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Homepage: „Es könnte morgen schon so weit sein“

Der Potsdamer Geoforscher Thomas R. Walter über Supervulkane, globale Abkühlung und den Straßenverkehr in Neapel

Herr Walter, alle Welt macht sich Sorgen um die Erderwärmung. Dabei könnte nach einem Ausbruch eines Supervulkans alles ganz anders kommen.

In der Erdgeschichte gab es tatsächlich immer wieder großflächige Vulkanausbrüche, die zu einer globalen Abkühlung geführt, mitunter auch zu einer Eiszeit beigetragen haben. Vulkane, die von Volumen und Eruptionshöhe Magnitude acht oder größer haben, sind zumeist Caldera-Vulkane. Wir sprechen von Ausbrüchen, die mehr als 100, ja sogar bis zu 1000 Kubikkilometer und mehr Gestein und Lava befördern können. Zum Vergleich: Ein Ausbruch von 2000 Kubikkilometern würde das Berliner Stadtgebiet 1000 Meter hoch mit Material zudecken. Bekannteste Eruption dieser Art und Größe ist der Toba-Ausbruch auf Sumatra vor 74 000 Jahren.

Was passierte damals?

Das Gas und die Aschepartikel des Ausbruchs sind um den gesamten Globus gewandert, das hat das Klima direkt beeinflusst, es gab eine globale Abkühlung um bis zu fünf Grad. Die genetische Vielfalt der Menschen nahm in der Folge ab, man bezeichnet diese Phase als genetischen Flaschenhals der Menschheitsgeschichte. 3000 Jahre nach dem Ausbruch gab es nur noch rund 2000 Menschen weltweit. Allerdings ist noch unklar, wieso diese Entwicklung nach dem Ausbruch so lange dauerte. Eventuell handelte es sich um eine Verkettung von Reaktionen.

Was macht diese Ausbrüche so gefährlich?

Neben der Asche ist dabei insbesondere das Schwefeldioxid von großer Bedeutung, das umgewandelt in der Stratosphäre das Klima deutlich und sehr viel länger beeinflussen kann als Asche. Schwefelsaure Tröpfchen können über Jahre in der Atmosphäre verbleiben und das Sonnenlicht reflektieren. Hinzu kommt, dass durch die Asche und Gase auch Blätter oder ganze Ozeane bedeckt werden – mit fatalen Konsequenzen für die biologischen Kreisläufe.

Wir sprechen von einzelnen Vulkanen?

Nein, vielmehr sind es großflächig unter der Erde ausgebildete Magmakammern, die gar nicht als einzelne Vulkane erkennbar sind. Das GFZ hat hierzu in Südamerika einige Arbeiten vorangebracht. Wir fanden heraus, dass es sich dabei um ganze Regionen handelt, in denen Satellitendaten kleine, aber messbare Verformungen aufzeigten. Dort waren bislang gar keine aktiven Vulkane bekannt.

Wo spielt sich das ab?

Eine Region liegt im südlichen Bolivien, eine andere 200 Kilometer weiter südlich an der chilenisch-argentinischen Grenze. Dieses Lazufre-Gebiet wölbt sich mit einer Geschwindigkeit von vier Zentimetern pro Jahr auf. Besonders brisant ist, dass diese Beule einen Bereich umfasst, der rund 2200 Quadratkilometer groß ist – das ist so vergleichbar mit der Fläche des Großraum Berlins oder des Saarlandes. Es handelt sich um weitreichende Systeme von Vulkanen. Allein im Lazufre-Gebiet haben wir 40 Vulkane identifiziert, viele in etwa so groß wie der Vesuv.

Dort sind bedenkliche Aktivitäten festgestellt worden.

Wir messen im Lazufre-Gebiet seit den 90er Jahren per Satellit kleinste Bodenbewegungen. Von 1992 bis 1997 war dort keine Verformung zu verzeichnen. Seit 1998 begann sich die Region aber aufzuwölben. Die Bewegung hat sich sogar beschleunigt: bis vier Zentimeter pro Jahr sind es derzeit. Insgesamt hat sich die Region bereits um 23 Zentimeter erhoben. Wir gehen von einer Magmablase in rund zehn Kilometern Tiefe aus.

In der Region gab es im Zyklus von ungefähr zwei Millionen Jahren Ausbrüche, der letzte ist zwei Millionen Jahre her. Es wäre also wieder so weit.

In der gesamten Region der zentralen und nördlichen Anden konnten Forscher durch Analyse von Gesteinsablagerungen gehäufte Ausbrüche an mehreren Orten in Intervallen von ungefähr zwei Millionen Jahren feststellen. Es gibt Studien, die besagen, dass die Region auch jetzt durchaus wieder aktiv werden kann. Aber wir sprechen von Intervallen mit mehren Millionen Jahren. Es ist bislang nicht möglich zu sagen, ob eine neue Aktivität morgen oder erst in 100 000 Jahren eintritt. Ähnlich sieht es in der Yellowstone-Region in den USA aus, wo ebenfalls gewaltige Magmamengen unter der Erde lagern. Auch hier gibt es einen Zwei-Millionen-Jahre-Zyklus, und auch hier wäre es wieder an der Zeit. Aber die Datenmenge ist sehr dünn, Statistiken in solchen Zeiträumen sind schwer möglich und lassen keine exakten Angaben zu. Daher ist immens wichtig, so präzise als möglich kleinste Bewegungen zu messen, um möglich Vorboten zu erkennen.

Dennoch: Es könnte morgen schon so weit sein...

Es könnte, aber derzeit gibt es keine Anzeichen dafür. Allerdings haben unsere Kollegen etwas Beunruhigendes beobachtet. Bislang hat man angenommen, dass das Ansammeln von Magma in Kammern, die Hunderte oder gar Tausende von Kubikkilometer fassen, sehr lange dauert. Doch Untersuchungen an Kristallen haben gezeigt, dass das auch relativ schnell passieren kann, sogar in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren. Deswegen ist es sehr wichtig, all die Regionen zu beobachten, in denen es solche Caldera-Systeme theoretisch geben kann. Die beiden Vulkan-Gebiete in Südamerika wurden eher durch Zufall entdeckt, weil es dort unerklärbare Deformationen gab. Historische Ausbrüche waren gar keine bekannt. Solche Studien müsste man nun systematisch global durchführen. Denn bislang ist gar nicht bekannt, wie viele potenzielle Supervulkane es überhaupt gibt.

Man braucht gar nicht bis Südamerika zu gehen. Unweit von Neapel schlummert unter den Phlegräischen Feldern ebenfalls eine riesige Magmablase.

Dort gab es in der Erdgeschichte bereits Ausbrüche der Magnitude sieben. Ein solcher Ausbruch wäre für den dicht besiedelten Großraum Neapel eine Katastrophe. Wie bereits vor einigen Tausend Jahren könnten dort wieder zehn und mehr Kubikkilometer ausgeworfen werden. Die Auswirkungen eines solchen Ausbruchs wären weltweit zu spüren. Im Vergleich: Beim isländischen Vulkans Eyjafjallajökull handelte es sich nur um 0,2 bis 0,4 Kubikkilometer über einen Zeitraum von dreieinhalb Monaten. Bei Caldera-Vulkanen hingegen gehen wir davon aus, dass sie sehr kurzfristig ihre Magmakammern entleeren, so kommt es zum Einbruch des Daches einer Kammer und zu Ausbildung der sogenannten Caldera.

Auch an den Phlegräischen Feldern – deutsch: „Brennende Felder“ – wurden ungewöhnliche Bewegungen festgestellt.

Die Stadt Neapel liegt zwischen den Phlegräischen Feldern, dem Vesuv und einem vulkanischen System auf Ischia. Die neuesten Daten zeigen, dass alle drei Vulkane sich bewegen, nicht linear oder langsam, sondern es gibt kurzzeitige Ereignisse, an denen die Aktivität plötzlich zunimmt. 2005 gab es beispielsweise solch ein alarmierendes Aufbäumen. Das hatte sich allerdings ohne Folgen wieder beruhigt. Seit 2009 haben wir wieder eine Beschleunigung der Aktivität, auch mit einer Zunahme an Erdbeben. Nicht nur an den Phlegräischen Feldern, sondern auch am Vesuv. Was das bedeutet, muss die Wissenschaft nun noch analysieren. Es gibt Spekulationen über Verbindungen der Magma-Kammern. Aber das ist noch nicht ganz verstanden. Solche Aktivitäten können sich auch wieder beruhigen: In den 80er Jahren hat sich die Gegend rings um die neapolitanische Hafenstadt Pozzuoli über zweieinhalb Meter angehoben – ohne dass ein Ausbruch folgte.

Sie waren gerade erst auf Forschungsreise in der Lazufre-Region.

Verschiedene Arbeitsgruppen des GFZ messen Temperatur und Dampfentwicklung sowie andere Daten an einem der wenigen aktiven Vulkane der Region, dem Lastarria. Diesen Vulkan betrachten wir als eine Art Ventil der tiefer gelegenen großen Magmakammer. Seit Jahrhunderten ist der Vulkan dafür bekannt, dass er große Mengen an Schwefel auswirft. Unsere Modelle zeigen, dass sich eine Änderung in der Tiefe zuerst am Lastarria zeigen sollte. Er hat sozusagen Signalwirkung. Deshalb beobachten wir ihn ganz genau.

Ihr Job ist sicher nicht ganz ungefährlich?

Das gefährlichste, was ich bislang auf Forschungsreisen erlebt habe, war auf dem Moped der Straßenverkehr in Neapel. Aber Spaß beiseite: Der letzte Ausbruch des Lastarria war vor über 70 000 Jahren, es gibt keinen Grund, die Gegend zu meiden. Es spricht auch niemand darüber, die gesamte Eifelregion zu evakuieren – der letzte Ausbruch war hier vor etwas über 8000 Jahren. Auch der penetrante Gestank nach faulen Eiern an Vulkanen ist nicht gefährlich, sondern signalisiert eher, vor anderen, giftigeren Gasen auf der Hut zu sein. Bei explosiven Vulkanen, bei denen wir davon ausgehen, dass sie ausbrechen, sind wir vorsichtiger. Dort versuchen wir stärker mit Satellit und fernerkundlichen Beobachtungen zu messen.

Konnten sie schon einmal einen Ausbruch prognostizieren?

Ja, wir haben schon an einigen aktiven Vulkanen gearbeitet und lokale Teams bei der Prognose unterstützt. Beispielsweise haben wir in Mexiko am Colima Messgeräte zur Überwachung postiert. Am 6. Januar ist der Vulkan nun erneut ausgebrochen. Die erhöhte Erdbebenaktivität und Entgasung wurde bereits Tage vorher gemessen. Nicht zuletzt aufgrund derartiger Daten folgten Krisensitzungen der Behörden und Evakuierungen in der Region. Daran zeigt sich einmal mehr, dass Vulkanausbrüche im Gegensatz zu Erdbeben sehr wohl vorhersagbar sind - solange die Datenlage gut ist.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Thomas R. Walter forscht in der Sektion Erdbebenrisiko und Frühwarnung am Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). Er untersucht auch die Entstehung von Magmakammern.

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