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Will sich bessern. Harvey Weinstein, Jahrgang 1952, bei den Oscars 2014 in Los Angeles

© dpa

Der Fall Harvey Weinstein: Chauvis Abgang

Sexuelle Belästigungen, über 30 Jahre: Der mächtige Studioboss Harvey Weinstein wurde gefeuert. Der Skandal hat auch eine politische Dimension.

Es hat alles nichts genutzt: Nicht, dass er sich entschuldigt hat, nicht, dass er sich seit einiger Zeit von der Anwältin seiner Firma beraten ließ, nicht dass er sich mit betroffenen Frauen außergerichtlich einigte, und dass er in therapeutischer Behandlung war. Am Sonntag wurde der mächtige Studioboss Harvey Weinstein, einer der einflussreichsten Filmschaffenden in den USA, von seiner eigenen Firma entlassen. Fristlos.

Eigentlich klingt die Mär von der Besetzungscouch ja derart abgeschmackt, dass sie nicht einmal mehr für schlechte Witze taugt. Nun stellt sich heraus, dass die Realität leider genauso abgeschmackt ist. Harvey Weinstein musste gehen, nachdem letzte Woche etliche Schauspielerinnen und Firmenangestellte in der „New York Times“ massive Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen ihn erhoben hatten. Am Sonntag entschieden die übrigen Direktoren der Weinstein Company, dass die Beschäftigung des 65-Jährigen mit sofortiger Wirkung beendet sei. Fünf der neun Aufsichtsrats-Mitglieder traten US-Medienberichten zufolge ebenfalls zurück – aus einem Gremium, das ausschließlich aus Männern besteht. „Übrig“ sind nun noch Harveys Bruder Robert Weinstein, Lance Maerov, Richard Koenigsberg und Tarak Ben Ammar.

Zu den Frauen, die von Vorfällen aus drei Jahrzehnten berichten, gehört auch der Filmstar Ashley Judd. Wie Judd berichten auch andere davon, dass Weinstein sie zu angeblichen Arbeitstreffen in sein Luxushotelzimmer bat, um sich dort eine Massage von ihnen zu wünschen oder dass sie ihm beim Duschen zusehen. Immer wieder soll Weinstein jungen Schauspielerinnen oder Firmenneulingen versprochen haben, ihnen bei der Karriere zu helfen, wenn sie ihm sexuell zu Diensten seien. In mindestens acht Fällen kam es zu außergerichtlichen Einigungen: Geld gegen Stillschweigen.

Sechs Oscars haben die Weinsteins gewonnen

Zwar ist der mit sechs Oscars prämierte Weinstein, der mit seinem Bruder Bob zunächst die erfolgreiche Produktionsfirma Miramax betrieb und nach deren Verkauf an Disney 2005 die Weinstein-Company gründete, kein Hollywoodmogul, sondern ein Independent-Produzent mit Sitz in New York. Auf das Konto der Weinsteins gehen Welterfolge wie die Oscargewinner „Shakespeare in Love“, „The Artist“ und „The King's Speech“, Martin Scorseses „Gangs of New York“ oder auch die Tarantino-Produktionen „Inglorious Basterds“, „Django Unchained“ und zuletzt „The Hateful Eight“. Dennoch verkörpert Harvey Weinstein das Stereotyp vom Traumfabrikboss geradezu, das Bild vom korpulenten, Zigarre rauchenden, jovialen, aufbrausenden Produzenten.

Wer ihn einmal auf dem Filmfest in Cannes sah, wie er durch die Rue d’Antibes eilt, mit einem halben Dutzend, handybewehrter (männlicher) Assistenten im Schlepptau, die abwechselnd nach vorne zum Chef eilen, um ihm das nächste Telefonat zu reichen, vergisst diesen Anblick der zur Schau gestellten Macht nicht mehr.

Produzenten wie Weinstein jonglieren mit vielen Millionen Dollar, sie haben tatsächlich das Potenzial, Karrieren zu kreieren oder zu zerstören. In der Branche, so heißt es jetzt, war Weinsteins Sexismus ein offenes Geheimnis, ebenso wie sein cholerisches Wesen.

Der Fall Weinstein hat viele Facetten. Zum einen wegen Weinsteins Statement in der „New York Times“, in dem der mit der britischen Modedesignerin Georgina Chapman verheiratete Mann und Vater zweier Kinder den Kampf gegen seine Dämonen verspricht und den Rapper Jay Z zitiert: „Ich bin nicht der Mann, für den ich mich hielt, der ich aber sein sollte, meiner Kinder zuliebe“. Das Statement beginnt mit Weinsteins Hinweis, dass er ein Kind der 60er und 70er Jahre sei, „als noch andere Regeln für das Benehmen und für den Arbeitsplatz galten. Es war die Kultur damals.“ Inzwischen habe er gelernt, dies sei keine Ausrede.

Einsicht, Reue, Verantwortung klingen anders. Noch in Weinsteins Entschuldigung schwingt der Chauvinismus einer lange als fortschrittlich geltenden Libertinage mit, die sexuelle Befreiung mit dem Recht auf Übergriffigkeit gleichsetzt und der überrascht feststellt, dass die Zeiten sich geändert haben. Wenn er schon nicht selber draufkommt, dass Frauen der gleiche Respekt gebührt wie Männern: Hat Weinstein die Frauenbewegung jener Jahre verschlafen? Lisa Bloom, jene beratende Firmenanwältin, nennt ihn jedenfalls einen „alten Dinosaurier, der neue Wege lernen muss“. Man kennt das, vom kürzlich gestorbenen „Playboy“-Herausgeber Hugh Hefner bis zu US-Präsident Donald Trump, der in Sachen Weinstein ein abwiegelndes „bin überhaupt nicht überrascht“ zum Besten gab.

Macht, Männlichkeit, Mobbing

Die Macht und die Männlichkeit, das ist die andere Facette des Skandals, ein altes und leider immer noch aktuelles Lied. Die Medien, die Kreativbranche, das Geschäft mit der Fantasie, sind anfällig dafür. Die Schauspielerin Evan Rachel Wood berichtete letztes Jahr davon, dass sie mehrfach missbraucht und vergewaltigt worden sei, auch Popstars werden von Produzenten belästigt. Madonna sprach in ihrer Dankesrede für den „Woman of the Year“-Award 2016 über den „krassen Sexismus, die Misogynie, das konstante Mobbing und die schonungslosen Schmähungen“, die sie in 34- Berufsjahren erlebt habe. Roger Ailes, der langjährige Chef und Mitgründer von Fox News, wurde im Sommer 2016 aller Ämter enthoben, wegen sexueller Belästigungen. Im April musste Bill O’Reilly, Starmoderator bei dem Nachrichtensender aus dem gleichen Grund gehen.

Drittens ist da die politische Dimension. Weinstein gilt als Liberaler, er hat die Demokraten mit großzügigen Spenden unterstützt und soll während des diesjährigen Sundance Filmfestivals in Park City beim Women’s March gegen Trump mitdemonstriert haben. Fotos zeigen ihn mit Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und mit Barack Obama. Michelle Obama pries ihn 2013 als großartigen Menschen, nannte ihn einen guten Freund. Malia Obama, die älteste Tochter des früheren US-Präsidenten, absolvierte kürzlich ein Praktikum bei der Weinstein Company.

Gegen den Sexismus des Republikaners Trump geht man auf die Straße, in den eigenen Reihen schaut man nicht so genau hin: Mit Weinstein fällt ein Schatten auf das andere Amerika, das sich nun des Verdachts der Doppelmoral ausgesetzt sieht. Erste Kongressabgeordnete kündigten an, die von Weinstein überwiesenen Spendengelder an Wohltätigkeitsorganisationen weiterleiten zu wollen.

Auch die Mitverantwortung der schweigenden männlichen Kollegen wird in den USA zunehmend Thema. Ohne Weinstein explizit zu nennen, twitterte Evan Rachel Wood: „Männer, wir brauchen euch als Verbündete“. (mit AFP, dpa)

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