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Frauenzeitschrift „Saiedet Souria“: "Ich fühle mich jetzt stärker"

Ihre Leserinnen befinden sich im Krieg oder auf der Flucht: Yasmine Merei leitet das syrische Frauenmagazin „Saiedet Souria“. Doch sie selbst ist im Exil.

Wie seicht ihr die typischen Frauenzeitschriften in Deutschland erscheinen müssen. Abnehmrezepte, Schminktipps, Modestrecken und der perfekte Sex. In Yasmine Mereis syrischer Frauenzeitschrift „Saiedet Souria“ wird wohl keines dieser Themen jemals auftauchen. Ihre Leserinnen befinden sich im Krieg oder auf der Flucht. Sie haben Grausames miterlebt. „Es geht um Frauenrechte, um das Leben in Flüchtlingscamps, um Politik und Diskriminierung“, sagt Merei, die bei „Saiedet Souria“ Chefin vom Dienst ist. Es sind wichtige Themen für die „Frauen Syriens“, wie der Titel grob übersetzt lautet, über die dort sonst kein anderes Medium berichtet.

Yasmine Merei sitzt in einem Café in Berlin-Mitte. Die 32-Jährige trägt ein rot-schwarzes Kleid, die langen, dunklen Haare umrahmen ihr Gesicht. Sie wirkt selbstbewusst und ruhig. „Ich fühle mich jetzt stärker“, sagt sie. „Eine Zeit lang konnte ich nicht über das sprechen, was passiert ist. Ich habe viel geweint, weil alles zerstört ist.“ Selbst wenn man ihr Land wieder aufbaute, sagt Merei, sie würde sich nicht mehr heimisch fühlen.

Sie floh zuerst in den Libanon, dann in die Türkei

Merei, die auch in Syrien als Journalistin tätig war und für die Opposition arbeitete, musste 2012 fliehen. Ihr Vater und zwei ihrer Brüder waren schon festgenommen worden, nach ihr selbst wurde bereits gefahndet. Sie verließ ihre Heimatstadt Homs in Richtung Damaskus, fuhr dann in den Libanon, ein paar Monate später in die Türkei.

Ein halbes Jahr verbrachte sie in den USA. Nun lebt sie bis Ende März in Berlin. „Ich mag die Stadt, sie ist so voller Leben. Aber für mich ist es schwierig, immer wieder umzuziehen und kein richtiges Zuhause zu haben“, sagt Merei.

Für ihre Arbeit spielt es keine Rolle, wo sie sich befindet. Chefredakteur Mohammad Malaki sitzt in Gaziantep in der Türkei, die Autorinnen in Syrien und überall auf der Welt. Merei vergibt die Themen, redigiert Texte und bringt sie für das Magazin in Form. Sie wählt Essays aus Frankreich, Großbritannien oder den USA aus, die für das Magazin übersetzt werden.

Dem Assad-Regime ein Dorn im Auge

Gegründet, weil es sonst kein vergleichbares Angebot gab, erscheint „Saiedet Souria“ seit Januar 2014 – derzeit mit einer Auflage von 5800 Stück in Syrien, der Türkei und Ägypten. Gefördert wird das Magazin etwa von der Schweizer Regierung, dem europäischen Demokratiefonds und der niederländischen Entwicklungsorganisation Hivos. Doch obwohl es wenig finanziellen Schwierigkeiten gibt, ist die Produktion schwierig.

„Wir wollen über politische und soziale Rechte für Frauen informieren. Wir kritisieren Kinderheirat, zu geringe Beteiligung von Frauen in der syrischen Politik und Ehrenmorde, für die in Syrien noch immer Minderjährige beauftragt werden“, sagt Merei. Das bedeutet aber auch, dass „Saiedet Souria“ dem Assad-Regime ein Dorn im Auge ist. In den vom Regime kontrollierten Gebieten hat „Saiedet Souria“ deshalb nur ein geheimes Büro.

Die Brüder geflohen, der Vater tot

„Dort können wir nicht richtig arbeiten, weil das Team Gefahr läuft, von den Sicherheitskräften der Regierung festgenommen zu werden“, sagt Merei. Die Zeitschrift wird heimlich verteilt, manche Frauen kommen sie auch in der Redaktion abholen. Autorinnen schreiben oft unter Pseudonym. Merei fühlt sich verantwortlich für die Mitarbeiter, die einem Risiko ausgesetzt sind. Doch zurückgehen könnte sie nicht. Sie würde sofort selbst festgenommen werden. Und wohin würde sie auch zurückkehren? Zwei ihrer Brüder leben nun im Libanon, viele ihrer Freunde sind tot. Von dem Mann, den sie mit 24 heiratete, ohne ihn zu kennen, ist sie seit eineinhalb Jahren geschieden. Ihr Vater ist gestorben. „Als er festgenommen wurde, war er 70. Er wurde gefoltert. Musste mitansehen, wie meine Brüder gefoltert wurden“, erzählt Merei. Nach 50 Tagen wurde er freigelassen. Er starb nach vier Hirnschlägen.

Merei trägt heute kein Kopftuch mehr

Merei weiß, was ihre Leserinnen durchmachen. „Die Frauen in den belagerten Gebieten können nicht weg. Sie haben kein Geld und werden die ganze Zeit bombardiert. Mir ist klar, dass sie nicht unbedingt über politische Partizipation nachdenken.“ Merei selbst hat sich seit Beginn der Revolution verändert. Am sichtbarsten wird das wohl daran, dass sie heute kein Kopftuch mehr trägt.

„Früher habe ich bei jeder kleinen Sache, die ich getan habe, über Gott nachgedacht. Ich war sehr religiös.“ Doch nachdem sie Syrien verließ, begann sie zu zweifeln: Wenn es einen Gott gibt, müsste er dann nicht die Muslime beschützen? Und hatte sie den Hijab wegen Gott getragen oder aus Angst davor, was sonst die Leute sagen würden? Sechs Tage nach ihrer Scheidung im April 2014 legte sie das Kopftuch ab. Sie hat aufgehört zu beten. Sie sagt: „Es gibt keine Wunder im Leben.“

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