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Beschönigende Biografie. Parteichef Erich Honecker im Oktober 1989.

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Homepage: Erheblicher Realitätsverlust

ZZF-Direktor Martin Sabrow stellte auf der SED-Tagung neue Forschungsergebnisse zu Parteichef Erich Honecker vor

Honecker war die graue Maus unter den Führern der sozialistischen Staaten des Ostblocks. So sah es jedenfalls Helmut Schmidt. „Mir ist nie klar geworden, wie dieser mittelmäßige Mann sich an der Spitze des Politibüros so lange hat halten können “, so der ehemalige Bundeskanzler. Wie also gelang dies dem aus dem Westen stammenden Sozialisten 18 Jahre lang? Das fragten Historiker unlängst auf einer Konferenz zu den Kommunistischen Parteien des Ostblockes am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF).

Martin Sabrow, der Direktor des ZZF, untersucht derzeit für eine Biografie die Persönlichkeit des ehemaligen Chefs der SED. Sabrow schilderte Honecker als Teil einer Generation entschlossener sozialistischer Kämpfer. „Härte und Elastizität, in diesem Spannungsfeld bewegt sich die Person Erich Honeckers. Dabei hatte er eine fast terroristische Handlungsbereitschaft“, stellt Sabrow fest. Im Unterschied zu anderen sozialistischen Staatschefs hätte Honecker nie eine besonders ideologische Politik betrieben. Er sei Pragmatiker gewesen, dabei aber geprägt von Erfahrungen, die er auf seinem Weg an die Staatsspitze gemacht habe. Dazu hätten sowohl eine frühe Prägung durch die „rote Aristokratie“ des Saarlandes, wie auch eine Verurteilung mit anschließender Haft wegen seiner politischen Gesinnung gehört. Auch der Zweite Weltkrieg, der als Bruch der Zivilisation zur Barbarei geführt hat, sei bestimmend für Honeckers Persönlichkeitsprofil gewesen.

Der 1912 geborene Honecker stammte aus proletarischem Elternhaus in Wiebelskirchen im Saarland. Sein Vater war Bergmann und Mitglied der Kommunistischen Partei. Honecker war eines von sechs Kindern. Auch er trat im Alter von 14 Jahren dem kommunistischen Jugendverband und später der kommunistischen Partei bei. Nachdem Honecker im Jahre 1933 wegen seiner politischen Aktivitäten kurze Zeit im Gefängnis verbracht hatte, wurde er 1937 erneut verurteilt. Nun zu immerhin zehn Jahren Haft. Aber ihm gelang 1945 die Flucht. Eine Gefängniswärterin, Charlotte Schanuel, unterstützte ihn, überredete ihn aber auch, wieder ins Gefängnis zurückzukehren. Obwohl Honecker Schanuel im Jahre 1946 heiratete, mochte er sich nie so recht zu seinem Verhältnis zu der Aufseherin des Gefängnisses, in dem er eingesessen hatte, bekennen. Er verschleierte die Heirat in seiner Biografie und in Interviews. Auch seine Heirat mit Margot Honecker ist ein wenig rätselhaft. Denn zum offiziellen Heiratsdatum 1953 war der Sozialist noch mit seiner zweiten Ehefrau, Edith Baumann, verheiratet. Der beschönigende Umgang mit seiner Biografie sei charakteristisch für den Staatschef, meint Sabrow. Honecker wollte ein lupenreiner Sozialist mit einem schnurgeradem Lebenslauf sein. Dennoch gefiel es ihm, sich bei einem Besuch in der Bundesrepublik an der Seite der Bundeskanzler Helmut Kohl und Helmut Schmidt zu sehen.

Zeitlebens behielt er ein sentimentales Verhältnis zu seinem Heimatort bei und besuchte diesen auch 1987 anlässlich eines Staatsbesuches. Zeitzeugen, die Honecker in seiner Jugend in Wiebelskirchen erlebt haben, schildern diesen als geschliffenen Redner. Er habe sich durch seine Eleganz und Wortgewandtheit deutlich von anderen Parteimitgliedern abgehoben, stellt Sabrow unter Berufung auf den ehemaligen Chef der Saarbrücker Zeitung, Erich Voltmer, fest. Während seines Aufstiegs zur Staatsspitze und auch beim Antritt des Amtes als Chef des Zentralkomitees habe Honecker das dynamische Bild eines hoffnungsvollen Aufbruchs verkörpert. Die biografische Blässe Honeckers beruhe auf einer nachträglichen Blickverschiebung, sie sei kollektives Konstrukt und offenbar kein individuelles Faktum vermutet Sabrow. Honecker galt in der DDR als der elegante Erich.

Allerdings trat beim SED-Chef im Laufe seiner Tätigkeit als Staatschef ein erheblicher Realitätsverlust ein. Als SPD-Politiker Johannes Rau 1989 Honecker fragte, warum die Stimmung in der DDR eigentlich so mies sei, antwortete dieser: „Die Einheit der Massen mit der Partei war nie so stark wie heute. Das Volk steht hinter der Partei.“ Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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