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Vergeblicher Ansturm. Seit dem Frühjahr versuchen Tiefdruckgebiete vom Atlantik erfolglos gegen hohen Luftdruck über Mittel- und Osteuropa anzukommen. 

© dpa/dpaweb

Update

Folgen des Klimawandels: Verhängnisvolle Blockade

Potsdamer Klimaforscher sehen die Erwärmung der Arktis und die Luftverschmutzung als Ursache für signifikante Veränderungen in der Atmosphäre unseres Planeten, wodurch es immer öfter zu gefährlichen Wetterereignissen kommen kann.

Als das Thermometer am 30. Oktober in Potsdam von gerade mal fünf Grad am Vortag plötzlich auf knapp 21 Grad nach oben schoss, dürften sich viele über den warmen Herbsttag gefreut haben. An einem 30. Oktober war es hier in der Region seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nie so warm. Ganz ungewöhnlich sind solche Ausreißer zwar nicht, auch Anfang November gab es hier schon Tage mit über 20 Grad: so etwa den 1. November 1968 mit 21,2 Grad oder den 5. November 1899 mit 21,5 Grad. Doch der Herbstsommertag in der vergangenen Woche war für Meteorologen dennoch durchaus ungewöhnlich.

Denn das Tief „Vaia“, das vom Mittelmeer noch Norden zog und auf seiner Ostflanke die warme Luft mitbrachte, während es im Westen Deutschlands Schneeschauer gab, befand sich auf einer eher ungewöhnlichen Zugbahn. Meist wandern solche Genua-Tiefs Richtung Nordosten. Diesmal aber lag die Höhenströmung Jetstream anders und war relativ stabil. So zog „Vaia“ schnurstracks nach Norden. Auf der Alpensüdseite kam es dabei zu teilweise katastrophalen Regenmengen mit schweren Schäden, während der Föhnsturm warme Luft aus dem Mittelmeerraum ansaugte und bis nach Brandenburg und Berlin blies. 

Schlingernder Höhenwind

ZDF-Wetterexperte Özden Terli sagte, dass der Jetstream, wie das Starkwindband in der oberen Troposphäre genannt wird, über West- und Mitteleuropa in der vergangenen Woche wie angetackert hängengeblieben sei. Es bewegte sich nur sehr langsam. „Dazu gibt es eine starke Nord-Süd-Komponente, also der Jetstream  mäandert, schlängelt sich, intensiv“, so Terli. So konnte ungewöhnlich kalte Luft bis nach Afrika vorstoßen und über dem Mittelmeer das Unwettertief „Vaia“ erzeugen. Bereits im vergangenen Ausnahmesommer blieb der Jetstream über dem Atlantik über Wochen festhängen – was über Deutschland zu einer beispiellosen Phase mit zu trockenem und zu warmem Wetter führte. Die Wetterlage hat sich seither nicht geändert, immer wieder blockiert ein Hoch über Mittel- und Osteuropa die Tiefdruckgebiete vom Atlantik, die dabei entstehenden Mittelmeertiefs führen aktuell in Italien wiederholt zu katastrophalen Regenmengen. Mittlerweile geht aus Daten des Deutschen Wetterdienstes hervor, dass 2018 in Deutschland bislang das wärmste und trockenste Jahr seit Messbeginn war – und auch der November soll – bis auf ein kurzes Schauerintermezzo am kommenden Wochenende – erst einmal weiter lau und trocken bleiben.

Aus dem Tritt. Der Jetstream winded sich stärker als früher, durch die Schwingungen wird die Strömung stationärer und blockiert so Wetterlagen. 
Aus dem Tritt. Der Jetstream winded sich stärker als früher, durch die Schwingungen wird die Strömung stationärer und blockiert so Wetterlagen. 

© Michale Mann, Pennstate University

„Das außergewöhnliche Verhalten des Jetstreams macht viele Fachleute ratlos“, so ZDF-Meteorologe Terli. Es passe allerdings exakt in das Muster der Veränderungen, durch die vom Menschen verursachte Klimakrise. Und dies beobachten auch Potsdamer Klimaforscher bereits seit einigen Jahren: Der Jetstreams mäandert stärker und wird dadurch stationärer – mit teils drastischen Auswirkungen auf das Wetter in Mitteleuropa. Eine neue Studie internationaler Forscher unter Beteiligung von Wissenschaftlern des Potsdam-Instituts für Klinmafolgenforschung (PIK) kommt nun zu dem Ergebnis, dass es durch die Störung gigantischer Luftströme in der Atmosphäre zu mehr Extremwetter kommt. Die am 31. Oktober in „Science Advances“ veröffentlichte Untersuchung sieht vor allem eine starke arktische Erwärmung als Ursache für die Veränderungen des Jetstreams. Diese Erwärmung reduziere den Temperaturunterschied zwischen dem Nordpol und den Subtropen. „Und dieser Unterschied ist ein wesentlicher Treiber des Jetstreams“, erklären die Forscher. Wenn die Westwinde aufhören, Wettersysteme voranzutreiben, halten diese länger an: „Aus ein paar sonnigen Tagen kann eine Hitzewelle werden, anhaltender Regen kann zu Überschwemmungen führen.“ Computersimulationen würden einen starken Anstieg von Ereignissen zeigen, bei denen die Wellenbewegungen des Jetstreams in der Atmosphäre aufhören, sich weiter voran zu bewegen.

Auch Luftverschmutzung spielt eine Rolle

Die sogenannten planetaren Wellen geraten nach Modellen der Forscher in ihrer Vorwärtsbewegung aber nicht nur durch die Erwärmung der Arktis ins Stocken. Gleiches simulieren auch Modelle, die die Auswirkungen der Luftverschmutzung mit winzigen Partikeln – sogenannten Aerosolen – beinhalten. Diese Luftverschmutzung blockiere einen Teil der Sonnenstrahlung, etwa in Regionen mit vielen Kohlekraftwerken, und führt so zu einer leichten temporären lokalen Kühlung. „Dadurch wird ebenfalls die Temperaturdifferenz zwischen mittleren Breiten und Nordpol reduziert“, heißt es in der Studie. Die Verringerung der Luftverschmutzung in den Industrieländern könnte damit einen Teil der natürlichen Temperaturdifferenz zwischen den mittleren Breiten und der Arktis wiederherstellen, schließen die Forscher. 

„Unsere Ergebnisse weisen also auch darauf hin, dass eine Verringerung der Luftverschmutzung in den Industrieländern tatsächlich einen Teil der natürlichen Temperaturdifferenz zwischen den mittleren Breiten und der Arktis wiederherstellen könnte – was wiederum dazu beitragen würde, zukünftige Störungen der planetaren Wellen und die damit verbundenen Wetterextreme zu vermindern“, schreibt  der Ko-Autor der Studie Stefan Rahmstorf vom PIK und der Universität Potsdam. So könne die Stilllegung von Kohlekraftwerken in zweierlei Hinsicht zur Vermeidung von Klima-Destabilisierung beitragen: Durch die Reduktion von Treibhausgasemissionen, die die globale und arktische Erwärmung vorantreiben, und durch die Verringerung von Luftverschmutzung. „Wenn wir also den Anstieg gefährlicher Wetterextreme begrenzen wollen, scheint ein schneller Ausstieg aus der Kohle eine ziemlich gute Idee zu sein“, so Rahmstorf.

Gefährliche Wetterereignisse

Die Forscher kommen grundsätzlich zu dem Ergebnis, dass es in Zukunft häufiger zu solch ungewöhnlichen Bedingungen in der Atmosphäre kommen kann. „Wir erwarten, dass solche atmosphärischen Bedingungen um etwa 50 Prozent ansteigen, die einen langsamen, sich breit schlängelnden Jetstream und festgefahrene Wetterextreme begünstigen“, sagt Michael Mann von der Pennsylvania State University in den USA, Hauptautor der Studie. „Wir sprechen dabei von quasi-resonanter Verstärkung planetarer Wellen, was das bedeutet, ist ziemlich einfach: Menschen werden wahrscheinlich häufiger extreme und potenziell gefährliche Wetterereignisse erleben.“ Solche planetarischen Wellenereignisse seien demnach auch Ursache der verheerenden Waldbrände in Kanada 2016, der Überschwemmungen in Europa 2013 und der Hitzewelle in Russland 2010 gewesen.

Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftler nun erstmals das zukünftige Auftreten von Bedingungen, die zu Wachstum und Stillstand planetarer Wellen führen, in einer Vielzahl von modernen Klimasimulationen durchgerechnet. Der Zusammenhang zwischen der Störung atmosphärischer Wellen und Extremwetter war zwar bereits in früheren Studien und für konkrete Ereignisse nachgewiesen worden. Die neuen Erkenntnisse hätten die Forscher nun aber überrascht. Denn trotz teilweise deutlich unterschiedlicher Zukunftsprognosen für Resonanzereignisse des Klimas in den Modellen würden sie im Mittel eine deutliche Zunahme zeigen. 

Besorgniserregender Trend

Zwar seien die Klimamodelle noch zu grob, um extreme Wetterepisoden für bestimmte Zeiten oder Orte vorherzusagen, erklärte Ko-Autor Dim Coumou, der sowohl am PIK als auch an der Vrije Universiteit Amsterdam arbeitet. „Die Modelle sind jedoch in der Lage, große Muster von Temperaturänderungen realistisch darzustellen“, so Kai Kornhuber vom PIK, ebenfalls Ko-Autor der Studie. „In Kombination mit früheren Forschungsarbeiten zu diesem Thema sehen wir in unseren Simulationen einen ziemlich besorgniserregenden Trend: Wetterextreme nehmen im Zusammenhang mit unserem Ausstoß an Treibhausgasemissionen zu, und ein häufigeres Stocken der gigantischen Luftströme hoch in der Atmosphäre scheint hier ein wichtiger Faktor zu sein.“

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