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Debatte um die DDR-Vergangenheit der Uni Potsdam: „Es war die richtige Entscheidung“

Der Historiker Julius H. Schoeps war 1991 Mitglied im Gründungssenat der Universität Potsdam. Für die aktuelle Kontroverse zur Nachwendegeschichte hat er wenig Verständnis. Dass sich die Uni in den meisten Fällen für die Übernahme von DDR-Wissenschaftlern entschieden hat, findet Schoeps im Rückblick richtig.

Herr Schoeps, Sie waren 1991 Mitglied des Gründungssenats der Universität Potsdam. War es tatsächlich so, dass durch die Übernahme der PH-Wissenschaftler eine Forschungslücke entstanden ist?

Ich begreife diese Debatte nicht, die im Augenblick die Gemüter erregt. Wieso soll durch die Übernahme von Wissenschaftlern der Pädagogischen Hochschule bzw. von Wissenschaftlern der Brandenburgischen Landeshochschule Anfang der 1990er-Jahre eine „Forschungslücke“ entstanden sein? Wir standen seiner Zeit im Gründungssenat wie in ganz Ostdeutschland vor der schwierigen Aufgabe, in der Umbruchphase zwei unterschiedliche Wissenschaftssysteme zusammenzuführen. Das war, was manche sich offensichtlich heute kaum noch vorstellen können, nicht ganz einfach.

Können Sie das näher ausführen?

Es war eine einmalige historische Situation, die eine Reihe von Fragen aufwarf. Wir stellten uns ihnen im Potsdamer Gründungssenat, so gut wir konnten. Manche Entscheidung, die wir fällten, hätte vielleicht anders ausfallen müssen, aber im Rückblick ist man ja bekanntlich immer klüger. Die Grundorientierung im Um- und Ausbau der Wissenschaft, begleitet von allen Ländern, dem Bund und dem Wissenschaftsrat, war aber richtig.

Hatte die Entscheidung zur Umgründung statt Neugründung in Potsdam nicht fatale Folgen für die Universität?

Nein, ich war damals der Ansicht, dass wir einen gangbaren Weg gehen müssen, die Vereinigung im Hochschulbereich so durchzuführen, dass sie im Einklang mit dem Einigungsvertrag für alle Seiten akzeptabel ist. Eine komplette Gesamtauflösung der ostdeutschen Hochschulen war zudem auch von der ersten neuen gesamtdeutschen Kultusministerkonferenz eindeutig abgelehnt worden. Sie wäre wohl auch nicht mit dem Einigungsvertrag zu vereinbaren gewesen. Deshalb haben wir es im neu gegründeten Land Brandenburg bei der Universität Potsdam mit einer Mischform von Neugründung und Umgründung zu tun gehabt, wie sie es auch in anderen ostdeutschen Ländern gegeben hat. Das war, wie man sich vorstellen kann, mit einigen Problemen verbunden.

Was waren das für Probleme?

Zum einem ging es darum, den Masterplan, drei Universitäten und mehrere Fachhochschulen in Abstimmung und Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsrat zu gründen, zum anderen darum, bestehende Einrichtungen aufzulösen bzw. umzugründen und umzugestalten. Dazu gehörte es unter anderem, das vorhandene Personal zu kündigen, falls dies wegen der Aufgabenneuorientierung, der organisatorischen Veränderungen oder aus anderen Gründen rechtlich zulässig war, oder bei gegebenen Qualifikationen zu übernehmen. Entsprechende Neuaufbau- und Umorganisationsvorgänge gab es überall in Ostdeutschland, so zum Beispiel auch an der Berliner Humboldt-Universität. Im Potsdamer Gründungssenat entschlossen wir uns nach der Rechts- und Sachlage häufiger für die Übernahme – wohlgemerkt in enger Absprache mit der Landesregierung und nach vom Parlament beschlossenen gesetzlichen Vorgaben, an denen wir uns im Gründungssenat zu orientieren hatten.

Waren es dann tatsächlich die außeruniversitären Institute, die der Universität aus der Forschungslücke ihrer Gründungstage halfen?

Eine „Forschungslücke“ hat es, wie gesagt, erst ab 1994 gegeben. Nach dem Konzept, das wir vorher im Gründungssenat entwickelt hatten, sollte die Universität mit einer Reihe außeruniversitärer Institute vernetzt werden. Das ist, wie ich rückblickend sehe, auch in guter Zusammenarbeit mit der Regierung mit großem Erfolg gelungen. Einfach war das nicht, aber das Konzept erschien uns zukunftsträchtig und hat zweifellos der Universität in den 1990er-Jahren geholfen, schnell auf die Füße zu kommen.

Heute pochen an der Uni die einen auf die Anerkennung ihrer Lebensleistung als DDR-Wissenschaftler, die anderen bemängeln deren Qualifikation.

Es gab zweifellos kompetente und inkompetente Wissenschaftler in der DDR, aber auch, das sei an dieser Stelle ausdrücklich vermerkt, in der alten Bundesrepublik. Den Vorwurf, jemand sei inkompetent, sollte man auch aus rechtlichen Gründen nicht ohne sorgfältige Überprüfung übernehmen. Wichtiger scheint mir, die damalige Lage so einzuschätzen, wie sie tatsächlich war. Die Rahmenbedingungen, unter denen Wissenschaftler arbeiten konnten, waren in der alten Bundesrepublik sicherlich besser als in der damaligen DDR. Das sollte man bei aller Kritik, die im Rückblick angemeldet wird, immer berücksichtigen.

Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?

Ich denke oft daran, dass mein Vater, als er aus der Emigration aus Schweden zurückkehrte, einen Ruf an die Uni Leipzig bekam. Hätte er diesen Ruf angenommen, wäre ich in der DDR aufgewachsen. Was wäre dann aus mir geworden? Vielleicht hätte man mich zum Studium zugelassen, vielleicht auch nicht – und wenn, dann wäre ich unter Umständen als Professor an der PH Karl Liebknecht in Potsdam gelandet. Was will ich damit sagen? Es sind häufig Zufälle, die unser Leben bestimmen. Das sollte man immer im Hinterkopf haben, wenn man über mangelnde „Kompetenz“ bei Wissenschaftlern räsoniert.

Gab es in der Gründungsphase der Universität denn Alternativen?

Alternativen gibt es in einem natürlich nicht unbegrenzten Handlungsspielraum immer. Landtag und Regierung haben zum Beispiel im Land Brandenburg in der ersten Legislaturperiode für die Hochschulentwicklung einen zügigen Personalausbau mit vielen neuen, auch für den Forschungsaufbau wichtigen Professorenberufungen beschlossen. Diese Planung hatte sogar in das Hochschulgesetz Aufnahme gefunden, wurde aber nach den Landtagswahlen 1994 wieder gestrichen. DDR-Wissenschaftler bei der Neu- bzw. Umgründung der Universität zu entlassen, war weder das Ziel des Gesetzgebers, noch das Ziel der brandenburgischen Regierung und Opposition in der ersten Legislaturperiode oder des Uni-Gründungssenats. Der brandenburgische Weg für den zügigen Hochschulaufbau war, wie ich auch heute noch meine, die richtige, die adäquate Entscheidung.

Die Uni Potsdam galt in den 1990er-Jahren als rotes Pflaster, manch einer vermutete Stasi-Seilschaften

Natürlich gab es Seilschaften, die versuchten, ihre Interessen mit Macht durchzusetzen. Da gab es ehemalige SED-Funktionäre, die das taten, aber auch Professoren aus dem Westen, die auf den ausgeschriebenen Lehrstühlen ihre Schüler zu platzieren suchten. Da wurde zum Teil mit sehr unschönen Mitteln gearbeitet. Solche Erscheinungen hat es wohlgemerkt aber nicht nur in Potsdam gegeben.

Wie reagierte die Hochschule damals?

Wir haben diese Machenschaften im Potsdamer Gründungssenat zur Kenntnis genommen und uns, so gut wir konnten, dagegen gewehrt. In dem einen oder anderen Fall gab es Konflikte, die wir uns aber bemühten zu entschärfen. Wir sahen keinen Sinn darin, einen Konfrontationskurs zu fahren. Nur wenn die Einmischungen zu dreist waren, haben wir erklärt: bis hierher und nicht weiter.

Waren die Telefone damals wirklich nicht sicher?

Ob die Telefone manipuliert waren, weiß ich nicht. Manche haben das damals behauptet. Ich bin jedenfalls, wenn ich vertrauliche Gespräche zu führen hatte, zur Glienicker Brücke gefahren, wo auf der westlichen Seite gelbe Telefonhäuschen der Bundespost standen, um zu telefonieren. Heute frage ich mich, vielleicht wurden wir auch dort abgehört, zwar nicht von der Stasi, aber unter Umständen vom Bundesnachrichtendienst?

Sie waren bereits Anfang der 1980er-Jahre mehrfach auf Einladung kirchlicher Kreise zu Vorträgen in der DDR. Heute erinnern Sie sich an mitunter unwirkliche Situationen, wenn Sie in der DDR zu verpönten Themen wie Israel und der Zionismus sprachen.

Das war in der Tat so. Bei meinen Vorträgen, die ich in Berlin, Leipzig und Chemnitz, der damaligen Karl-Marx-Stadt, hielt, saßen nicht nur Stasi-Leute, die das, was ich sagte, mit Tonbandgeräten mitschnitten, sondern auch am Thema Interessierte, die meine Ausführungen aufzeichneten und als Samisdat (Untergrundpublikation, Anm. d. Red.) weiter verbreiteten. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Vortragsveranstaltung, die in der Leipziger Nikolai-Kirche vor Hunderten von Menschen stattfand. Nach meinem Vortrag konnten Fragen gestellt werden. Das geschah allerdings nicht mündlich, sondern auf für mich damals ungewöhnliche Weise. Die Fragesteller, die sich zu Wort meldeten, äußerten sich nicht öffentlich, sondern notierten zu ihrem Schutz ihre Fragen auf Zettel, die mir gereicht wurden. Ich las dann die gestellte Frage laut vor und bemühte mich, diese – so gut es ging – zu beantworten.

An der neu gegründeten Uni Potsdam gab es dann auch Mitarbeiter, die sich von ehemaligen Hardlinern drangsaliert fühlten.

Ich habe davon gehört, Genaueres ist mir jedoch nicht zur Kenntnis gebracht worden. Meist waren es Gerüchte, die mir zu Ohren kamen.

Von Seiten der Stasi-Opfer gab es wiederum den Vorwurf, dass viele West-Wissenschaftler auf dem linken Auge blind sind bzw. das Stasi-Problem in seiner Dimension verkannten.

Das Stasi-Problem haben wir natürlich immer wieder im Gründungssenat diskutiert. Wir waren uns einig: Wenn jemand nachgewiesenermaßen einen anderen denunziert und vorsätzlich geschadet hat, dann sollte man sich von ihm trennen. Blind waren wir auf diesem Auge nicht. Es gab ja auch zwingende rechtliche Vorschriften für die Behandlung von Stasi-Fällen. Zugegebenermaßen war es manchmal in den Anfängen nicht ganz einfach, auf ein sich stellendes Personalproblem richtig zu reagieren.

Als Sie 1991 Räume im Neuen Palais bezogen, fanden Sie nur leere Regale vor. Hatte man sich so der DDR-Geschichte einfach entledigt?

Das war in der Tat so. Als ich meine Tätigkeit als Gründungsdekan in Potsdam aufnahm, waren die Räume leer, die ich bezog. Die Container, die in Reih und Glied vor den Communs aufgestellt standen, waren gefüllt mit Büchern, von denen man sich getrennt hatte, die man nicht mehr haben wollte. Ich habe damals eigenhändig einige der blauen Bände der Marx-Engels-Werke aus den Containern gezogen und sichergestellt. Sie stehen heute in meiner Bibliothek. Und ich bin stolz darauf, sie heute in meinem Besitz zu haben.

Inwiefern hat Sie die Ost-West-Thematik damals persönlich umgetrieben?

Brandts berühmter Ausspruch „Es wächst zusammen, was zusammengehört“ hat mich nicht wirklich überzeugt. Anfänglich hätte ich mich auch mit der Existenz von zwei deutschen Staaten zufrieden gegeben. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich mit dem „vereinten“ Deutschland abgefunden habe. Das hing unter anderem damit zusammen, dass mein Blickwinkel ein anderer war. Ich war damals davon überzeugt, das Leben für die Juden im vereinten Deutschland würde nicht einfacher, sondern schwieriger werden.

Das müssen Sie genauer erklären.

Juden hatten sich im geteilten Deutschland halbwegs wohnlich eingerichtet. Beide Staaten hatten nur eine eingeschränkte Souveränität, was in den jüdischen Gemeinden als ein gewisser Schutz empfunden wurde. Das neue, das vereinte Deutschland brachte für die Juden ein Problem, denn es forderte von ihnen eine Umorientierung, das mit einem Bekenntnis zum vereinten Deutschland verbunden war. Das ist vielen Juden schwergefallen.

Was zog Sie damals nach Osten?

Es waren verschiedene Gründe, die mich 1990/91 bewogen, in den Osten zu gehen. Einmal faszinierte mich die spürbare Aufbruchsstimmung, zum anderen war ich angetan von den Möglichkeiten, die sich in Brandenburg eröffneten. Etwas aufbauen beziehungsweise mitgestalten zu können, das war etwas, was mir gefiel. Dafür war ich bereit, so manches hinter mir zu lassen.

Sie hatten auch persönliche Gründe.

Es kam hinzu, dass die Wurzeln meiner Familie, väterlicher- wie mütterlicherseits, im Brandenburgischen liegen. In gewisser Weise habe ich es als eine Art moralische Verpflichtung angesehen, am Wiederaufbau in den neuen Bundesländern mitzuwirken.

Die goldenen Jahre für die Brandenburger Wissenschaft waren schon 1994 wieder vorüber. Hat Sie die marode Situation in den Neuen Bundesländern damals nicht eher ernüchtert?

Die Voraussetzungen, unter denen wir im Gründungssenat angetreten waren, hatten sich in atemberaubender Geschwindigkeit verändert. Unsere Planungen wurden teilweise komplett über den Haufen geworfen, als die finanziellen Rahmenbedingungen sich von Grund auf änderten. Das Jahr 1994, so meine ich im Rückblick, war die Wegscheide. Die notwendigen Gelder für den weiteren geplanten Ausbau der Universität blieben aus. Die Ausbaukonzepte waren über Nacht zu Makulatur geworden. Teilweise waren das bittere Erfahrungen.

Unbeirrt davon haben Sie das Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) in Potsdam ins Leben gerufen. Das ging sicher nicht reibungslos ab?

Das stimmt. Die Gründung war mit vielerlei Problemen verbunden. Eines der Probleme war, dass das MMZ jahrelang strukturell unterfinanziert war und wir immer bemüht waren, zum Überleben Drittmittel einzuwerben. Dessen ungeachtet ist das MMZ eine Erfolgsgeschichte geworden und ist heute aus der internationalen Wissenschaftslandschaft nicht mehr wegzudenken – und ich hoffe, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Sie waren damals auch Museumsdirektor in Wien, hatten beste Kontakte in die Wissenschaft der Alten Bundesländer, hatten Sie nie an Rückzug gedacht?

Nein. Ich war dort angelangt, wohin ich immer wollte. Manches kam zwar anders, als ich mir das vorgestellt hatte, aber alles in allem war es die richtige Entscheidung, nach Potsdam zu gehen und dort zu bleiben. Irgendwo anders hin wollte ich dann nicht mehr.

Letztlich halten Sie die Etablierung der Wissenschaft im Osten im Rückblick aber für einen Erfolg. Warum?

Aus meiner Sicht ist die Umstrukturierung der Wissenschaftslandschaft durchaus gelungen. Es gab zwar Anlaufschwierigkeiten und Mitte/Ende der 90er-Jahre auch Stagnationsprozesse, die aber, zum Teil mit Rückschlägen, langsam überwunden werden konnten. Die Universität Potsdam steht heute gut da. Es gibt deshalb, um zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückzukommen, keinen Anlass zum Jammern und Wehklagen. Um die Zukunft dieser Universität, an deren Entstehen ich in den Anfängen mitwirken durfte, ist mir jedenfalls nicht bange.

Das Interview führte Jan Kixmüller

ZUR PERSON: Julius H. Schoeps (73) ist Gründungsmitglied der Universität Potsdam. 1992 gründete der Historiker und Politologe das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) an der Universität, dessen geschäftsführender Direktor er bis 2014 war.

Schoeps, als Kind jüdischer Eltern 1942 im schwedischen Exil geboren, kam 1991 von der Universität Duisburg nach Potsdam. Hier wurde er Mitglied im Gründungssenat und übernahm die Professur für Neuere Geschichte.

Schoeps zählt zu den profiliertesten deutschen Historikern im Bereich der jüngeren deutschen Geschichte sowie der NS- und Holocaust- Forschung. Kix

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