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Ernährungsforschung in Potsdam: Öfter mal Hunger haben

Ab und zu eine Mahlzeit auszulassen ist gesund. Die Potsdamer Ernährungsforscherin Annette Schürmann erklärt im PNN-Interview die Vorzüge des Intervallfastens, warum wir unseren Stoffwechsel überlasten und wie wir ihn trainieren können.

Frau Schürmann, heute Abend steht ein größeres Essen bei mir an, deswegen gibt es zum Mittag nur Buttermilch und Banane. Was sagt die Ernährungsforscherin dazu?

Genau so sollte man es machen. Man sollte sich nicht zum Hungern zwingen. Aber wenn man weiß, dass man abends viel essen wird, kann man statt dem Mittagessen auch Obst und Joghurt essen.

Sie sagen, man sollte eher kurz als lang fasten. Warum?

Das sogenannte Intervallfasten hat den Vorteil, dass man es kontinuierlich machen kann, wobei man die Intervalle unterschiedlich lang halten kann. Menschen, die an starkem Übergewicht leiden, würde ich raten an zwei Tagen in der Woche deutlich weniger zu essen, also auf 600 bis 700 Kalorien zu kommen. Durch die Intervalle reagiert der ganze Organismus viel sensibler auf die Wirkung von Insulin. Der Hauptkrankheitsfaktor bei Übergewicht ist, dass Insulin nicht mehr richtig wirkt. Durch das Fasten sensibilisiere ich meinen Organismus wieder, das heißt die Leber und der Skelettmuskel reagieren wieder besser auf das Hormon Insulin. So wird vor allem die Verbrennung von Fetten angeregt, die wir im Fettgewebe und der Leber eingelagert haben.

Wenn man gut genährt ist, könnte der Körper doch ohnehin auf die Reserven zurückgreifen. Doch was passiert? Man bekommt trotz Pölsterchen wieder Hunger. Warum?

Weil wir unser Stoffwechselsystem und die Kontrollstellen, die Hunger und Sättigung registrieren, mit unsere Lebensart überlastet haben. Der Körper ist eigentlich ein extrem gut organisiertes und reguliertes System, das es schafft über Jahre sein Gewicht konstant zu halten. Wenn wir beispielsweise über Feiertage etwas zugenommen haben, kann der Körper das regulieren - wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt.

Kann man das trainieren?

Die Erfahrungen der 5:2-Diät – an fünf Tagen normal zu essen und sich an zwei Tagen in der Woche deutlich einzuschränken – zeigen einen großen Effekt. Man nimmt langsam aber kontinuierlich ab, man fühlt sich besser und die Insulinspiegel im Blut fallen, weil die Insulinsensitivität höher ist.

Öfter mal Hunger haben ist also gut. Aber etwas sollte man schon zu sich nehmen?

So rigide, wie wir das Fasten im Tiermodell, also in der Maus angewendet haben – eine Versuchsgruppe der Mäuse hatte nur jeden zweiten Tag Zugang zum Futter –, muss man es nicht machen. Wir hatten eine zweite Versuchsgruppe, die täglich zehn Prozent weniger Futter bekam wie ihre Artgenossen. Dadurch wurde ein kompletter Schutz gegen Typ-2-Diabetes erzielt. Man kann also an zwei Tagen weniger essen, oder jeden Tag etwas weglassen, vor allem etwa Naschereien zwischendurch; beides hat positive Einflüsse auf den Stoffwechsel, die Fettverbrennung wird stimuliert und einem Diabetes vorgebeugt. Grundsätzlich sollte man erst dann wieder essen, wenn man tatsächlich Hunger hat, nicht nur Appetit.

Hunger ist also besser als sein Ruf.

So ist es. So wohlgenährt wie wir sind, verhungern wir nicht, wenn mal eine Mahlzeit ausfällt. Wird einem etwas schwummrig hilft meist ein Glas Wasser. Die oft angeführte „Unterzuckerung“ gibt es meist gar nicht, unser Körper kann den Blutzucker sehr gut regulieren, indem die Leber Glukose freisetzt. Kurze Fastenpausen machen den Stoffwechsel flexibler, er kann dann besser zwischen Kohlenhydraten und Zuckern hin und her wechseln.

Wir haben aber Angst vor dem Hunger.

Das ist falsch. Das Hungergefühl an sich ist etwas Positives.

Was bringt das Intervallfasten noch?

Neben dem Schutz vor Diabetes wird auch der Energiestoffwechsel der Muskulatur verbessert. Bei einer massiveren Einschränkung kommt es auch zum stärkeren Abnehmen. Aber schon bei der zehnprozentigen Reduktion gab es in der Maus einen moderaten Gewichtsverlust und eine Verhinderung der Zuckerkrankheit.

Warum ist von langen Fastenkuren eher abzuraten?

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass jemand, der erst einmal einen Erfolg beim Abnehmen sehen will, eine oder zwei Wochen fastet. Wenn man dann aber anschließend in das gleiche Verhaltensmuster wie zuvor zurückfällt, also die gleichen Mengen in den gleichen Intervallen isst, dann erreicht man eher das Gegenteil. Durch den Jo-Jo-Effekt nimmt man zwar erst ab, erhält hinterher aber mindestens das gleiche Gewicht wieder, wenn nicht sogar mehr.

Wie kommt das?

Durch das Abnehmen fährt der Stoffwechsel, genauer gesagt der Grundumsatz herunter. Der Körper reagiert so auf eine vermeintliche Notsituation. Er versucht immer alles zu verteidigen, weil er überleben will. Wenn der Energiehaushalt aber erst einmal heruntergefahren ist und man dann wieder 3000 oder 4000 Kalorien zu sich nimmt, dann setzt der Körper das sogar noch besser als Fettpolster an als zuvor.

Welche Rolle spielt dabei die Leber?

Sie ist für die Entstehung von Diabetes ein Schlüsselorgan. Sie reagiert sowohl auf den Glukose- und auch Fettstoffwechsel und versorgt uns auch mit Glukose, wenn wir länger fasten. Bei Fettleibigkeit ist das Fettgewebe so beansprucht und überlastet, dass es nicht mehr ausreichend Fett speichern kann. Unter diesen Umständen wird Fett in anderen Organen gespeichert, zuerst in der Leber. Sobald man zu viel Fett in der Leber ablagert, sammeln sich dort nicht nur die Triglyceride, sondern auch die Zwischenprodukte. Diese Diacylglyceride deaktivieren den Insulinrezeptor. Damit bindet das ankommende Hormon zwar an den Rezeptor, allerdings ohne eine Reaktion auszulösen. Das heißt, es wird kein Signal mehr in die Zelle weitergegeben, das sie aber dringend benötigen würde.

Sie haben ihre Versuche an Mäusen vorgenommen. Sind die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?

Es handelt sich nicht um eine Wald- und Wiesenmaus, sondern um einen Typ, der genetisch sehr viel Ähnlichkeit mit Menschen hat, die mit dem Gewicht Probleme haben. Aufgrund mehrerer Gendefekte hat diese Maus einen stärkeren Hunger, bewegt sich ungern und verbrennt grundsätzlich weniger Energie als andere Mäuse und entwickelt einen Diabetes. Diese Maus nutzen wir nun als Modell, um die Genetik und die Pathophysiologie zu klären.

Mit welchen Ergebnis?

Die Mäuse, die frei futtern durften, wurden bis zum Alter von 16 Wochen zu 50 Prozent diabetisch, die anderen Gruppen, die in Intervallen fasteten blieben komplett gesund.

Wie macht es sich bemerkbar, dass man mit dem Intervallfasten Erfolg hat?

Das Hungergefühl wird erträglicher und an den anderen Tagen, an denen man normal isst, hat man einen geringeren Hunger. Grundsätzlich ist ein gutes Zeichen, wenn man ein Hungergefühl entwickelt. Dann ist man auf dem richtigen Weg.

Intervallfaster behaupten auch, dass sie sich körperlich fitter fühlen.

Wir haben gesehen, dass sich die Muskeln durch die kurzen Fastenpausen umstellen, die toxischen Fette vermindern sich und der Muskel kann viel flexibler zwischen Glukose- und Fettstoffwechsel hin und her schalten. Ausdauersportler kommen beim Laufen an einen Punkt, an dem man ein wenig zittrig wird. Dann ist das Glykogen aufgebraucht und der Körper schaltet auf Fettstoffwechsel um. Wenn man diese Phase überbrückt, kann man wieder ganz flott weiterlaufen.

Manch einer meint dann, etwas schnell essen zu müssen.

Meist reicht aber der schon erwähnte Schluck Wasser. Aber wer sich mit einem Stück Traubenzucker besser fühlt, kann das auch ohne Probleme machen.

Welchen Zusammenhang gibt es bei dem Thema mit der Entwicklung des Menschen?

Unsere Vorfahren hatten nicht kontinuierlich und uneingeschränkt Zugang zu ausreichend Nahrung. Im Winter, wenn es wenige Vorräte gab, mussten sie Hungerperioden überstehen. Wer heute Gene aktiviert, die auf so einen Ablauf programmiert sind, entwickelt bei unserem modernen Lebensstil mit hochkalorischem Essen und wenig Bewegung schnell Übergewicht. Und das überträgt sich auch auf die folgenden Generationen: die Epigenetik ist dafür verantwortlich, dass man durch das Ess- und Bewegungsverhalten die Aktivität der Gene verändert. Solche Modifikationen werden dann teilweise sogar auf die nächste Generation weitergegeben.

Wann haben Sie das letzte Mal gefastet?

Ich habe einen Body-Mass-Index von 21, wenn ich fasten würde, käme ich wohl eher ins Untergewicht. Fasten passiert bei mir höchstens mal, wenn ich unterwegs bin und keine Zeit habe zu essen. Aber ich faste nicht aktiv. Ich treibe viel Sport. Allerdings versuche ich die Snacks zwischendurch einzustellen. Und wenn ich weiß, dass ein größeres Essen bevorsteht, gestalte ich die Mahlzeit davor eben deutlich magerer.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

ZUR PERSON: Annette Schürmann (54) leitet am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Bergholz-Rehbrücke (DIfE) die Abteilung Experimentelle Diabetologie. Sie ist Professorin der Uni Potsdam.

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