zum Hauptinhalt
Raue Sitten. Als Olga Lenski (Maria Simon) auf dem Aussteigerhof von Lennard Kohlmorgen (Jürgen Vogel, Mitte) ankommt, muss ihr Kollege Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) erst einmal einen Streit schlichten.

© rbb/Oliver Feist

Der "Polizeiruf" aus Brandenburg: Allzeit bereit für die Apokalypse

Endzeitstimmung: Der „Polizeiruf 110“ aus Brandenburg mit Maria Simon und Lucas Gregorowicz wirft einen Blick in die Prepper-Szene.

Der neue „Polizeiruf 110“ verheißt nichts weniger als das Ende aller Gewissheiten – zunächst nur für Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) und ihre Tochter, im Verlauf der Episode jedoch für jedermann. Regisseur Matthias Glasner, der zusammen mit Mario Salazar auch das Drehbuch zum neuen RBB-Krimi geschrieben hat, stellt die ganz großen Fragen, vor allem aber stellt er zunächst einmal den gewohnten Ablauf des ARD-Sonntagabendkrimis infrage. Denn bis es eine Leiche und somit einen Fall für die Kriminalpolizei gibt, vergeht viel Sendezeit – die jedoch keineswegs vergeudet wird.

Alles beginnt mit dem Einbruch in der behaglich eingerichteten Wohnung von Olga Lenski. Gestohlen werden ein Fernseher und das rosa Kinderfahrrad von Tochter Alma. Der Diebstahl wäre sicherlich zu verschmerzen, wenn die Einbrecher die Kommissarin und ihre Tochter nicht mit dem Handy im Schlaf gefilmt hätten. Den Tätern hilflos ausgeliefert gewesen zu sein, erschüttert Olga Lenski zutiefst. „Es ist doch sowieso alles sinnlos, wenn man nicht einmal die eigenen Kinder zu Hause schützen kann“, sagt sie zu ihrem Kollegen Adam Raczek (Lucas Gregorowicz), der zwar weiterhin mit Lenski per Sie ist, sich aber fürsorglich um sie kümmert – und zur Sicherheit sogar eine Nacht vor ihrem Haus im Auto schläft.

Im Aussteiger-Paradies

Doch das bringt Olga Lenski die Selbstsicherheit nicht zurück, ohne die sie ihren Job nicht machen kann. Auf dem Aussteiger-Hof von Lennard Kohlmorgen (Jürgen Vogel) nahe der deutsch-polnischen Grenze versucht sie diese wiederzuerlangen. Nicht alle kommen mit der Ruhe dort zurecht, „manche finden es friedlich, andere gespenstig“, warnt Kohlmorgen die Zwangsurlauberin Lenski, die ihre Tochter bei ihrer Mutter untergebracht hat. Zumal die Stimmung auf dem Kohlmorgenhof reichlich angespannt ist, Tochter Ulrike (Sofie Eifertinger) findet das Leben als Prepper nicht so schick, sie möchte lieber mit der Landjugend abhängen.

Prepper werden Menschen genannt, die sich – allzeit bereit – auf das Ende der Zivilisation vorbereiten. Kohlmorgen glaubt nicht nur daran, dass dieses Ende bevorsteht, für ihn befindet sich die Menschheit längst in diesem Stadium. Der Hof ist dank Ackerbau, Windrad und Brunnen autark, doch seiner Frau Valeska (Patrycia Ziolkowska) war dieser Ausstieg noch nicht radikal genug. Sie hat ihren Mann verlassen, um sich dem noch radikaleren Ulysses (Dimitrij Schaad) anzuschließen. Sein Ziel: die Apokalypse beschleunigen.

Doch dann wird Valeska erschossen in einem Wald gefunden. Lennard Kohlmorgen gehört zwangsläufig zum Kreis der Verdächtigen, doch Olga Lenski will nicht an seine Schuld glauben und gerät unweigerlich in arge Gewissenskonflikte. Unterdessen bahnt sich eine Katastrophe an, die weit über Einzelschicksale reicht.

Von Bob Woodward nach Brandenburg

Dieser „Polizeiruf“ ist kein Krimi von der Stange, weder gibt es die klassische Mördersuche noch das gewohnte soziale oder psychologisch motivierte Drama. Das drückt bereits der verwirrende Titel „Demokratie stirbt in Finsternis“ aus. Regisseur und Autor Glasner verwendet ihn als Metapher für eine Welt, in der nichts mehr zusammenpasst. Dabei hat das Zitat eine interessante Geschichte: Amazon-Chef Jeff Bezos nutzt den Slogan als Motto für die von ihm gekaufte „Washington Post“ und spielt dabei auf einen Vortrag von Watergate-Rechercheur Bob Woodward an. Diese Finsternis, so insinuiert es jedenfalls der „Polizeiruf“, bedroht uns alle. Und diese Dunkelheit ist wörtlich gemeint.

Ein Leben als Selbstversorgerin abseits vom allumfassenden Konsumzwang kann sich Schauspielerin Maria Simon übrigens sehr gut vorstellen. Vor ein paar Jahren hätte sie aus Sorge um die Kinder und Furcht vor der Zukunft am liebsten sofort alles hingeschmissen und sich „aus dieser kaputten Welt“ zurückgezogen“. Doch sie erkannte, dass sie damit ihre Familie zu sehr unter Druck setzen würde. Stattdessen wolle sie nun „Schritt für Schritt gesunde Kreisläufe schaffen“ und „erst mal in mir selbst aufräumen“. Lucas Gregorowicz geht nüchterner mit dem Thema um: „Manchmal hätte ich gerne ein Leben, das im Alltag einen Traktor braucht. Aber letztlich bin ich zu sehr Stadtkind. Allein auf dem Land würde ich es keine zwei Wochen aushalten.“

„Polizeiruf 110 – Demokratie stirbt in Finsternis“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false