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Während des Einsatzes des 22. Kontingents im Jahr 2010 waren 44 Prozent der Soldaten mit dem Tod von Kameraden konfrontiert.

© Michael Kappeler/dpa

Forschung von Potsdamer Militär-Soziologen: Was der Afghanistan-Einsatz bei den Soldaten auslöste

Potsdamer Militärforscher haben die Folgen des Afghanistan-Einsatzes für deutsche Soldaten untersucht – mit einem überraschenden Fazit.

Potsdam - Feuergefechte, Verwundete und Tote: Das haben Bundeswehr-Soldaten vor allem in Afghanistan erlebt. Was das langfristig bei ihnen ausgelöst hat, dazu haben Potsdamer Militärforscher jetzt einen neuen Bericht vorgelegt. „Erstmals können Folgen von Einsatzerfahrungen auf das Leben von Soldaten und Veteranen der Bundeswehr über einen Zeitraum von mehreren Jahren untersucht werden“, schreibt das Forscher-Team des Potsdamer Bundeswehr-Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften (ZMSBw). Die PNN geben einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der Studie.

Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in der Potsdamer Zeppelinstraße.
Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in der Potsdamer Zeppelinstraße.

© ZMSBw

Wer wurde bei der Studie befragt?

Die Forscher haben deutsche Soldaten des sogenannten 22. Kontingents des Nato-Einsatzes in Afghanistan interviewt. Dabei wurde die Befragung zu verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt: vor dem Einsatz, währenddessen, sechs Wochen danach und noch einmal drei Jahre später. Zu jedem der Zeitpunkte haben mehr als 1000 Soldaten an der Studie teilgenommen. Sie „sind typische Vertreter der Generation Einsatz der Bundeswehr“, konstatieren die Forscher. Mittlerweile hätten sie im Durchschnitt jeweils an drei Auslandseinsätzen teilgenommen.

Wie waren die Einsatzbedingungen?

Die Bundeswehr-Soldaten des 22. Kontingents waren im Jahr 2010 in Afghanistan eingesetzt. Dort waren sie in Stabilisierungs- und Ausbildungsaufgaben eingebunden. Allerdings waren sie auch immer wieder mit Kampfsituationen konfrontiert. „Das Jahr war für die Bundeswehr das gewaltintensivste in Afghanistan“, schreiben die Forscher. Während des Einsatzes sind sieben Soldaten des Kontingents gefallen, 28 weitere wurden verwundet. 36 Soldaten mussten den Einsatz aufgrund psychiatrischer Diagnosen vorzeitig beenden. „Die Erfahrungen mit Beschuss und Gefechten, Tod und Verwundung prägen den Horizont dieses Kontingents“, so die Wissenschaftler in der Untersuchung. Mehr als die Hälfte der Soldaten haben nach eigenen Angaben feindlichen Beschuss erlebt. 44 Prozent von ihnen waren mit dem Tod von Kameraden konfrontiert.

Gesundheitliche Auswirkungen

Fast jeder zehnte Soldat des Kontingents berichtet auch drei Jahre nach der Rückkehr von bleibenden psychischen oder physischen Beeinträchtigungen. Neun Prozent von andauernden Fremdheitsgefühlen im Alltag. Ein Hauptmann formuliert es wenige Wochen nach dem Einsatz so: „Mein Leben kam mir nach dem Einsatz irgendwie anders vor. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, wieder hier in den Alltag rein zu kommen. Das ist einfach eine andere Welt.“

Auswirkungen auf die Persönlichkeit

Die am meisten genannte Veränderung der eigenen Person durch den Einsatz ist ein stärkeres Selbstbewusstsein. Mehr als die Hälfte der Soldaten sagte zudem, dass sie ihr Leben nach der Einsatz-Erfahrung stärker wertschätzten. Etwa jeder Zweite gab an, dass er durch den Einsatz psychisch belastbarer geworden sei. Ähnlich viele sagten, dass sie seit ihrem Einsatz gelassener seien.

Auswirkungen auf die Partnerschaft

Klar ist für die Forscher, dass der Einsatz für die Soldaten nicht zu vermehrten Trennungen geführt hat. Im Gegenteil seien in den dreieinhalb Jahren zwischen Einsatzvorbereitung und der letzten Befragung aus vielen Partnerschaften Ehen geworden. „Angesichts der Belastungen und Beanspruchungen, mit denen die Partner speziell von (Einsatz-)Soldaten umgehen müssen, ist dies ein bemerkenswerter Befund“, schreiben die Forscher. Nichtsdestotrotz sind ein Viertel der Paarbeziehungen, die noch im Einsatz bestanden, drei Jahre später gescheitert. 62 Prozent nannten als einen der Gründe eine häufige einsatz- oder berufsbedingte Abwesenheit.

Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit

Rund 70 Prozent der Soldaten sind drei Jahre nach dem Einsatz mit dem eigenen Leben zufrieden. Acht Prozent der befragten Soldaten gaben hingegen an, persönlich unzufrieden zu sein. Deutlich negativer fallen die Werte bei der Frage nach der beruflichen Zufriedenheit aus: Nur 48 Prozent der Befragten antworteten, dass sie mit dem Dienst in der Bundeswehr zufrieden seien.

Verhältnis zum Einsatz

Etwa sieben von zehn Soldaten würden sich noch einmal freiwillig für einen Einsatz melden, für knapp ein Drittel kommt dies dagegen eher beziehungsweise nicht infrage. 37 Prozent antworteten, dass sie sich auch gegen den Willen der Familie erneut für einen Einsatz melden würden. Beinahe jeder Dritte würde Kameraden die Teilnahme an einem Auslandseinsatz empfehlen. 23 Prozent würden dies nicht tun. Acht von zehn Soldaten gaben an, stolz darauf zu sein, Teil des Kontingents gewesen zu sein. Allerdings stimmten nur 55 Prozent der Aussage zu, dass der Einsatz des Kontingents „alles in allem“ erfolgreich war.

Das Fazit der Forscher

Im Resümee der Forscher heißt es: „Die Befunde haben teilweise auch uns als Autoren der Studie überrascht.“ Eigentlich seien sie davon ausgegangen, dass die Soldaten wegen der intensiven Gewalterfahrung auch lange nach der Rückkehr noch große Schwierigkeiten haben würden. Zwar habe es individuell schwerwiegende Folgen des Einsatzes für eine Reihe von Soldaten gegeben. Doch eine Mehrzahl der Soldaten komme drei Jahre später mit den Belastungen des Einsatzes überwiegend gut zurecht. Mit dem Einsatz würden die Soldaten nicht nur negative, sondern auch positive Erfahrungen verbinden. Ein Soldat fasste im Interview mit den Studien-Autoren seine Erfahrung so zusammen: „Es war meine beschissenste und gleichzeitig meine beste Zeit.“ Der Einsatz habe ihn zu „allem, was ich heute bin“, gemacht.

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