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Schreib mal wieder was! Erich Kästner (Florian David Fitz, links) weiß zunächst wenig mit seinem Fan Hans (Nico Kleemann) anzufangen.

© ARD Degeto/Ester.Reglin.Film/DOR

Erich-Kästner-Biopic: Der Übriggebliebene

„Unter Schweinen halbwegs sauber bleiben“: Ein Biopic über die schwierige Rolle von Erich Kästner in der Nazi-Zeit.

Wie fühlt es sich für einen Schriftsteller an, wenn da ständig ein kleiner Junge neben dir herläuft, Stellen über Moral, Anstand und Würde aus deinen Büchern zitiert, über Werte, denen du selbst in deinem Leben gar nicht gerecht zu werden scheinst? Die schwierige Rolle Erich Kästners in der Nazi-Zeit – ARD-Degeto hätte es sich mit einem vorweihnachtlichen Familienfilm einfacher machen können als mit einem Biopic über den Kinderbuchautor, Dichter und Moralisten, über „Deutschlands hoffnungsvollsten Pessimisten“, wie Marcel Reich-Ranicki den Kästner einst nannte.

„Kästner und der kleine Dienstag“, das ist zunächst einmal kein moralischer Film, sondern vom Setting her ein Déjà-vu. Das leicht verruchte Berlin der 1920er Jahre, das haben wir gerade auch in „Babylon Berlin“ gesehen, der Serie auf Sky. Die Weimarer Republik, ein Tanz auf dem Vulkan. Mit dem Illustrator Erich Ohser (Hans Löw) genießt der junge Schriftsteller Erich Kästner (Florian David Fitz) das Nachtleben. Nach seinem Jugendroman „Emil und die Detektive“ ist Kästner in aller Munde, dabei sieht sich der Schriftsteller eher als Moralist, der die Klüfte der Weimarer Republik und den Aufschwung der Nationalsozialisten in Gedichten geißelt.

Da kommt Kästner der erst siebenjährige Hans Löhr (Nico Ramon Kleemann, später: Jascha Baum) als Lieblingsleser nicht gerade recht. Der Junge verehrt den „Emil“. Kästner fühlt sich geschmeichelt. Die beiden freunden sich an, Hans schafft es mit Kästners Hilfe sogar mit der Rolle des „kleinen Dienstag“ in die „Emil“-Verfilmung der Ufa von 1931. Hier könnte der Film Degeto-süßlich enden, und es ist schon erstaunlich, mit welcher Raffinesse das Buch (Dorothee Schön) im zweiten Teil des Filmes aus der Freundschaftsgeschichte via Kinderermittler eine dräuende Parabel über Integrität, Ideal und Wirklichkeit, mithin die moralische Verantwortung des Dichters macht.

Als die Nazis an die Macht kommen, bleibt Kästner – anders als viele seiner Kollegen wie Thomas Mann – in Berlin, trotz Schreibverbot. Der Pazifist arrangiert sich, schreibt unter Pseudonym Drehbücher für Filme mit Heinz Rühmann. Der Kinderbuchautor, dessen Erwachsenenbuch „Fabian“ von den Nazis verbrannt wird, ahnt langsam, was da auf ihn zukommt, zudem sich Kästners Freund Ohser (bekannt unter dem Pseudonym e.o.plauen) im Gefängnis das Leben nimmt. Die Gesinnungstreue des Künstlers bleibt im Visier der Gestapo.

Um seinen jungen Freund zu schützen, wendet sich Kästner von diesem ab. Hans und seine Klassenkameraden müssen, als Hitler-Deutschland fast untergegangen ist, zur Wehrmacht. Teenager im Bombenhagel. Das Ende des Dramas, das hier nicht genauer verraten wird, gehört zu einem der rührendsten Fernsehmomente aus dem Fernsehjahr. Lachen und Weinen zugleich.

Ein bewegender Film, routiniert inszeniert von Wolfgang Murnberger, der es sich mit Antworten auf die Frage, wie man es selber in so einem Regime mit der Moral halten würde, nicht einfach macht. War der Dichter/Mensch Kästner nun Held oder Mitläufer? Kästner musste die Verbrennung seiner Bücher mitansehen, er hat dann versucht, „unter Schweinen halbwegs sauber zu bleiben“. Er hat das Naziregime überlebt.

Der Bohemien in unmenschlichen Zeiten – das ist in jedem Fall eine starke, eine widersprüchliche Rolle für Florian David Fitz. Der 43-Jährige („Jesus liebt mich“) spielt den kinderlosen Autor mit dem Händchen für gute Kinderbücher („Pünktchen und Anton“, „Das fliegende Klassenzimmer“) dezent und gut. Mal als Charmeur und Frauenheld, mal als zweifelnden Schriftsteller, der doch lieber Bücher für Erwachsene schreiben möchte, auch wenn ihm ständig bewundernde Kinder hinterherlaufen und Sätze aus seinem Werk rezitieren wie: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn begehen, sondern auch diejenigen, die ihn nicht verhindern.“

Wie sich das nun anfühlt, kaum etwas verhindert zu haben? Es von Kollegen übel genommen zu bekommen, dass man dablieb? Eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht zu werden? Vielleicht sind das auch die falschen Fragen. Wie sagt der Wirt im Berliner Lieblingslokal zum Schriftsteller, als der Bombenhagel näher kommt: „Bleiben Sie übrig.“ Den Roman zu der Zeit hat Kästner dann allerdings nie geschrieben.

„Kästner und der kleine Dienstag“, Donnerstag, ARD, 20 Uhr 15

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