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Homepage: Familiengespräche

Die Potsdamer Filmhochschule HFF und ihre Absolventen gehen mit Filmen zum Thema Familie auf die Filmfestspiele

Noa liegt zwischen ihren Eltern im Bett und schaut zur Decke. Ihre Großmutter ist gerade ins Krankenhaus gekommen, sie ist schwer krank. Noa (Neta Riskin) fragt ihren Vater, was nur werden soll. Er schaut nicht von der Zeitung auf und sagt nur: „Nichts.“ Jammern helfe auch nicht weiter. Die Studentin ist aus dem kalten Berlin in ihre warme Heimat Israel gekommen, um aus einer persönlichen Krise zu fliehen. Doch zurück bei ihrer Familie brechen nur die alten Konflikte wieder auf – und neue kommen hinzu. Der alte Streit mit der Schwester, der Bruder, der nicht zurück zum Militär will, die Mutter, die will, dass ihre Tochter Karriere macht, die sie mit einem befreundeten Arzt verkuppeln möchte. Als dann Noas Freund Jörg (Golo Euler) aus Berlin überraschend auftaucht, bekommt die Geschichte noch einmal eine ganz neue Wendung.

Mit dem Film „Anderswo“ schließt die Studentin Ester Amrami in diesem Jahr ihr Studium an der Potsdamer Filmhochschule HFF ab. Zusammen mit dem Abschlussfilm „Lamento“ von Jöns Jönsson hat ihr Diplomfilm es nun in die Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ der diesjährigen Berlinale geschafft. Zwei sehr unterschiedliche Filme, die doch um ein ähnliches Thema kreisen. Die Kommunikation, oder vielmehr die gestörte Kommunikation zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Liebenden untereinander, zwischen den Menschen und ihrer Umwelt steht im Mittelpunkt der Filme – einmal im eher distanziert nordischen Schweden („Lamento“) und einmal im stärker familiär geprägten israelischen Süden.

Noa kehrt in den Schoß ihrer Familie zurück, um festzustellen, dass sie für ihre Probleme auch hier keine Lösungen findet. Magdalena (Gunilla Röör) in Jöns Jönssons mehrfach ausgezeichnetem Film „Lamento“ hingegen sucht nach dem Selbstmord ihrer Tochter Sara einen Weg zu ihrem verlorenen Kind. Ein Weg, der ihr vorher offenbar nicht offen stand. Die beiden jungen Frauen, Noa und Sara, waren aus Deutschland in ihre Heimat zurückgekehrt, beide in der Krise, Noa nimmt Tabletten und sucht nach einem Ausweg, Sara hingegen konnte nicht mehr kämpfen, sie nahm sich das Leben.

Noa war in Berlin mit ihrer Abschlussarbeit fürs Studium gescheitert, die Prüfer fanden ihre Idee für ein „Wörterbuch für unübersetzbare Wörter“ nicht förderwürdig, es sei paradox und unwissenschaftlich. Doch die unübersetzbaren Wörter, die sich wie ein Subtext durch den geschickt inszenierten Film ziehen, öffnen eine zweite Ebene neben der Geschichte von Noa. In Kurzinterviews erklären Menschen anderer Kulturen, welche Wörter ihre Sprache besitzt, die man nicht einfach ins Deutsche übersetzen kann. Etwa „Saudade“ im Portugiesischen, eine besondere Art der Melancholie, das Gefühl, etwas, das man sehr geliebt hat, für immer verloren zu haben. Oder das Wort „Stam“ im Hebräischen: eine Mischung verschiedener Bedeutungen, die am Ende so viel wie „unwichtig“ bedeutet oder, dass jemand in Ruhe gelassen werden will. Im Italienischen gibt es das Wort „Magone“, eine Art Druck auf dem Magen, ein Kummer. All dies sind Wörter, deren einfache Übersetzung nicht alles sagt, sie funktionieren nur im jeweiligen Kulturkreis. Wladimir Kaminer darf schließlich das russische Wort „Ostranenie“ erklären, ein Zustand, der der Glückssuche wie auch Versagensängste abgeschworen hat, jemand, der ohne große Ziele zu verfolgen die Welt beobachtet, um sie zu verherrlichen und zu bewundern.

Vielleicht hat dies etwas mit dem „Nichts“ zu tun, das Noa von ihrem Vater zur Antwort bekommt. Als die Großmutter gestorben ist, muss die weinende Noa von ihrer Mutter getröstet werden, weil sie sie nicht mehr zu finden meint. Da antwortet die Mutter der Schwester auf die Frage, was werden soll: „Alles wird gut. Ich bin hier.“ Noa wird zurück nach Berlin gehen, zurück zu ihrem deutschen Freund, von dem sie ihrer Großmutter, die es als Holocaust-Überlebende nicht wissen sollte, doch schon längst erzählt hatte. Sie wird ihre Abschlussarbeit wieder aufnehmen. Es wird weitergehen.

In „Lamento“ wird es auch für Magdalena weitergehen, nur eben ohne ihre Tochter. Als deren Ex-Freund (Hendrik Kraft) unerwartet bei ihr auftaucht, muss sie einen Weg finden, mit ihrer Trauer umzugehen. Und auch mit dem stillen Vorwurf von Saras ehemaliger bester Freundin Lollo, die der Mutter die Schuld an dem Tod des Mädchens gibt. Die Mutter sagt, sie habe Sara nicht drängen können, ihre Tabletten zu nehmen. Sara habe sich am Abend vor ihrem Freitod verabschiedet, sie habe sie zu nichts zwingen können. Als die Mutter, die über ein Medium einen spirituellen Kontakt zu ihrer Tochter sucht, nun behauptet, Sara habe ihnen verziehen, erklärt Lollo sie erst einmal für verrückt. Am Ende hat sie aber doch ein Einsehen und bietet der Mutter ihre Hilfe an. „Lamento“ ist kein leichter Film, er legt sich auf die Stimmung des Zuschauers wie ein bedrückender Traum. Der Film ist so schwermütig wie der finnische Trauermarsch, der zum Abspann zu hören ist.

Ganz anders Ester Amramis Film „Anderswo“: Er ist trotz aller Probleme doch optimistisch, hier bleiben noch die schönen Seiten am Leben, die warme Wintersonne Israels, die Oma, die im Krankenhaus durch die Tür das verlorene Galizien sieht, die ihrer Enkelin trotz ihrer Leiden im Holocaust den deutschen Freund gönnt, Hauptsache, die Enkelin ist glücklich und gesund. Am Ende scheint die Sonne durch die Bäume und über die Felder. Es sind Liebe und Halt der Familie, die Noa schließlich stark für einen Neuanfang machen.

Ebenfalls tief in familiären Verstrickungen wurzelt schließlich der Film „Kreuzweg“ von HFF-Absolvent Dietrich Brüggemann, der es in den Wettbewerb der Berlinale geschafft hat (s. Interview unten). Die 14-jährige Maria (Lea van Acken) steht kurz vor ihrer Firmung. Ihre streng katholische Familie und der Pfarrer vermitteln ihr, dass die Menschen zum Kampf gegen das Böse geboren sind. Dann beschließt Maria, sich Gott vollständig zu opfern, um ihren kranken Bruder zu heilen.

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