefinden bis 12. Juli jeden zweiten Donnerstag von 16 bis 18 Uhr statt (Campus Neues Palais, Haus 12, Raum 0.39). Am 31. Mai spricht die türkische Rechtswissenschaftlerin Zeynep Kivilcim zum „EU-Turkey Refugee Deal“. Über städtische Kämpfe in Istanbul gegen die Hegemonie der türkischen Regierung wird die Wissenschaftlerin Tuba Inal-Çekiç am 14. Juni sprechen. Inal-Çekiç ist Professorin für Stadt- und Regionalplanung und lehrte bis zu ihrer Entlassung im Februar 2017 im Zuge des Notstandsdekrets der türkischen Regierung an der Technischen Universität Yildiz. Derzeit ist sie in der HafenCity Universität Hamburg tätig. Ein weiterer Referent in der Reihe ist Dr. Youssef Kanjou. Am 28. Juni wird er einen Vortrag zum syrischen Kulturerbe im gegenwärtigen Syrien-Krieg halten. Youssef Kanjou war Direktor des Nationalmuseums Aleppo und ist Mitglied im Directorate-General of Antiquities and Museums (DGAM) in Syrien. Seit 2016 forscht Kanjou mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung an der Eberhard Karls Universität Tübingen. (Kix)

Sarah Stoffers

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