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Menschen aufrütteln. Sebastian Grieme will einen umfassenden Klimaschutz durchsetzen, so lange das noch möglich ist. Seinen persönlichen CO2-Abruck hat er errechnet: 4,4, Tonnen pro Jahr. Im Durchschnitt kommen die Deutschen auf rund zehn Tonnen jährlich.

© Andreas Klaer

Fridays for Future: Nicht aufhören, bis es Veränderungen gibt

Der Potsdamer Physikstudent Sebastian Grieme gehört zu den Köpfen der deutschen Bewegung von Fridays for Future. Die Hoffnung, dass sich das Klima stabilisieren lässt, gibt er nicht auf.

Potsdam - Wer dieser Tage den Klimaschutz voranbringen will, braucht Nerven wie Drahtseile. Kommen doch die Maßnahmen der meisten Staaten dem, was die Wissenschaft für dringend nötig hält, kaum nahe. Der Physikstudent Sebastian Grieme ist einer der Köpfe der Fridays for Future-Bewegung. Und er will nicht aufgeben. „Ich glaube nicht, dass ein Mensch, der über die Folgen des Klimawandels informiert ist, wissentlich so schlechte Entscheidungen trifft“, sagt er. Grieme sitzt in der Cafeteria der Uni Potsdam in Golm. Auf dem Handy sucht er nach der Studie, mit der er begründet, warum er die Hoffnung nicht aufgibt. Dann hat er sie gefunden: Es ist der „DeutschlandTrend“ der ARD vom Mai 2019. Darin sagen 86 Prozent der Teilnehmer, der Mensch beeinflusse den Klimawandel, auch 60 Prozent der AfD-Anhänger. Und auch die möchte Grieme keinesfalls verloren geben.

Seit er im vergangenen Dezember mit seinem Engagement für Fridays for Future begonnen hat, verschlingt die Bewegung einen Großteil der Zeit des 19-Jährigen. Seine Tage beginnen früh und enden spät. „Physik ist ungeheuer arbeitsintensiv“, sagt er. Das war ihm schon klar, als er, noch in der Schule, mit seinem Frühstudium an der Uni Mainz begann. Dort hat er auch schon drei Semester geschafft; die werden ihm in Potsdam teilweise anerkannt. „Zum Glück! Sonst ginge das alles gar nicht“, sagt er.

Er steckte mitten im Abitur, als er in eine Whats-App-Gruppe eintrat, die in seinem Heimatort Mainz Anfang dieses Jahres einen Klimastreik organisierte. Der Sohn eines Arztes und einer Lehrerin war sofort dabei. „Wir hatten gehofft, dass 100 bis 200 Leute kommen“, erzählt er. „Aber es kamen 1800 – der Wahnsinn!“

Botschaft vor dem Dinosaurier-Skelett

Die Welle trug ihn weiter: In zahllosen Telefonkonferenzen, manchmal bis um zwei Uhr nachts, diskutierten die Jugendlichen: Was man fordern müsse, wie man auf sich aufmerksam mache, wodurch sich Unterstützer gewinnen ließen. Er kniete sich rein, wühlte sich durch Studien, trug Material zusammen. Grieme glaubt an die Macht der Wissenschaft. Und so kam es, dass er zu denjenigen gehörte, die die Forderungen aufschrieben und der Presse vortrugen, am 8. April dieses Jahres. Der Nachrichtensender Phoenix übertrug live. Auf Youtube kann man sehen, wie die Überbringer der Botschaft sehr ernst und sehr jung vor dem riesigen Dinosaurier-Skelett im Berliner Naturkundemuseum sitzen.

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Der Ort war mit Bedacht gewählt. „Wir befinden uns jetzt im sechsten großen Artensterben, da schien uns das der Saurier ein gutes Symbol.“ Erst zwei Tage vorher war er zum Studium nach Potsdam gekommen. Mit dem Nachtzug, einem Fahrrad, daran zwei Taschen, auf dem Rücken einen Rucksack. „Mein Umzug ging schnell. Ich brauche nicht viel“, sagt er und lächelt.

Aber viele brauchen ihn: In mehr als 20 Chat-Gruppen ist Grieme aktiv. Lässt er das Smartphone aus, etwa weil ein Arbeitspapier abgegeben werden muss, sammeln sich schnell 2000 ungelesene Nachrichten. Aber lassen kann er es nicht: „Wir werden nicht aufgeben, bis wir unser Ziel erreicht haben“, sagt er.

Die Ziele, das sind die der Wissenschaftler: Einhaltung des Pariser Abkommens, geeignete Maßnahmen durchzusetzen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, für Deutschland eine „Nettonull“-Emission an Kohlendioxid bis 2035, den Kohleausstieg bis 2030 und die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energieversorgung bis 2035. Ende 2019 soll die Subvention fossiler Energieträger auslaufen, ein Viertel der Kohlekraft abgeschaltet werden und eine Steuer auf Treibhausgasemissionen fällig werden – 180 Euro pro Tonne sollen schnell erreicht werden. Quasi nichts davon taucht im Klimapaket der Bundesregierung auf. „Das Problem sind nicht die Leute, die nicht genug über den Klimawandel wissen“, zitiert Grieme. „Sondern die, die davon wissen und nichts dagegen tun.“ Er ist davon überzeugt, dass man reden muss. „Ohne Wissen kann man keine guten Entscheidungen treffen.“

Keine Chance bei AfD-Politikern

Grieme ist ein gefragter Gesprächspartner: bescheiden, freundlich, wohlerzogen, zugewandt, klug. Und weil er jede erreichbare Studie zum Klimawandel verschlingt – im Gegensatz zu vielen Politikern, sagt er bitter. „Die meisten haben noch nicht einmal den jüngsten IPCC-Bericht gelesen, dabei hat der nur 31 Seiten.“ Er versucht, nicht nur die Öffentlichkeit zu erreichen, sondern auch die Entscheidungsträger. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Und gar nicht bei AfD-Vertretern, hat er festgestellt.

Deren Bundestagsabgeordneter Karsten Hilse fand in einer Diskussionsrunde im April beim Deutschlandfunk, man könne den Klimawandel ohnehin nicht aufhalten, sondern müsse vor allem Geld in die Anpassung daran stecken. „Den erreicht man gar nicht“, sagt der sonst eher sanftmütige Grieme mit Wut in der Stimme. „Manche lügen einfach. Und man kann dann in der Runde nicht eine Studie aus der Tasche ziehen und das Gegenteil beweisen. Für den Hörer sieht es so aus, als ob nur eine Meinung gegen die andere stünde. Schrecklich. Mit solchen Leuten diskutiere ich nicht mehr!“

Unterstützung vom Professor

Vielleicht könne man wirklich nicht alle mitnehmen, wenn man jetzt handeln will, sagt Grieme. „Uns läuft die Zeit davon.“ Vor allem den zehn Prozent der Weltbevölkerung in Küstennähe, denen der steigende Meeresspiegel die Lebensgrundlage wegschwemmen werden. „An dieser Stelle erkläre ich immer, warum dieses halbe Grad so wichtig ist und warum die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden muss. Bei zwei Grad mehr sterben die Korallenriffe – dann fällt eine Grundlage der Nahrungskette im Meer weg.“ Die Argumentation muss stets wissenschaftlich sauber sein, findet er. Sein Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der an der Uni Potsdam Physik der Ozeane unterrichtet, unterstütze und berate ihn, wenn er sich mit Fragen zu wissenschaftlichen Inhalten an ihn wendet.

Insgesamt sei in Potsdam in Sachen Klimastreik noch Luft nach oben: Die WhatsApp-Gruppe von Grieme, die die hiesigen Proteste organisiert, hat 97 Teilnehmer. Eine eigene Hochschulgruppe zum Thema gibt es nicht – und dass, obwohl das PIK in der Stadt sitzt. Wäre es nicht logisch, jetzt selbst Politik zu machen und die Entscheidungen anzuschieben, vor denen sich andere drücken? Der Student findet das schwierig. „Wir wollen uns nicht in die Parteipolitik hineinziehen lassen. Ich will vor allem verstehen, wie die Welt von innen heraus funktioniert, das wusste ich schon gleich nach der Grundschule.“ Grieme will auf jeden Fall Physiker werden; lernen, lehren, forschen; Klima- oder Astrophysik kommen in Frage.

Der Physikstudent hat sich auch gefragt, wie man die hoch gesteckten Ziele des Klimaschutzes in die breite Öffentlichkeit tragen kann. Über die Menschen, findet er. Daher traf er sich auch mit dem Vorstandsvorsitzenden von ThyssenKrupp, Guido Kerkhoff. Ein ermutigendes Gespräch: Die Industrie sei in vielen Teilen weiter als die Politik, brauche aber jetzt deren Rückendeckung, damit die Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt den nötigen Umstellungsdruck erzeugten.

Der schmale junge Mann selbst hastet weiter zum Treffen eines Verbandes nach Berlin, der seine Mitglieder mit dem Vortrag Griemes aufrütteln will – oder geht es doch vielmehr um Greenwashing? „So genau weiß man das nie“, sagt er. „Aber wir brauchen alle Berufsgruppen für diese Kraftanstrengung. Und wir hören nicht auf, bis es tiefgreifende Veränderungen für den Klimaschutz gibt.“

Stefanie Schuster

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