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Trump-Effekt: Kinder in den USA hätten sich ihr schlechtes Benehmen vom Präsidenten abgeguckt, sagen Wissenschaftler.

© REUTERS

Gastbeitrag: Der Trump-Effekt an Schulen

Hate Speech und Mobbing: Schulen brauchen eine bessere Gewaltprävention. Das meint Wilfried Schubarth, Professor für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. Ein Gastbeitrag.

Wissenschaftler nennen es den „Trump-Effekt“. Schon kurz nach dem Amtsantritt des US-Präsidenten verschlechterte sich nicht nur das politische Klima, sondern auch das Klima an Schulen, nahmen Mobbing und Ausgrenzung zu. Die Kinder hätten sich ihr schlechtes Benehmen vom Präsidenten abgeguckt, so die Experten.

Gefühlte Gewaltzunahme an Schulen

Seit geraumer Zeit wird auch in Deutschland über ein verändertes politisches Klima diskutiert. Parallel dazu erlebt die Debatte um „Schule und Gewalt“ Konjunktur wie Berichte über Mobbing, Messerattacken oder Gewalt gegen Lehrkräfte zeigen. Die Debatte suggeriert, dass Gewalt an Schulen deutlich zugenommen habe. Doch das ist zunächst eine „gefühlte Gewaltzunahme“. Empirische Studien können diesen weit verbreiteten Eindruck nicht bestätigen – zumindest nicht bis vor Kurzem. Unsere eigene Studie zeigt im Vergleich der 1990er Jahre mit 2014 einen leichten Rückgang von Gewalt an Schulen, mit Ausnahme der psychischen Gewalt. Einen Gewaltrückgang in diesem Zeitraum belegen auch andere Studien, einschließlich der Statistiken der Kriminalämter und der Unfallversicherung.

Gewaltanstieg in allen Bundesländern

Seit 2015/16 hat sich das Bild jedoch offenbar geändert: Seitdem gibt es vermehrt Anzeichen für eine Zunahme von Gewalt, wenngleich die Datenlage nicht einheitlich ist. So meldeten die Landeskriminalämter, dass in zehn Bundesländern eine Trendwende zu beobachten sei. Bei körperlicher und verbaler Gewalt gebe es für alle Bundesländer ab 2013 einen Gewaltanstieg. Als Indiz für eine Klimaverschlechterung wird die Zunahme von Bedrohungen gewertet. Besonders an Grundschulen werden mehr Gewaltvorfälle registriert. Berlin schneidet bei all dem nicht gut ab.

Über die Daten wird viel diskutiert. Wie zuverlässig sind diese? Ist nicht auch die Sensibilität für Gewalt gestiegen? Sind die gemeldeten Fälle nicht eher eine künstlich überhöhte Überlastungsanzeige beim Kampf um mehr Ressourcen und Unterstützung? Klar, alles wichtige Fragen. Doch diese eher akademische Diskussion geht an den eigentlichen Problemen von Schulen heute und deren Hintergründen vorbei.

Da Schule immer auch Seismograf und Spiegelbild der Gesellschaft ist, wäre zu fragen, was sich in den letzten Jahren in der Gesellschaft und folglich auch in der Schule verändert hat. Da wären vor allem die „Flüchtlingskrise“ und der wachsende Rechtspopulismus zu nennen, die das gesellschaftliche Klima verändert haben. Fremdenhass, Misstrauen gegenüber dem „Establishment“, neue und alte Feindbilder sind allenthalben spürbar, ebenso eine Verrohung der Sprache oder ein respektloser Umgang miteinander. Die Sozialen Medien wirken dabei als „Brandbeschleuniger“. Hate Speech ist zu einer neuerlichen Begleiterscheinung geworden. Insofern wäre eine Klimaverschlechterung an Schulen wenig überraschend.

Inklusion, Integration von Flüchtlingen, Unterrichtsausfall

Denn all diese Veränderungen sind auch an der Schule nicht spurlos vorbeigegangen, zumal sich die Institution Schule in den letzten Jahren selbst mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sah: Inklusion, Integration von Flüchtlingen, Unterrichtsausfall, Lehrkräftemangel, teilweise hoher Krankenstand, Quereinsteiger, Sanierungsbedarf usw. sind nur einige Stichworte. Hinzu kommen immer neue Anforderungen. Und das alles bei einer heterogener werdenden Schüler- und Elternschaft. Viele Schulen, vor allem in sozialen Brennpunkten, fühlen sich dabei offenbar überfordert, wie etliche „Brandbriefe“ belegen. Problematisch ist zudem der hohe Anteil von Quereinsteigern, gerade an Grundschulen, so- dass Experten schon vor einer drohenden „Entprofessionalisierung“ und vor einem „Bildungsnotstand“ warnen.

Wilfried Schubarth.
Wilfried Schubarth.

© Karla Fritze/promo

Bei den vielfältigen Aufgaben von Schule ist es nicht verwunderlich, dass manches auf der Strecke bleibt. Ein Nachlassen bei der Gewaltprävention wäre jedoch fatal. Gerade solche Phänomene wie Cybermobbing oder Hate Speech verlangen nach mehr Aufklärung, nach mehr Prävention. Hier gibt es Fortbildungsbedarf, wie unsere Studie ermittelte. So gelangt ein beachtlicher Teil der Mobbingfälle, rund 30 Prozent, erst gar nicht zu den Lehrkräften, was Verbesserungen in der Lehrer-Schüler-Beziehung anmahnt. Eine weitere Sensibilisierung für Gewalt und Mobbing tut not: Lehrkräfte mit einem weiten Gewaltverständnis, bei dem auch Hänseleien und Ausgrenzung als Gewalt angesehen wird, intervenieren öfter. Dies überträgt sich sogar auf ihre Schüler, die wiederum öfter bei Gewalt und Mobbing intervenieren. Lernen am Modell heißt das in der Psychologie, ein „Trump-Effekt“ im positiven Sinne.

Grundauftrag von Schulen sollte nicht verloren gehen

Wenn also demnächst wieder über neue Anforderungen an Schule wie Digitalisierung usw. debattiert wird, sollte der Grundauftrag von Schule, eine gemeinschaftsfähige, mündige Persönlichkeit zu erziehen, nicht aus den Augen verloren werden. Dazu bedarf es sozialer und moralischer Kompetenzen, Kompetenzen zum gewaltfreien, konstruktiven Umgang mit Konflikten nicht nur bei der Schüler-, sondern gerade auch bei der Lehrerschaft. Und positiver Vorbilder in der Familie und der Politik. Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten ist erlernbar, auch von Quereinsteigern. Angeraten scheint deshalb eine Qualitätsoffensive „Gewaltprävention“ für Schule und auch für die Lehrerbildung. Ansätze dafür gibt es im neuen Rahmenlehrplan für Berlin und Brandenburg. So bleibt die Hoffnung, dass aus dem bisher eher „gefühlten Gewaltanstieg“ kein realer Gewaltanstieg wird.

Der Autor ist Professor für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. Demnächst erscheint die 3., aktualisierte Auflage seines Buches „Gewalt und Mobbing an Schulen. Möglichkeiten der Prävention und Intervention“ im Kohlhammer Verlag

Wilfried Schubarth

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