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Ernährungswissenschaftler Stefan Kabisch im PNN-Interview: „Den Weizen nicht verteufeln“

Warum Weizenmehl zu Unrecht einen schlechten Ruf hat und aufgewärmte Nudeln besser für die Gesundheit sind als frisch zubereitete, erklärt Ernährungsforscher Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Bergholz-Rehbrücke (DIfE).

Herr Kabisch, Weizenprodukten wird nachgesagt, dass sie ungesund sind. Können Sie das als Ernährungsforscher bestätigen?

Nein, so allgemein kann man das definitiv nicht sagen. Mehrere in Deutschland gültige Ernährungsleitlinien empfehlen, den Kalorienbedarf zu 45 bis 60 Prozent über Kohlenhydrate zu decken. Und die besten Quellen dafür sind Kartoffeln und Getreide. Für Getreide haben wir Belege, dass sie nicht nur eine energiereiche Sättigungsbeilage sind, sondern als Lebensmittel gegenüber anderen Kohlenhydratquellen besonders günstige Effekte haben. Durch den höheren Gehalt an Ballaststoffen wirken sie dem Diabetes und anderen Erkrankungen entgegen. Das macht Getreideprodukte per se zu gesünderen Lebensmitteln. Auch wenn man bei Kohlenhydraten Maß halten sollte, sind sie aus Getreide allemal besser als beispielsweise einfacher Zucker. Deshalb kann man Getreide oder speziell Weizen nicht verteufeln. Zu viel Kohlenhydrate in absoluten Zahlen sind natürlich ein Problem, weil man dann durch die zu hohe Energiezufuhr zunimmt. Letztlich gibt es aber generell große individuelle Unterschiede, wie einzelne Personen beziehungsweise deren Stoffwechsel auf bestimmte Nährstoffe oder Lebensmittel reagieren.

Also keine Indizien dafür, dass Weizen schlecht für die Gesundheit ist?

Nein, auch beim Vergleich von Getreidesorten untereinander finden sich keine Belege dafür, dass etwa Gerste oder Roggen besser wären. Ob ein Getreideprodukt verdaulich ist, hängt viel stärker von der Verarbeitung ab, dabei unterscheiden sich die Getreidearten, etwa welche Zusatzstoffe sie brauchen, wie klein sie geschrotet oder bei welchen Temperaturen sie gebacken wurden. Diese Aspekte haben tatsächlich Auswirkungen auf die Verdaulichkeit.

Jetzt bin ich aber ein wenig enttäuscht, sind Roggen und Dinkel wirklich nicht besser als Weizen?

Das kann man so hart nicht sagen. Es kommt immer auch auf die Verarbeitung und die Erzeugung an. Ein schlecht gezüchteter Roggen kann schlechter sein als ein guter Weizen. Hier gibt es große Unterschiede.

Das böse Brot, das von Lifestyle-Gurus immer wieder verteufelt wird, gibt es also gar nicht?

Alleine auf den Weizen fokussiert ist das nicht haltbar. Das Problem liegt vielmehr daran, dass es sich um Weißmehl handelt, das deutlich weniger Ballaststoffe enthält. Ein Großteil der Menschen verträgt den Weizen sehr gut.

Es werden dem Weizen mittlerweile auch allerlei Volkskrankheiten zugeschrieben von Rheuma über Migräne bis hin zu Burnout sogar.

Es gibt keine Studien, die das für den Menschen bestätigen. Es gibt Studien, die sich mit sehr großen Datenmengen befassen, hieraus ist nicht ersichtlich, dass Weizen gefährlich ist.

Weißmehl ist aber ein Problem?

Auf jeden Fall. Wenn Getreideprodukte so verarbeitet werden, dass fast nur noch die extrahierte Stärke enthalten ist und Proteine wie auch Ballaststoffe weitgehend fehlen, dann leidet die Wertigkeit des Getreides. Dann steigt der Blutzuckerspiegel nach dem Essen sehr stark an und bleibt sehr lange hoch – und das führt zu Übergewicht und begünstigt Diabetes. Deshalb sollte man immer Vollkornmehl vorziehen, in dem in höherem Maße Proteine, Vitamine und Ballaststoffe enthalten sind

Geht auch das etwas hellere 1050er Mehl?

Je Vollkorn, desto besser. Manch einer reagiert zwar mit Blähungen auf Vollkorn. Hier muss man etwas ausprobieren, was man am besten verträgt, etwa ein anderes Getreide probieren. Da gibt es keine Faustformel.

Gibt es einen Unterschied zwischen Hartweizen für Nudeln oder Weichweizen für Backwaren?

Auch hier ist für die Gesundheit entscheidender, ob es sich beispielsweise um Vollkornmehl handelt. Bei der Verarbeitung spielt aber etwa auch eine Rolle, inwiefern sich Stärke verwandelt. Sie kann von Proteinen eingekapselt werden, sodass sie für die Verdauungsenzyme schwerer zugänglich ist. Man spricht dann von resistenter Stärke. Das passiert zum Beispiel bei Nudeln oder Kartoffeln, die ein zweites Mal aufwärmt werden.

Wie bitte, Reste essen soll gesünder sein als frisch gekocht?

Genau. Nach dem zweiten Aufwärmen haben diese Gerichte eine ganz andere, günstigere Verlaufskurve für den Blutzuckerspiegel. Die Stärke ist dann chemisch verpackt. Die Verdauungsenzyme kommen schwerer heran und ein Großteil der Kohlenhydrate wird nur sehr langsam aufgenommen. Die Blutzuckerspitze verläuft dann flacher und zeitlich gestreckt, das heißt, weniger Insulin und man wird nicht so schnell wieder hungrig.

Was ist mit Gluten, dem Klebeeiweiß in dem Getreidemehl – ist das bedenklich?

Hier kennt die Medizin tatsächlich drei Arten der Unverträglichkeit: Zum einen die klassische Glutenunverträglichkeit, Zöliakie genannt, eine Mischung aus einer allergischen Reaktion und einer Autoimmunreaktion, bei der die Darmzellen attackiert werden. Das ist nichts Neues, die Erkrankung ist lange bekannt, sie lässt sich anhand von Antikörpern eindeutig feststellen. Das betrifft nur etwa ein halbes Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung. Zöliakie ist die einzige Erkrankung, bei der es medizinisch zwingend und dauerhaft geboten ist, auf glutenhaltige Lebensmittel zu verzichten.

Was bereitet noch Probleme?

Es gibt noch zwei Krankheitsformen, einmal die Weizenallergie, bei der Antikörper gebildet werden und den Körper schädigen. Das betrifft einen etwas größeren Teil der Patienten, der Anteil ist aber nicht genau bestimmbar (rund ein Prozent). Dann gibt es ein dritte Gruppe, die keines dieser beiden Krankheitsbilder hat und trotzdem mit Weizen Probleme hat, das ist eine Weizensensitivität, auch hier ist der Anteil nicht genau zu bestimmen. Es gibt Überlappungen mit dem Reizdarmsyndrom, aber weder die Ursache noch die Krankheit an sich sind medizinisch bislang klar definiert.

Mediziner beobachten eine Zunahme an Unverträglichkeit von Weizenprodukten, woher kommt das?

Veränderte Lebensgewohnheiten, neue Nahrungsprodukte, vielleicht auch moderne Züchtungen erklären einen Teil der Zunahme in manchen Ländern. Zum Teil kann die Zunahme aber auch an besseren diagnostischen Möglichkeiten liegen. Heute können Unverträglichkeiten besser speziell auf Weizen untersucht werden. Hinzu kommt es, dass es ein Modetrend ist, viele Beschwerden auf Weizen zurückzuführen, die nichts damit zu tun haben.

Könnten auch Rückstände von Pestiziden im Getreide ein Grund für Unverträglichkeiten sein, etwa von Glyphosat oder Roundup?

Rückstände davon sind in Getreide und anderen Lebensmitteln meist in so geringen Mengen enthalten, dass sie noch weit unter den Grenzwerten liegen. Wenn man Glyphosat allerdings bereits im Bier findet, bedeutet das eher, dass es längst auch im Grundwasser und anderswo zu finden ist. Insofern müsste der Stoff global verboten werden, um zu einer Lösung zu kommen. Die Frage ist aber, an welcher Grenze die Giftstoffe im Körper überhaupt relevant werden – hier sollten Grenzwerte nicht überschritten werden – auch wenn die Gefährlichkeit als solche nicht gänzlich nachgewiesen ist und auch, wenn eigentlich erst viel höhere Werte überhaupt klinisch relevant werden.

Nun zu den guten Vorsätzen für das neue Jahr: Wie sieht eine ideale Ernährung in Sachen Getreide aus?

Keine einfache Frage, denn es gibt viele Antworten. Aber die beste Ernährung, von der wir wissen, dass die Menschen damit am gesündesten leben, ist nach wie vor die mediterrane Kost. Also Gemüse, Salat und viel Fisch. Diese Kost ist sehr fettig, aber die Fette aus Fisch und Pflanzenölen sind gesund, sie bestehen größtenteils aus ungesättigte Fettsäuren. Getreide spielt in der Mittelmeerkost eine andere Rolle. Getreideprodukte wie Baguette, Pizza oder Pasta sind hier zwar zu Hause, ebenso Reis. Die Lebensmittelkombinationen unterscheiden sich aber zu Mitteleuropa. Insgesamt werden Kohlenhydrate dort in geringeren Maßen gegessen als bei uns. Der Anteil an der Nahrung liegt dort bei 35 bis 40 Prozent, wohingegen bei uns bis zu 60 Prozent empfohlen – und oft auch gegessen – werden. Auch Fleisch wird dort in kleineren Mengen gegessen. Das sollte der Anspruch an eine gute Ernährung sein: Fleisch nur in geringen Maßen, viel Gemüse, Getreide möglichst nur als Vollkornprodukt, Alkohol nur in Maßen und idealerweise Fisch.

Also ist weniger Brot mehr?

Schwer zu sagen. Wir wissen, dass die mediterrane Ernährung Herzinfarkte und Schlaganfälle reduziert. Zum Teil sind dafür Nüsse und pflanzliche Öle verantwortlich. Ob das zusätzlich am Fisch oder Gemüse liegt, an weniger Brot, weniger Fleisch oder am Alkoholkonsum, wissen wir noch nicht. Das aufzudröseln ist nicht leicht. Denn wenn jemand für eine Studie viele pflanzliche Fette und gleichzeitig viele Getreideprodukte isst, nimmt er sehr wahrscheinlich zu – was für die meisten Menschen ungesund ist. Aktuell laufen bei uns Studien, die beantworten sollen, ob es neben einer optimalen fettarmen Ernährung auch eine kohlenhydratarme Variante für Mitteleuropäer gibt, die genau so positiv ist. Das ist noch nicht endgültig beantwortet.

Und was haben Sie heute gegessen?

Klassisch mitteleuropäisch: Müsli mit Früchten und Nüssen zum Frühstück, ein stärkereiches Tellergericht mit Geflügel zum Mittagessen, abends wird es entweder ein Omelett oder belegte Brote geben – Vollkorn natürlich.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Zur Person:

Stefan Kabisch (34) arbeitet am DIfE als Studienarzt in der Abteilung für klinische Ernährung und betreut mehrere Ernährungsstudien zur Vorbeugung und Therapie des Typ-2-Diabetes.

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