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Keine Superstars mehr. Marco Schreyl sucht den „besten Chor im Westen“.

© WDR/Max Kohr

Der WDR und seine Unterhaltung: Darf man Hasser hassen?

Das Bedürfnis der Menschen nach Entspannung: In „politisch bewegten Zeiten“ setzt der WDR auch auf die Unterhaltung. Und auf einen Mann, der von RTL kam.

Problematisch am Fernsehen sei nicht, dass es unterhaltsame Themen präsentiere, schrieb Neil Postman vor gut 30 Jahren. Problematisch sei, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiere. Ein Unterhaltungschef muss das naturgemäß anders sehen, auch in Zeiten von Krieg, Terror und Flüchtlingskrise.

„Unterhaltung ist in politisch bewegten Zeiten wichtig“, sagt Siegmund Grewenig vom WDR. Satire und Kabarett könnten für einen anderen Blickwinkel sorgen. Außerdem befriedige die Unterhaltung das Bedürfnis der Menschen nach Entspannung. Unterhaltung sei „ein unfassbar weites Genre“.

Unfassbar weit ist das Angebot des WDR vielleicht nicht gerade. Aber die Spannweite zwischen Carolin Kebekus und Marco Schreyl ist schon beträchtlich. Die scharfzüngige Frau Kebekus, deren „Pussy Terror TV“ ab dem 29. September ins Erste befördert wird, zählt wohl zur Kategorie „anderer Blickwinkel“, der nette Herr Schreyl eher zur „Entspannung“.

Jahrelang gehörte der gebürtige Erfurter als „DSDS“-Moderator zur ersten Unterhaltungs-Liga, ehe ihn RTL 2013 abservierte. Beim WDR sucht er nun keine Superstars oder Supertalente, sondern den „besten Chor im Westen“. Schreyl moderiert im Dezember das Halbfinale und das Finale, die beide als Live-Shows gesendet werden.

Außerdem übernimmt er im Januar 2016 ein neues Quiz („Zwei für Einen“). Von einem Comeback des 42-Jährigen zu sprechen, wäre übertrieben. Schreyl stand zeitweise für den MDR vor der Kamera, pflegte seine Hörfunk-Karriere bei HR1 und seit zwei Jahren auch bei WDR2. Da war der Weg ins WDR Fernsehen nicht mehr weit, zumal Schreyl seit elf Jahren in Köln lebt.

Ob man ins Badewasser pinkeln dürfe

Mit Schreyl hat der WDR also eine nicht mehr ganz so große Nummer an Land gezogen. Das dürfte sich gerade noch mit dem offiziellen Sparkurs vertragen. Der WDR machte 2015 trotzdem ein Minus von 104 Millionen Euro.

Die gemütlichen Zeiten sind auch beim größten ARD-Sender vorbei: Laut Grewenig könne man sich in der Unterhaltung Neues nur leisten, wenn Bestehendes wegfalle. Gerade hat man alte Zöpfe wie die Übertragungen aus dem Millowitsch-Volkstheater abgeschnitten, auch vom 20 Jahre alten Dauerbrenner „Zimmer frei“ trennt sich der Sender. Auf dessen sonntäglichem Sendeplatz wird ab dem 16. Oktober Kabarettist Dieter Nuhr zu sehen sein.

Bei „Nuhr gefragt“ - produziert von Günther Jauchs i&u TV – bilden jeweils zwei Comedians ein Pro- und ein Contra-Team, die sich unvorbereitet über vom Publikum eingereichte Fragen streiten sollen. Im Piloten ging es etwa um das Thema, ob man ins Badewasser pinkeln dürfe. Grewenig betonte, der WDR denke an Gehaltvolleres, zum Beispiel: „Darf man Hasser hassen?“

Das ist eine Frage, die sich zurzeit manche stellen. Aber wenn WDR-Redakteure floskeln, sie wollen mit ihren Programmen „ganz nahe am Menschen“ und „auf Augenhöhe“ sein, meinen sie vor allem die Unterhaltungsplage namens „Factual Entertainment“. Sendungen also, in denen mit wirklichen Menschen an wirklichen Orten allerlei ausgedachter Schabernack getrieben wird. Aus Bochum stammt Familie Wurst, der ab dem 17. Oktober eine sechsteilige Dokusoap gewidmet werden soll.

Die eineiigen Zwillinge Manfred und Werner haben recht unkonventionelle Frisuren und Klamotten, machen in Versicherungen und spielen gemeinsam mit Manfreds Sohn Michael, dem Stadionsprecher des VfL Bochum, in einer Band. Und, kein Scherz, die Assistentin betätigt sich im Hinterzimmer der Versicherungsagentur als Geistheilerin.

Der WDR beteuert, dass die von Bettina Böttingers Encanto TV produzierte Serie „Familie Wurst“ nicht gescriptet ist, die Geschichten also nicht auf einem Drehbuch beruhen.

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