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20 Jahre Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke: Der Mediziner Hans-Georg Joost über riskantes Bauchfett, heimliche Dickmacher und Hungerkuren

Herr Joost, ich habe gerade bei mir nachgemessen, über 94 Zentimeter Bauchumfang! Grund zur Sorge?

Kein Grund zur Panik. Es gibt keinen Schwellenwert, das Risiko steigt vielmehr kontinuierlich. Die Deutsche Adipositas Gesellschaft hat Richtwerte herausgegeben, danach wird es bei Männern ab 102 Zentimeter Bauchumfang, bei Frauen ab 88 Zentimetern wirklich riskant. Dann wird ein dicker Bauch zur Gefahr für die Gesundheit.

US-Forscher warnen nun davor, dass auch schlanke Menschen mit einem dicken Bauch ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen haben.

Das ist uns nicht neu. Unsere Studie von 2008 hat belegt, dass die Fettverteilung bei der Schädlichkeit von Übergewicht eine große Rolle spielt. Bei uns ging es vor allem um Diabetes – und damit auch um das Herz-Kreislauf-Erkrankungsrisiko – sowie verschiedene Krebsformen. Der Body-Mass-Index bildet die Fettverteilung am Körper nicht richtig ab, so auch unser Ergebnis. Eine sehr wichtige Schlussfolgerung unserer Arbeit ist, dass man bei einer Diät keine Muskelmasse verlieren sollte. Das wäre kontraproduktiv.

Schlanke Menschen wähnen sich also in einem falschen Gefühl der Sicherheit, wenn es am Bauch nicht stimmt?

Das ist richtig. Der Blick alleine auf die Waage reicht nicht aus. Es kommt vor allem auf den Bauchumfang an. Das Fett am falschen Fleck ist das Entscheidende.

Warum ist der dicke Bauch so riskant?

Es gibt die These, dass das sogenannte Viszeralfett, also das in der Bauchhöhle eingelagerte Fett, das die inneren Organe umhüllt, biochemisch völlig anders agiert als etwa das Fettgewebe unter der Haut oder am Gesäß. Darüber hinaus finden wir eine Korrelation zwischen dem Fett im Bauch und dem Fett in der Leber, das besonders gefährlich ist. Das Leberfett steht in einer Wechselbeziehung zur Insulinresistenz und dem Diabetesrisiko. Menschen mit erhöhtem Bauchumfang haben zudem ein erhöhtes Krebsrisiko für die Leber, die Bauchspeicheldrüse, den Darm und die Prostata.

Was hat der Bauch mit der Prostata zu tun?

Eine Theorie geht davon aus, dass das Bauchfett den männlichen Hormonhaushalt und über die Spiegel der Androgene auch das Wachstum der Prostata beeinflusst. Neben den männlichen Geschlechtshormonen könnten zudem auch andere Botenstoffe freigesetzt werden, die Schädigungen bewirken können. Was macht nun den „Rettungsring“ zum Risikofaktor?

Man geht heute davon aus, dass gerade das Bauchfett Botenstoffe abgibt, die chronische Entzündungen hervorrufen. Diese Prozesse wiederum können Herz und Stoffwechsel schädigen.

Wo kommt er denn her, der dicke Bauch?

Ganz einfach: zu viel Kalorien. Wenn man eine positive Energiebilanz hat, also mehr isst, als man braucht, dann lagert sich das überflüssige Fett ab. Männer neigen eher zu der Anlagerung von Bauchfett als Frauen. Zudem gibt es offensichtlich bei genetisch prädisponierten Personen eine Grenze der Speicherfähigkeit unter der Haut. Dann wird überschüssiges Fett im Bauchraum abgelagert, und das nahezu unbegrenzt.

Spielt es eine Rolle, wann man wie viel isst?

Die Theorie, dass das Essen am Abend besonders ansetzt, ist widerlegt. Es ist zwar plausibel, dass die Fettoxidation abends schlechter ist, das konnte bislang aber noch nicht bewiesen werden. Was wirklich zählt, ist die Energiebilanz des ganzen Tages. Wer morgens große Mengen isst, dafür aber abends hungert, hat die gleiche Energiemenge aufgenommen, wie derjenige, der die Portionen über den Tag verteilt. Man darf einfach nicht mehr Kalorien zu sich nehmen, als man verbraucht. Der Zeitpunkt spielt keine Rolle. Der Effekt, dass man ohne Abendessen am Morgen ein oder zwei Kilo weniger wiegt, ist nur auf einen Wasserverlust zurückzuführen, hervorgerufen durch den Abbau von Zuckervorräten aus der Leber. Wenn man weiter hungert, verliert man Protein, was auch zur Wasserausscheidung führt. Dieses kurzfristige Abnehmen bringt also gar nichts.

Wie bekommen wir ihn denn nun wieder los, den Wohlstandsbauch? Hungerkuren, Treppensteigen oder Hochleistungssport?

Man muss einfach die Bilanz ändern. Weniger Nahrungsenergie aufnehmen reicht aus. Man sollte die Ernährung so umstellen, dass man sättigendere Sachen zu sich nimmt. Ich empfehle: Ballaststoffe, Ballaststoffe und Ballaststoffe. Vollkornbrot anstelle von Kuchen. Gemüse sättigt auch, so nimmt man weniger Energie bei gleichbleibender Sättigung zu sich. Dann sollte man die Aufnahme von Fett etwas reduzieren. Auch gelten alkoholische Getränke als Ursache von Übergewicht. Eins steht fest: Wer immer satt ist, kann nicht abnehmen. Man kann seinen Körper nicht betrügen. Je nachdem wie viel Hunger man erträgt, kann man auch abnehmen.

Und wenn man die schlechten Fette durch gute Pflanzenöle ersetzt?

Energetisch bleibt sich das gleich. Sie können auch zunehmen, wenn Sie viel Olivenöl an den Salat geben – das sind eben auch Kalorien. Wie gesagt, den Körper kann man nicht an der Nase herumführen.

Wie sieht es mit dem Glukose-Fruktose-Sirup aus, der verstärkt zur Süßung von Erfrischungsgetränken eingesetzt wird? Es gibt die These, dass dieser Übergewicht und Fettleibigkeit fördert.

Fruktose wird insulinunabhängig verstoffwechselt, das Sättigungsgefühl ist also geringer. Und Fruktose fördert in hohen Mengen die Fettsynthese. Allerdings besteht energetisch kein Unterschied zu normalem Zucker. Denn auch der Haushaltszucker wird im Darm zu Glukose und Fruktose aufgespalten. Die These vom Glukose-Fruktose-Sirup als alleinigem Dickmacher würde ich daher nicht unterstützen.

Was sind die heimlichen Dickmacher?

Einerseits die allgegenwärtige Verfügbarkeit von hochkalorischem Essen. Anderseits halte ich auch die Kombination von Fett und Zucker für sehr problematisch. Es ist nicht der Zucker alleine, sondern in Verbindung mit Fett wie etwa in Schokolade und vielen Süßigkeiten. Hinzu kommen die Geschmacksverstärker wie Salz und Glutamat. Das macht Appetit auf mehr. Bei der gleichen Menge ballaststoffreicher Nahrung wäre man längst satt. Die Kombination aus Salz, Zucker und Fett gefällt dem Menschen offensichtlich – aber sie macht uns auch dick und krank. Die Lebensmittelindustrie deckt dieses Bedürfnis, sie stellt Produkte her, die kalorienreich sind, aber nicht satt machen. Betrachten sie den Siegeszug von Fast-Food in China, das derzeit die traditionelle Küche verdrängt. Mit der Folge, dass auch dort die Menschen dick werden.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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Hans-Georg Joost ist seit 2002 Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Bergholz- Rehbrücke (DIfE). Er ist Professor für Pharmakologie der Uni Potsdam.

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