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FILMFESTSPIELE: Zwischen Realität und Fiktion

Die HFF-Filme auf der diesjährigen Berlinale verbindet der Wunsch nach großer Authentizität

Die erste Szene setzt gleich ein unverrückbares Bild. Ein junger Mann steht nackt in einem Stall und streichelt versonnen ein Pferd. Es ist Nacht, offensichtlich sehr warm die Grillen zirpen, irgendwo in der spanischen Provinz. Der junge Mann heißt Carlos, lebt eigentlich in Madrid und besucht gerade seine Eltern in einem kleinen Ort in der spanischen Extremadura. Er wird eine Liaison mit einem ebenso jungen Polizisten beginnen, aber das ist eigentlich nur eine Geschichte am Rande. Viel wichtiger sind in diesem Film die Hintergründe – und natürlich die blendenden Bilder der spanischen Landschaft.

Der Student der Potsdamer Filmhochschule HFF Stefan Butzmühlen hat mit „Sleepless Knights“ einen Kinofilm gedreht, der so gar nicht zu unseren modernen Sehgewohnheiten passen will. Die Kamera schaut sehr lange hin, blickt geruhsam auf die Landschaft, die Menschen und einmal auch auf einen Ameisenhaufen. Für heutige Sehgewohnheiten sind die Einstellungen ungewöhnlich lange und ruhig, geradezu wohltuend. Man kann sich in diesen Bildern einer archaischen Landschaft verlieren, so wie später der demente Vater von Carlos irgendwo in der Steppe verloren geht. Durch das Sägen der Zikaden und das Flirren des Lichts meint man die Hitze des spanischen Sommers geradezu zu spüren. Butzmühlen spricht vom „Gedächtnis der Landschaft“. Einige Szenen driften ins Surreale ab – der spanische Altmeister Luis Buñuel lässt grüßen.

Damit hat HFF-Student Butzmühlen es ins „Forum“ der diesjährigen Berlinale geschafft, was alleine schon einem cineastischen Ritterschlag gleichkommt. Der Student hat „Sleepless Knights“ zusammen mit Cristina Diz realisiert, er hat den Film, der sein Diplomfilm werden soll, unabhängig von der Potsdamer Filmhochschule HFF produziert. Es ist ein sehr ästhetischer Film geworden, im Arthouse-Stil, der gut auf „Arte“ aufgehoben wäre. Im Kino wird er es nicht leicht haben, es ist eher ein Nischenfilm für Bildästheten, der nun vom Verleih Salzgeber vertrieben wird.

Was den Film in das diesjährige Berlinale-Forum gut einsortiert, ist die Frage nach dem Woher, Wohin, dem Bleiben oder Gehen, die im Hintergrund der Geschichte steht. In Madrid gibt es nicht viel zu tun im Sommer, also vertreibt sich Carlos in der „alten“ Heimat die Zeit. Doch er bleibt länger als üblich, sollte er nicht vielleicht sogar ganz bleiben? Auch die HFF-Absolventin Ann-Kristin Reyels hatte es mit der Frage nach dem Lebensentwurf in diesem Jahr mit ihrem Film „Formentera“ ins Forum geschafft.

Die Romanze von Carlos mit dem Polizisten Juan in „Sleepless Knights“ ist nicht weiter der Rede wert, auch weil sie ohne weitere Kontroverse erzählt wird. Was den Film schließlich aber doch so sehenswert macht, ist der Versuch erhöhter Authentizität. „Unsere Darsteller bringen fast alle ihre eigene Geschichte mit in den Film“, erklärt Regisseur Butzmühlen. Der Film erzähle aber nicht ihre Biografie, vielmehr habe sich durch die Parallelität von Drehbuchschreiben und Suche nach den Darstellern eine Synergie entwickelt: „Insofern ist auch immer etwas von der tatsächlichen Lebensrealität der Darsteller in ihre Figuren und somit auch in die Bewegung der Handlung eingeflossen.“

Szenen wie das schlagerumsäumte Tanzfest oder das archaische Treiben der als Ritter verkleideten alten Männer in der spanischen Provinz leben dann auch tatsächlich davon, dass hier mit Laien aus der Region gedreht wurde. Das Verwischen von Grenzen zwischen Realität und Fiktion, ein quasi-dokumentarischer Stil, das taucht in diesem Jahr immer wieder auf der Berlinale auf. Man denke etwa an Angelina Jolies „In the Land of Blood and Honey“ oder an Mendozas „Captive“.

Mit Elementen der Doku-Fiction arbeitet auch der Potsdamer Filmstudent Jan Soldat, der in diesem Jahr gleich zwei Filme auf der Berlinale zeigt. Im skurrilen Kurzfilm „Zucht und Ordnung“ erinnern sich zwei in die Jahre gekommene schwule Männer an ihre wilden Zeiten. Sie sitzen nackt auf der Couch, plaudern und inszenieren sich selbst. Dann sehen wir sie beim Anlegen von Ketten und anderen SM-Accessoires, später wie sie sich etwas kraftlos den Hintern versohlen. Das wirkt alles eher uninspiriert und aufgesetzt, nach neun Minuten ist es dann auch genug.

Einen ganz und gar anderen Film hat Jan Soldat in der Jugendreihe der Generation-Sektion gezeigt. „Crazy Dennis Tiger“ erzählt sehr realistisch die Geschichte von Dennis, der seinen älteren Bruder Philipp rächen will. Philipp war bei einer Wrestling-Veranstaltung unbeabsichtigt verletzt worden. Nun geht Dennis aufs Ganze, um den Wrestler, der den Unfall verursacht hat zu schädigen. Ein Kampf von David gegen Goliath natürlich. HFF-Student Jan Soldat wollte einen Film über jugendliche Wrestling-Fans drehen. Weil er früher selbst gerne diesen Kampfsport gesehen hat, wie er erzählt. In einer Kleinstadt im Berliner Umland fand er seine Darsteller. Im Film vermischen sich Fiktion und Realität. Wenn Dennis mit stoischem Gesicht durch die Stadt läuft, spielt er sich selbst. Die Brüder bringen den Vorort-Slang der Region frei Haus mit: „Ey Alter, biste bescheuert?“ Und lassen damit den Film authentischer erscheinen. Am Anfang hat der HFF-Student dokumentarisch gedreht und daraus dann das Drehbuch entwickelt. Am Ende wurden aus der Improvisation geprobte Szenen. Dass Dennis nicht auf den Mund gefallen ist, konnte man nach der Berlinale-Vorführung erleben. Er übernahm gleich die erste Antwort für seinen Regisseur, der direkt neben ihm stand.

Ein Befreiungsschlag schließlich der Animationsfilm „Rising Hope“ von HFF-Absolvent Milen Vitanov. Der Film im Kinder- und Jugendblock der „Generation“-Sektion hat einfach nur Spaß gemacht. Ein erfolgreiches Rennpferd, das irgendwann schlapp macht, vom Schwindel des Erfolgsdrucks gepackt. Sein Jockey verstößt es, und nun muss der Gaul alleine klar kommen. Am Ende findet er, was er braucht: saftige Wiesen, Hügel und Bäume. Eine schöne Landschaft einfach – womit wir wieder beim ersten Film wären.

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