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Das Amtsgericht Potsdam muss nun über das weitere Verfahren entscheiden.

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Homepage: Fast schon der Normalfall

Eine unanhängige Kommission mit dem Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker untersucht NS-Kontinuitäten im Bundesjustizministerium. Jetzt gibt es erste Ergebnisse.

Die unabhängige wissenschaftliche Kommission zur Aufarbeitung von NS-Kontinuitäten im frühen Bundesministerium der Justiz befindet sich in der finalen Arbeitsphase. Die Autoren der Studie, Professor Manfred Görtemaker von der Universität Potsdam und Professor Christoph Safferling von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, gaben vergangene Woche vor der Potsdamer Juristischen Gesellschaft Einblicke in ihre Arbeit. Im Herbst dieses Jahres wird dann der mit Spannung erwartete Abschlussband mit detaillierten Ergebnissen im Beck-Verlag erscheinen.

"Braune Vergangenheit" auch in höheren Positionen fast schon normal

Kein Geheimnis ist schon jetzt, dass die personellen NS-Kontinuitäten im Bundesjustizministerium bis in die 1970er-Jahre hinein ein erschreckendes Ausmaß hatten und auch in höheren Positionen eine „braune Vergangenheit“ fast der „Normalfall“ war. So gab es Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre faktisch kaum einen BMJ-Abteilungsleiter, dessen Vergangenheit nicht gravierende NS-Vorbelastungen in sich trug. „Diese Kontinuitäten bis zum Generationswechsel in den 1970er-Jahren sind schon frappierend“, konstatierte Görtemaker.

Görtemaker und Safferling besaßen für die Studie, die 2012 noch die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf den Weg brachte, nahezu ideale Forschungsbedingungen. Der gesamte Aktenbestand des BMJ ist in einem Archivkeller in der Berliner Mohrenstraße zusammengefasst, zugleich lagern hier noch viele Dokumente aus Hitlers Reichsjustizministerium. „Wir hatten unbeschränkten Zugang zu den Akten gefordert, und den haben wir auch bekommen“, so Görtemaker. Safferling verweist darauf, dass rund 175 Biografien von Juristen intensiv untersucht wurden, die sowohl im „Dritten Reich“ als auch nach 1949 in etablierten Positionen des Ministeriums agierten.

Todesstrafen-Verfechter machte Karriere als Bundesrichter

Unbelastete Werdegänge wie die des ersten bundesrepublikanischen Justizministers Thomas Dehler (1897–1967) und seines Staatssekretärs Walter Strauß (1900–1976) heben sich in fast schon exotischer Weise vom sonstigen BMJ-Personalpool der 50er- und 60er-Jahre ab. Vielmehr führt die Dokumentenauswertung, wie Safferling sagt, zu „vielen kleinen Freislers“. Und hier bilden Fälle wie der berüchtigte Innsbrucker NS-Sondergerichts-Staatsanwalt Eduard Dreher – in den frühen 40er-Jahren ein Todesstrafen-Verfechter für Bagatell-Delikte und 1954 beinahe noch Bundesrichter – oder Walter Roemer, als Vollstreckungsstaatsanwalt am Münchener Landgericht mitverantwortlich für die Hinrichtung von Sophie und Hans Scholl und später BMJ-Ministerialdirektor, scheinbar nur die Spitze des Eisbergs.

Solche Herrschaften trafen sich ab 1950 auf der Bonner Rosenburg, dem ersten Amtssitz des Bundesjustizministeriums, wieder. Sie deckten und begünstigten einander, wo immer es ging, und mutierten zu beflissenen Dienern der Rechtsstaatlichkeit. „Karriereknicke“ blieben von nun an die Ausnahme, selbst wenn den Betroffenen gravierende Rechtsbrüche aus der NS-Zeit zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten. In krassem Gegensatz hierzu hat sich die Rehabilitierung von Opfern der Nazi-Justiz schwerfällig bis in die 90er-Jahre hineingeschleppt.

Ehemalige Nazi-Funktionäre begünstigten einander

„Im Dritten Reich hat die deutsche Justiz kollektiv versagt, und bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hat sie sich kein Ruhmesblatt verdient“, sagt Görtemaker. In Anbetracht der nun bekannten Befunde eine recht diplomatische Formulierung. Verglichen mit Untersuchungskommissionen zu anderen Bundesministerien und ihren NS-Kontinuitäten, haben Görtemaker, Safferling und Kollegen die Öffentlichkeit schon sehr zeitig und ausführlich miteinbezogen. Dies wird nun auch in der Endphase so bleiben – für Juni ist beispielsweise eine Vorstellung von Teilergebnissen in Israel geplant. Henri Zimmer

Henri Zimmer

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