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Ost-West-Dialog. Rabindranath Tagore im knöchellangen Gewand mit Albert Einstein vor dessen Sommerhaus in Caputh.

© Einstein-Forum

Einsteinhaus Caputh: Gefeiert und herumgereicht

Caputh im Juli 1930: Der Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein trifft den indischen Schriftststeller, Philosoph und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore. Eine Tagung am Einstein-Forum widmete sich jetzt dieser bedeutungsvollen Begegnung.

Es war das Treffen zweier intellektueller „Popstars“ ihrer Zeit: Am 14. Juli 1930 besuchte der indische Schriftststeller, Philosoph und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore den Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein in dessen Sommerhaus in Caputh. Was die beiden beredeten, war später sogar in der US-amerikanischen Tageszeitung „New York Times“ nachzulesen. Über den Platz des Menschen im Universum, über Schönheit, Wahrheit und Wirklichkeit debattierten Tagore und Einstein und besprachen die Frage, ob es eine vom Menschen unabhängige Wahrheit überhaupt gibt oder die Wirklichkeit nicht vielmehr erst vom Menschen konstruiert wird. Und doch, resümmiert der Historiker Dieter Hoffmann vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, sind sich die beiden Denker dabei „fremd geblieben“: „Irgendwie reden sie aneinander in vielen Dingen vorbei.“ Hoffmann war einer der Teilnehmer einer Tagung, die das Potsdamer Einstein-Forum anlässlich des 150. Geburtstages von Rabindranath Tagore jetzt veranstaltete – und in deren Rahmen am Freitag auch eine neue Ausstellung im Einsteinhaus in Caputh eröffnet wurde (PNN berichteten).

In Indien ist Tagore eine nationale Identifikationsfigur, berichtete Martin Kämpchen. Der Tagore-Biograf und Übersetzer lebt selbst seit mehr als 30 Jahren im westbengalischen Santiniketan, wo Tagore seinerzeit eine Schule mit dem Ziel der ganzheitlichen Erziehung gründete und eine nicht gerade bescheiden als „Welt-Universität“ konzipierte Hochschule ins Leben rief. Bis heute gelte der 1861 in Kalkutta geborene Philosoph als Indiens Nationaldichter, er ist bislang der einzige seiner Landsmänner geblieben, den das Nobel-Kommitee mit einer Ehrung bedachte.

Die erste Begegnung mit Einstein datiert auf das Jahr 1926, getroffen haben sich die beiden in Berlin, wo Tagore in der Villa der mit Einstein befreundeten Familie Mendel am Wannsee zu Gast war. Da war Tagore schon eine international gefeierte Berühmtheit. Nachdem die Weltöffentlichkeit im Dezember 1913 von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften mit der Nobel-Nominierung für den Inder und zugleich ersten nicht-westlichen Preisträger überrascht wurde, waren seine Werke innerhalb weniger Monate zum Bestseller avanciert. Der Verleger Kurt Wolff, so erinnert sich einer seiner Mitarbeiter später, war nach der Nobelpreis-Ankündigung eigens zum Hauptpostamt gelaufen, um das bereits abgelehnte und just am selben Tag zurückgeschickte Manuskript mit Tagores Gedichten unter den Augen des Postinspektors wieder aus den Postsäcken herauszukramen. Bis 1925 sollten im Wolff-Verlag 25 Bände mit Tagores Werken erscheinen, nach Verlagsangaben lag die Gesamtauflage bereits 1923 bei mehr als einer Million Exemplaren.

Jahrelang wurde Tagore dann als eine Art Weltreisender im Auftrag der Völkerverständigung „herumgereicht“, erwarb sich den Ruf eines Botschafters östlicher Weisheit, galt als Stimme der unterdrückten Völker. Er besuchte verschiedene Länder in Europa, Amerika, Afrika und Asien und traf Politiker, Denker, Künstler, Wissenschaftler. Dabei setzte er sich für die Annäherung von Kolonialmächten und kolonialisierten Völkern ein und sprach sich gegen Nationalismus aus, so Martin Kämpchen.

Damit gab es durchaus Parallelen zu Albert Einstein, der sich zu der Zeit als Intellektueller auch jenseits des physikalischen Fachs positionierte: Als glühender Pazifist war er 1914 unter anderem Mitgründer der „Deutschen Liga für Menschenrechte“, das Militär schimpfte er angesichts des Kriegstaumels im ersten Weltkrieg angeekelt als „schlimmste Ausgeburt des Herdenwesens“.

Im Deutschland der 1920er Jahre gab es einen regelrechten „Tagore-Rummel“, Illustrierte oder die Wochenschauen im Kino machten den Inder mit dem weißen Bart, der das Land 1921, 1926 und 1930 besuchte, mit ihren Berichten zu einer Heilands-Figur, wie die Hamburger Religions- und Medienwissenschaftlerin Rita Panesar sagt. Große Erfolge feiert er auch bei den Intellektuellen, so Kämpchen: Er traf neben Einstein auch Stefan Zweig und Thomas Mann, Bertolt Brecht und Hermann Hesse rezensierten seine Bücher, Albert Schweitzer widmete ihm ein ganzes Kapitel in seinem Buch „Die Weltanschauung der indischen Denker“.

In Einstein hat Tagore ein Gegenüber erkannt, „das ihm intellektuell ebenbürtig ist“, glaubt Matthias Kroß vom Einstein-Forum, der 2008 an der von Tagore gegründeten Universität Visva-Bharati lehrte. Trotzdem bleibt es nach dem Treffen in Caputh im Juli 1930 und einer dritten Zusammenkunft noch im selben Jahr in New York still zwischen den beiden. Ein Briefwechsel, sagt Hoffmann, sei nicht bekannt. 1941 stirbt Tagore 80-jährig in Kalkutta – da lebte Albert Einstein schon fast zehn Jahre im amerikanischen Exil. Vom Ruhm und Rummel um den indischen Dichter blieb im Deutschland der Nazizeit selbstredend nichts übrig.

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