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Auf den Zahn gefühlt. Michael Hofreiter vom Institut für Biochemie und Biologie an der Universität Potsdam untersucht in Hamburg im Zoologischen Museum den Stoßzahn von einem Narwal-Schädel. Im Hintergrund ist ein Skelett von einem Pottwal ausgestellt.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Forschung an der Universität Potsdam: Knochenjob im Genlabor

Der Biologe Michael Hofreiter, Professor für Evolutive Adaptive Genomik, untersucht die Erbinformationen ausgestorbener Tiere. Im Interview spricht er über die Grenzen seiner Forschungen - und überraschende Ergebnisse.

Mammut, Quagga, Riesenfaultier: Auf Ihrem Schreibtisch steht ein urzeitlicher Zoo im Miniaturformat. Herr Hofreiter, ist das die Sammlung Ihrer Kinder?

Nein (lacht), das ist tatsächlich meine eigene Sammlung, die nach und nach entstanden ist. Das sind Arten, zu denen ich bereits gearbeitet habe. Allerdings ist die Sammlung nicht komplett, einige sind sehr schwer zu bekommen.

Warum befassen Sie sich mit Lebewesen, die es gar nicht mehr gibt?

Wir arbeiten durchaus auch mit heute noch lebenden Tieren. Aber die ausgestorbenen sind eben besonders interessant, weil man bisher so wenig über sie weiß. Wir wollen herausfinden, wie sie mit den heute lebenden Arten verwandt waren, warum sie ausgestorben sind und wie ihre Evolutionsgeschichte aussieht. Arten wie das Mammut oder der Säbelzahntiger sind natürlich per se schon spannend und ungewöhnlich.

Das Ausgangsmaterial sind Knochen oder Zähne. Was machen Sie damit?

Unser Ziel ist es, den gesamten genomischen Bauplan freizulegen. Dazu lösen wir ein Stück Knochen in Puffer auf, reinigen die DNA und sequenzieren sie. Dann vergleichen wir die erhaltenen Genomabschnitte mit der Erbinformation heute lebender Arten und können wie bei einem Puzzle bestimmen, wie das komplette Genom ausgesehen hat. In seltenen Fällen besteht das Ausgangsmaterial auch aus Weichgewebe oder getrockneten Kotballen – etwa bei Faultieren. Diese enthalten dann nicht nur die DNA der Tiere, sondern auch die der gefressenen Pflanzen. Für eine Genomanalyse benötigen wir etwa drei bis vier Wochen. Mit den Informationen kann man zum Beispiel bestimmen, wann sich die Arten getrennt haben oder wie sich die Tiere durch Mutationen an Umweltbedingungen angepasst haben. Auch Parasiten oder Darmbakterien lassen sich so untersuchen. Bei Menschen kann man anhand des Zahnsteins bestimmen, welche Mundflora sie vor 1000 Jahren besaßen.

Sie haben bereits den genetischen Code von Mammuts, Wikinger-Pferden oder den ersten domestizierten Hühnerrassen entschlüsselt – gibt es etwas, das sich der Analyse verweigert hat?

Momentan interessieren uns Zwergelefanten, die einst auf verschiedenen Mittelmeerinseln heimisch waren. Diese hatten zum Teil eine Schulterhöhe von weniger als einem Meter. Mit den Proben waren wir hier leider nicht erfolgreich. Das liegt daran, dass DNA in warmen Klimaten schneller zerfällt. Wir mussten aufgeben, da einfach keine oder zu wenig DNA in den Knochen vorhanden war.

Sie nutzen uralte DNA und blicken Tausende Jahre zurück in die Vergangenheit – wo liegt die zeitliche Grenze ihrer Untersuchungen?

Das hängt von der Umgebung ab. Je kälter und gleichmäßiger das Klima, desto älter können die Proben sein. Je wärmer und wechselhafter das Klima ist, desto schneller zerfällt die DNA. Ein Extrembeispiel ist das Monsunklima in Indien. Wir hatten Proben, die nur 100 Jahre alt waren, aber selbst nach so kurzer Zeit keine DNA mehr enthalten haben. Deshalb funktionieren übrigens auch Saurierknochen nicht. Das andere Extrem ist der Permafrost. Der älteste Permafrostboden ist seit 700 000 Jahren gefroren. Aus einem hier gefundenen Pferdeknochen haben wir gemeinsam mit Kollegen aus Santa Cruz und Kopenhagen erfolgreich DNA gewonnen.

Die genetischen Untersuchungen von ausgestorbenen Tieren verraten mitunter auch einiges über die Geschichte des Menschen.

Ja, man kann zum Beispiel untersuchen, wie die Anzahl der Tiere und die Häufigkeit archäologischer Fundstätten miteinander korrelieren. Bei einigen Arten nimmt die Populationsdichte ab, je mehr Menschen in der Nähe siedelten – vermutlich, weil sie bejagt wurden. Beim Höhlenbären geht man davon aus, dass er vertrieben wurde, da er denselben Wohnraum wie der Mensch nutzte. Ein anderes Beispiel sind die Islandpferde, die aufgrund einer Mutation eine spezielle Gangart – den Tölt – beherrschen. Man hat festgestellt, dass die männlichen Vorfahren der Isländer aus Skandinavien stammen, die weiblichen jedoch aus England. Und auch die Mutation der Islandpferde stammt ursprünglich aus England. Die Wikinger sind also vermutlich ohne Frauen und Pferde losgefahren, haben dann beide in England eingeladen und sind weiter nach Island gereist.

Welches Ihrer eigenen Forschungsergebnisse hat Sie bisher am meisten überrascht?

Wir haben Elefanten untersucht, die vor 100 000 Jahren in Deutschland lebten. Ein ausgewiesener Experte und Paläontologe war sich anhand morphologischer Merkmale sehr sicher, dass die nächsten Verwandten dieser Tiere die Asiatischen Elefanten sind. Zur Auswahl standen noch der Afrikanische Savannenelefant, das Mammut und der Afrikanische Waldelefant. Der Waldelefant sei der unwahrscheinlichste Kandidat, sagte der Paläontologe. Er meinte, er würde die Wissenschaft an den Nagel hängen und Gärtner werden, wenn er falsch läge. Mittlerweile haben wir das Genom sequenziert und entdeckt, dass der nächste Verwandte ausgerechnet der Afrikanische Waldelefant ist.

Träumen Sie manchmal auch davon, die von Ihnen untersuchten Tiere lebendig zu sehen?

Ich selbst würde es absolut fantastisch finden, wenn Mammuts wieder durch die Steppen Sibiriens streiften. Mittlerweile gibt es neue molekulare Methoden, mit denen man DNA-Stücke austauschen und so vielleicht ein komplettes Genom zusammensetzen kann. Theoretisch könnte man vielleicht mit sehr viel Geld und extremem Aufwand Mammuteizellen und -spermien züchten und die befruchteten Eizellen in einen Asiatischen Elefanten einpflanzen. Ob das allerdings ethisch sinnvoll und wirklich erfolgreich wäre …?

Das Gespräch führte Heike Kampe

ZUR PERSON: Michael Hofreiter (42) ist Professor für Evolutive Adaptive Genomik an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. 

Dieser Text erschien zuerst in der exklusiven Beilage der Universität Potsdam in den PNN am 26. November. Mehr Neuigkeiten aus Forschung und Lehre finden Sie in der Beilage >>

Heike Kampe

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