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Ein Leben als Frau Professor reicht Eva Fassbender (Emilia Schüle) nicht. In „Ku’damm 59“ versucht sie, aus dem damaligen Rollenbild auszubrechen.

© ZDF und Stefan Erhard

Emilia Schüle im Porträt: Die Enthusiastische

Für Schauspielerin Emilia Schüle sind Filmprojekte wie Kinder: Sie machen Freude, Probleme und stolz. Eine Begegnung.

Blagoweschtschensk. Diesen Namen muss man erst einmal aussprechen können. Ein Zungenbrecher, 10 000 Kilometer von Berlin entfernt. Ein Grenzort, mit sibirischer Weite, dem Strom Amur und den Hochhäusern Chinas im Blick. Ein Warenumschlagplatz mit 30 Grad im Sommer und minus 30 im Winter. Gold, Kosaken, Gulag. In Blagoweschtschensk wurde Emilia Schüle geboren.

Sie ist das junge, deutsche Filmgesicht. Vier Kinofilme allein im letzten Jahr. Prominente Mehrteiler im Fernsehen. New Faces Award, Goldene Kamera, Deutscher Schauspielerpreis. Ihr Antlitz schmückt die Aufmacher der Illustrierten, auf Premieren trägt sie die Kleider berühmter Modelabels, für internationale Firmen wirbt sie mit deren Produkten. Das Mädchen aus dem fernen Osten hat den westlichen Markt verzaubert.

Im ZDF-Studio Unter den Linden gibt sie Interviews zu „Ku’damm 59“, der Fortsetzung des Erfolgsmehrteilers „Ku’damm 56“. Darin spielt sie Eva, eine der drei Töchter der Tanzlehrerin Caterina Schöllack, die versuchen, im bürgerlich verlogenen West-Berlin das Leben einer neuen Generation zu starten. Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Emanzipation in Zeiten von männlicher Dominanz. „Eva will ihr Ding machen, und dafür geht sie auch über Leichen“, sagt Emilia Schüle über sie. „Aber eigentlich ist sie eine tragische Figur, die losgekoppelt von ihren Gefühlen lebt.“

Sie sitzt in einem Konferenzzimmer mit Blick auf den verglasten Innenhof. Dort geben Palmen die Anmutung einer Welt im Draußen. Sie trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Island Paradise“. Es ist ihr Schlafshirt, es ist nachmittags um vier, sie zieht die Schuhe aus und winkelt die Beine zum Schneidersitz. Sie ist schön und jung und sie hat diese dunklen Augen, die aussehen wie der Baikalsee. Tief. Sehr tief. Unermesslich tief. Emilia Schüle ist 25 Jahre alt und die Hälfte ihres Lebens steht sie schon vor der Kamera.

Als sie ein Jahr alt war, kam sie als Tochter eines russlanddeutschen Vaters und einer ukrainischen Mutter mit ihrer Schwester nach Berlin. Durchgangslager, Neubau in der Nähe von Schönefeld, eigenes Haus. Ihre Eltern sind Ärzte. Sie ging sofort in den deutschen Kindergarten, zu Hause sprach man Russisch. Emilia schwieg lange. Weil sie nicht wusste, welche Sprache nun die richtige für sie war, bis sie sich für die deutsche entschied. Sie wurde oft gefragt, was die russische Seele denn nun eigentlich sei. Diese Frage kann man nicht beantworten. Aber sie erklärt ihre russischen Wurzeln mit der Bildung und den Werten, mit denen sie aufgewachsen ist: Ballett, Klavier, Literatur, Zusammenhalt in der Familie. Sie erinnert sich an die Silvesterpartys, auf denen es wild herging, mit Verkleidung, viel Essen und noch mehr Getränken. Alle Gäste saßen lange zusammen, am frühen Morgen gab es noch Kaffee und Kuchen.

Emilia Schüle wechselt gleich zum Du

Emilia Schüle ist eine aufgeschlossene Frau, die gleich aufs Du umsteigt und offen redet. Als ihre Vorbilder bezeichnet sie Karoline Herfurth, Jennifer Lawrence und Emma Stone. Wenn sie über ihren Beruf spricht, versprüht sie den Enthusiasmus eines Showmasters. Einfach spitze! Viele Geschichten, viele Charaktere, viele Orte. Sie sagt: „Ein Filmprojekt ist für mich, wie Kinder zu haben. Es macht Freude, Probleme und stolz.“

Sie war 13, als man sie in einem Talente-Workshop für die Leinwand entdeckte. Danach wurde sie zum Teenieschwarm einer ganzen Generation. In dem Kinofilm „Freche Mädchen“ von 2008 spielte sie Mila, ein Pubertier mit Tagebuch, besten Freundinnen und erster Liebe. Sie durfte alles sein, wovon Mädchen träumen: Aschenputtel, Sängerin, Tochter reicher Eltern. Sie ist in den Schauspielberuf hineingewachsen wie andere in große Schuhe. Einfach und unbefangen. Seitdem sie die Schule abgeschlossen hat, reist sie vor der Kamera durch Zeit und Raum. „Charité“, „Ku’damm 56“, „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“. Wer so viel in der Vergangenheit unterwegs war, was hat für den die Zukunft noch zu bieten? „Ich bin durstig nach guten Büchern, in denen Frauen die tragende Rolle spielen“, sagt sie. „Ich habe viele tolle Projekte gehabt, aber oftmals diente meine Figur einer Liebesgeschichte, war ich die weibliche Hauptdarstellerin an der Seite eines Mannes. Jetzt suche ich nach etwas anderem. Und darauf warte ich.“

Seit vier Monaten hat Emilia Schüle nicht gedreht. Mit der Kinderhilfswerkorganisation Plan International reiste sie im Januar nach Nepal. Sie hat dort ihr Patenkind besucht, ein Mädchen, elf Jahre alt. Sie spielte mit ihr Badminton und schoss Fotos, die sie auf den sozialen Netzwerken teilt. Sie ist Botschafterin der Organisation und sagt, dass ihr diese Aufgabe neben dem Glamour auf dem roten Teppich viel wert sei.

Zur Vorbereitung ins "Bib"

In der ersten Folge der neuen Ku’damm-Trilogie gibt es eine Szene, in der sie als Eva in der Badewanne sitzt und mit Essig versucht, eine Schwangerschaft zu verhindern. Brutal und glaubhaft. Jedes Mal, wenn sie eine Rolle annimmt, geht Emilia Schüle zur Vorbereitung in die „Bib“. Dort liest sie Geschichten, Einzelschicksale, Dokumente aus der Zeit, in die sie sich versetzen muss. Wie teuer war eine Strumpfhose? Wie trieb man ab? Was aß man? Alle für sie wichtigen Informationen notiert sie auf Zettel, die sie an eine Wand in ihrer Wohnung pinnt. So bekomme sie ein Gefühl für die Geschichte, sagt sie. In dem Film „Professor Wall geht ins Bordell“ von Stefan Krohmer spielte sie eine Jura-Studentin, die zugleich auch ihren Körper verkauft. Für diese Rolle besuchte sie ein Bordell und traf sich mit einer Prostituierten.

Im vergangenen Jahr hat die Lufthansa mit ihr die Kampagne „#inspired by Heimweh: Russia“ gedreht. Für das Video „A home unknown“ reiste sie an ihren Geburtsort Blagoweschtschensk, den ihre Familie vor fast einem Vierteljahrhundert verlassen und den sie seitdem nicht mehr gesehen hat. Von Irkutsk aus fuhr sie drei Tage lang mit der Transsibirischen Eisenbahn dorthin. Sie stand am Amur und blickte auf China. Sie war in dem Krankenhaus, in dem sie geboren, und in der Kirche, in der sie getauft wurde. Sie besuchte die Militärbasis, in der ihr Vater als Arzt arbeitete und die heute zum Geheimdienst gehört. Emilia Schüle sagt, dass ihre Heimat Berlin sei, aber trotzdem habe sie sich immer gefragt: Zu welcher Kultur gehörst du? Womit identifizierst du dich? Die Zeit in Blagoweschtschensk zählt zu einer der wichtigsten und schönsten in ihrem Leben, sagt sie. Sie kannte diesen Ort bislang nur aus Erzählungen. Jetzt hat sie ihm ihre eigenen Bilder hinzugefügt.

„Ku’damm 59: Im Urwald“, Mittwoch, ZDF, 20 Uhr 15

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