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Böse Vorahnungen. Ob Tiere tatsächlich Naturkatastrophen wie Erdbeben vorempfinden können, wollen die Geoforscher nun mit einer detaillierten Untersuchung durch Tierbeobachter herausfinden. Die einzige Studie bisher zeigte keine Reaktionen von Schimpansen.

© Julian Stratenschulte, dpa

Erdsystem: Haben Tiere den siebten Sinn?

Das Geoforschungszentrum Potsdam hat überprüft, ob Tiere Erdbeben vorhersehen können. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Potsdam - Auch die Elefanten haben nichts gespürt, nicht einmal den herannahenden Tsunami. Entgegen einer Anekdote verhielten sich die Elefanten in Sri Lanka im Jahre 2004 unmittelbar vor dem Ausbrechen des Tsunami nicht anders als sonst. Das hat eine Gruppe von Forschern am Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam herausgefunden. Immer wieder gibt es Berichte, in denen es heißt, dass Tiere einen sechsten Sinn für das drohende Unheil hätten. „Wir waren es leid, nach jedem Erdbeben damit konfrontiert zu werden und wollten es genauer wissen“, sagt Heiko Woith vom GFZ. Also habe man am Institut zwei Jahre lang mit einer Forschungsgruppe überprüft, wie es um die seismologischen Fähigkeiten der Fauna steht. „Ganz schlecht, da ist nichts nachweisbar“, fasst Woith das Ergebnis zusammen.

160 Erdbeben und 130 Tierarten wurden untersucht

Ausgangspunkt der Forschung waren wissenschaftliche Beobachtungen, die entsprechend publiziert wurden. Damit waren die Artikel schon einmal auf ihre Plausibilität geprüft worden. Beobachtet haben die Wissenschaftler einen Zeitraum vom Jahr 1600 an. 180 Publikationen über 160 Erdbeben haben die Forscher untersucht und dabei 130 Tierarten ausgewertet. Dann wurde noch einmal genauer auf den Zeitraum von 2000 bis 2012 geschaut. „Wir haben das statistisch untersucht“, sagt GFZ-Forscher Torsten Dahm. Es entstand eine Reihe von Skalen und Grafiken über die Stärke und Dauer der Erdbeben und dem dazu beobachteten Tierverhalten.

Unzweifelhaft verfügten Tiere über ein ganz anderes und vielfach sensibleres Sensorium als der Mensch. „Die Vermutung, dass Tiere anders und früher auf Erdbeben reagieren, ist nicht von vornherein abwegig“, stellt Woith fest. Wissenschaftler, die von Vorfällen berichtet hätten, bei denen Tiere sich im Vorfeld eines Erdbebens unnormal verhalten hätten, seien sicherlich seriös und hätten keine Spekulationen oder Mythen in die Welt setzen wollen. Die Vermutung über den siebten Sinn der Tiere habe sich allerdings dennoch nicht bewahrheitet. Das zeigten die ausgewerteten Statistiken, konstatieren die Wissenschaftler.

Das GFZ ist nicht das erste Forschungsinstitut, das sich Gedanken über Tiere und ihre abweichenden Verhaltensweisen macht. So hat sich beispielsweise Helmut Tribusch, Professor für physikalische Chemie an der Freien Universität Berlin, mit dem Thema beschäftigt. Es gebe zu viele Berichte über Vorahnungen von Tieren, als dass diese von der Wissenschaft als Erfindungen abgetan werden könnten, meint Tribusch.

„Das Problem ist, dass es kaum systematisch erhobene Forschungsreihen zu dem Thema gibt“, sagt auch Woith. Entsprechende Forschungen seien sehr aufwendig. Denn eigentlich sei es notwendig, das Verhalten der Tiere über einen sehr langen Zeitraum genau zu beobachten und es dann mit ihrem Verhalten vor einem Erdbeben zu vergleichen. Der Natur der Sache entsprechend könnte es allerdings Jahrzehnte dauern, bis man diese Verhaltensdaten hat. Das mache eine dementsprechende Studie recht kostenintensiv. Davon ließ man sich im Amerika der 1980er-Jahre allerdings nicht abschrecken. Schimpansen waren die Tiere der Wahl, die als Seismografen dienen sollten. Das Erdbeben kam tatsächlich und die Affen zeigten: nichts, zumindest kein Verhalten, das sich eindeutig mit dem Beben in Verbindung bringen ließ. Also wurde das Experiment eingestellt. Es blieb wohl das einzige, vermuten die Forscher des GFZ.

Süddeutschland ist erheblich gefährdeter als der Norden

Überhaupt seien Erdbeben an sich gar nicht vorhersagbar, meint Woith. Womit eigentlich der Erdbebenforschung am GFZ der Boden entzogen wäre. Dem widerspricht Woith allerdings vehement. Nicht genau vorhersagen könne man, wann sich welches Beben mit welcher Stärke ereignet. Auswerten ließen sich aber systematische Aufzeichnungen zu Gebieten, in denen bereits Beben stattgefunden haben. Daraus ließen sich Rückschlüsse auf mögliche künftige Gefahren ziehen. Dementsprechend hat das GFZ auch für Deutschland eine seismologische Karte erarbeitet, die im Internet einsehbar ist und aus der sich die Gefahrenzonen in Deutschland ergeben. Es zeigt sich, dass Süddeutschland erheblich gefährdeter ist als der Norden.

Aus entsprechenden Karten und den Beobachtungen des tierischen Verhaltens ließ sich jedoch eine andere Folgerung ziehen, so die Forscher: Wahrscheinlich reagieren Tiere auf das Vorbeben, das einem Erdbeben häufig voraus geht. Nicht bei allen, aber bei vielen Erdbeben zeigt sich die Eruption im Vorhinein durch ein schwächeres Zittern der Erde. Das sei durchaus spürbar, allerdings nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen. Die Auswertung der erstellten Statistik habe ergeben, dass das beobachtete abweichende Verhalten in einem signifikanten Zusammenhang mit dem Auftreten von Vorbeben stehe. Blieben diese aus, reagierten auch die Tiere nicht alarmiert.

Seismologische Tiefenuntersuchungen

Sicherer, als sich auf Eulen und Esel zu verlassen, sei es daher, seismologische Tiefenuntersuchungen durchzuführen und die geografischen Spannungen zu messen, die letztlich zu Erdbeben führten. Aber: „Da müssten wir regelmäßig bis in Tiefen bohren, die mit heutigen Mitteln nicht erreichbar sind“, so Torsten Dahm. Also verlasse man sich gegenwärtig auf die vorhandenen Aufzeichnungen und versuche, diese genauer zu fassen. Denn ein Problem der Vorhersagen und der vermeintlichen Tierbeobachtungen sei, dass viele Aufzeichnungen, die an sich Forschungsgrundlage seien, nicht mit der notwendigen Akribie aufgezeichnet würden.

Das GFZ hat nun einen 15 Punkte umfassenden Fragebogen entwickelt, den es an Tierbeobachter unter den Erdbebenforschern verschickt. Damit soll ganz genau erfasst werden, was nun unnormal am Verhalten der Vögel, Insekten, Kühe und Pferde gewesen ist.

Richard Rabensaat

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