zum Hauptinhalt

"Eis am Stiel", Glanz und Elend: Immer nur Benny, immer nur Johnny

„Eis am Stiel“ war eine erfolgreiche Filmreihe. Aber nicht für jeden Beteiligten Auftakt zu lebenslangem Erfolg, wie die Dokumentation von Eric Friedler zeigt

War alles heiter und so weiter. „Eis am Stiel“, acht Komödien, zwischen 1977 und 1988 am Fließband gedreht. Waren Blockbuster, vor allem in der damaligen Bundesrepublik. Der erste Teil wurde in 18 Tagen runtergehauen, Zeit und Geld knapp, der Wille war es nicht. Ein „kleiner Film“ mit einer Riesenwelle. Drei Jungs erleben im Tel Aviv der 50er Jahre Freude und Frust von erster Liebe und erstem Sex. Der schüchterne Benny (Yftach Katzur), der dicke Johnny (Zachi Noy) und der schöne Momo (Jonathan Sagall) verknüpfen Pubertät und Partys zu libertären Abenteuern.

Die Storys sind simpel, das Schauspiel bescheiden, die Regie von Boaz Davidson direkt. Aber was für eine Kraft geht von „Eskimo Limon“, so der Originaltitel, aus: endlich ein unverklemmter Umgang mit Sexualität, „Boy meets Girl“, Schenkelträume einer ganzen Generation. Das Raue, das Unverschämte, das Trashige ließen allein in der Bundesrepublik sechs Millionen Tickets verkaufen. Schon der „Tatort: Reifezeugnis“, 1977 in der ARD, hatte ja gezeigt, was Jugend wollte: Abfuhr vom Triebstau, Ende mit den Tabus, Freiheit von bürgerlichen Zwängen. Und das mit „Eis am Stiel“? Teil 1 lief 1978 bei der Berlinale und wurde für einen Golden Globe nominiert. Der Film, die Filme brachten was zum Ausdruck, was zum Ausbruch. Kino, ganz nah am Leben.

Eric Friedler gibt sich mit der Erfolgsgeschichte nicht zufrieden, so wie er sich in seiner Filmografie selten mit Ergebnissen zufrieden gegeben hat. Ob „Das Schweigen der Quandts“ (2007), „Aghet – Ein Völkermord“ (2010) oder „Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?“ (2015) – der Dokumentarfilmer verwandelt Gewissheiten in Zwischenstände und Zwischenstände in neue Gewissheiten. So auch bei seiner jüngsten Arbeit mit dem voluminösen Titel: „Eskimo Limon: Eis am Stiel. Von Siegern und Verlierern oder Die bittersüße Geschichte einer unendlichen Filmproduktion“.

Crew, Cast, Produktion alles made in Israel. Dort setzt Autor und Regisseur Friedler seine Recherche an. Er wird alle wichtigen Mitarbeiter aus dem näheren und ferneren Umfeld zu intensiven Interviews vor die Kamera holen, wobei sich das Interesse über die 90 Minuten auf diese Beteiligten konzentrieren wird: die Schauspieler Yftach Katzur und Zachi Noy – Jonathan Sagall wollte damit nicht mehr in Verbindung gebracht werden –, die Schauspielerinnen Anat Atzmon und Sibylle Rauch, die Produzenten und Cousins Menahem Golan und Yoram Globus, der Regisseur und Autor Boaz Davidson.

Je mehr die Doku voranschreitet, desto klarer wird, was Friedler mit Siegern und Verlierern meint. Zu den Profiteuren gehören die Produzenten, die mit den horrenden Einnahmen des Welterfolgs die US-Firma Cannon Films übernehmen konnten. Golan und Globus befanden sich in einer idealen Kombination: der eine ein kreativer Kopf, der andere ein Mann der Zahlen. „Eskimo Limon“ öffnete ihnen die Kinowelt und Hollywood.

Boaz Davidson war die Schnittstelle zwischen Produzenten und Team. Als Autor sagt er, der schüchterne Benny sei seine Geschichte. Als Regisseur hatte er schnell erkannt, welche Goldmine er mit seiner Mischung aus Sexklamotte und Generationenfilm entdeckt hatte. Und er war ein geschickter Manipulator seiner sehr jungen Schauspielerinnen und Schauspieler. Scham und Schamfreiheit stritten mit sich, Davidson brachte seine Darsteller immer wieder dazu, auch noch das letzte Hemdchen fallen zu lassen. Aus den Berichten des Casts wird deutlich, dass die Honorare so bescheiden wie die Mitsprache waren. Die „Eis am Stiel“-Filme dürfen nach heutigen Maßstäben als sexistisch gelten, nach damaligen Maßstäben waren sie freizügig und damit mutig.

Eric Friedlers Film ist so eindringlich, weil er mehrere Ebenen bedient. Er schildert, einerseits, die Bedingungen und Umstände der Produktion. Zum anderen verlängert er die Jugend seiner Protagonisten in die Erwachsenenzeit. Der Zuschauer sieht quasi „Eis am Stiel IX“.

Amat Atzmon spielte im ersten Teil die hübsche und von Benny angebetete Nili. Für die Abtreibungsszene musste sie sich komplett ausziehen. Vom chirurgischen Eingriff her völlig unnötig, für Regisseur Davidson jedoch ein gewinnbringender Schauwert. Oder Ophelia Shtruhl: ihre explizite Darstellung der Nymphomanin Stella galt im prüden Israel als Skandal. Die Schauspielerin wurde mit der Rolle identifiziert, geschmäht, ihre Karriere taumelte.

Die Deutsche Sibylle Rauch war in „Eis am Stiel 3“ keine zehn Minuten und in den Teilen 7 und 8 noch kürzer zu sehen. Aber Rauchs Rolle von Bennys freizügiger Cousine Trixi war der Hingucker. Gelernte Anwaltsgehilfin, mehrfach Playmate, Mittelpunkt der Münchner Schickeria und Liebling der Boulevardpresse, Kinofilme, dann Erotik- und Pornoproduktionen. Ihre Kokainsucht beendete ihre Karriere, Sibylle Rauch landete im Rotlichtmilieu.

Was machen die Verluste im Leben aus?

Die Dokumentation will keine Anklage führen, vor allem möchte sie aufzeigen, dass gewiefte Männer junge Frauen und Männer für Kinoerfolg und eigenen Kontostand ausbeuteten. Nicht nur bei den Protagonistinnen, auch bei Benny und dem dicken Johnny geht es wieder und wieder um die Frage, wie sich „Eis am Stiel“ in den Biographien fortsetzte, welche Abzweigung nach der Filmreihe genommen wurde, ob eine vielversprechendere möglich gewesen wäre. Nicht zum ersten Mal bringt Eric Friedler Menschen zum Sprechen darüber, was die Verluste im Leben ausmachen. Und nie taucht das Gefühl auf, die Protagonisten würden wie bei „Eis am Stiel“ benutzt.

Yftach Katzur (Benny) hat mit der Schauspielerei aufgehört, er hatte fortgesetzt Probleme mit der „Benny“-Popularität. Zachi Noy blieb der Schauspielerei treu, große Rollen kamen danach wenige, die Dokumentation zeigt ihn im Kindertheater in einer Bären-Rolle. Und er ist immer noch der „dicke Johnny“, wenn er in billigen Clubs oder in „Promi Big Brother“ auftritt. Zachi Noy träumt seinen Traum weiter: der große Durchbruch stehe kurz bevor. Er sagt, er will seinem „Stigma“ entkommen. Zachi Noy ist 64.

„Eskimo Limon: Eis am Stiel. Von Siegern und Verlierern oder Die bittersüße Geschichte einer unendlichen Filmproduktion“, ARD, Sonntag, um 23 Uhr 35

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false