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Aufbauleistung. Heute hat die Uni Potsdam ein gutes Renommee. Für ihre Anfangsjahre konstatierte Historiker Görtemaker durch die Übernahme nicht ausreichend qualifizierter Mitarbeiter allerdings eine wissenschaftliche Blockade, die nur durch außeruniversitäre Forschung aufgefangen werden konnte.

© Karla Fritze/UP

Debatte um DDR-Vergangenheit an der Uni Potsdam: Eine umstrittene Geschichte

Um die Rede von Uni-Historiker Manfred Görtemaker zur Nachwendegeschichte der Universität Potsdam ist eine Kontroverse entbrannt. Mitarbeiter aus den ehemaligen DDR-Hochschulen fühlen sich diffamiert.

Potsdam - Es blieb still im Saal. Bis der Applaus aufbrandete. Uni-Historiker Manfred Görtemaker hatte zur Nachwendegeschichte der Hochschule gesprochen. Kein Murren, keine Zwischenrufe – und das obwohl Görtemaker in seinem Festvortrag zum Neujahrsempfang ein heikles Thema angesprochen hatte. Nämlich dass die Übernahme von einer großen Zahl an Wissenschaftlern und Mitarbeitern der DDR-Vorgängereinrichtungen die Entwicklung der jungen Potsdamer Universität Anfang der1990er-Jahre gebremst habe. Zu viele Altverträge von Uni-Mitgliedern ohne Forschungshintergrund hätten eine Art Innovationsstau bedingt. Noch heute sind noch einige Hundert Mitarbeiter mit solchen „Altverträgen“ im Haus.

Widerspruch regt sich nun im Nachgang

Der Widerspruch, der direkt auf die Rede ausgeblieben war, regt sich nun im Nachgang. Die Rede sorgt gegenwärtig für Gesprächsstoff an der Universität. Eine Reihe von aktiven wie auch im Ruhestand befindlichen Uni-Mitarbeitern, die sich von dem Vorwurf angegriffen fühlen, haben sich in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet. Allen voran der ehemalige Physik-Professor Ludwig Brehmer, der seit den 1960er Jahren an der Pädagogischen Hochschule tätig war und ab 1992 bis zu seiner Emeritierung Professor der Universität Potsdam war. Er spricht, wie er selbst sagt, im Namen von 25 Dozenten und Professoren. Seinen Unmut hat er in einem Schreiben an die PNN formuliert.

Ludwig Brehmer spricht von Entwürdigung, Diffamierung und falschen Aussagen, auch mit Blick auf ein PNN-Interview mit Görtemaker (27.01.2016). Die Leistungen der Mitarbeiter der Vor-Universitätszeit und der in die Uni übernommenen Mitarbeiter seien hier nicht gewürdigt und als fachlich inkompetent und politisch belastet dargestellt worden. Brehmer empfindet das als herablassend und beleidigend. Er hat ein ganz anderes Bild von der Gründungszeit der Universität. Die Entwicklung und der Aufbau der Uni seien zumindest im ersten Jahrzehnt gerade von den Mitarbeitern der ehemaligen DDR-Einrichtungen dominiert worden.

Vorgänger-Hochschule habe aus eigener Kraft die Macht der SED gebrochen  

Brehmer wirft Görtemaker, der im Auftrag der Universitätsleitung die Entstehungsgeschichte der Hochschule aufgearbeitet hat, Voreingenommenheit und Unkenntnis über das konkrete politische Leben in der DDR vor. „Es ist leicht Menschen zu verunglimpfen, wenn man selbst in der warmen Stube saß“, so der ehemalige Uni-Professor. Er selbst habe in der DDR-Zeit Drangsalierungen und Bespitzelungen der Stasi erleben müssen. Die große Mehrheit der Mitarbeiter der Brandenburgischen Landeshochschule (BLH, ab 1951 Pädagogische Hochschule Potsdam, PH) hätte aus eigener Kraft die Macht der SED an der Hochschule gebrochen, demokratische Strukturen eingeführt und eine neue Hochschulleitung gewählt. Den Eindruck, dass sie in der Mehrheit Unterstützer und Förderer des SED-Regimes gewesen seien, weißt Brehmer entschieden zurück. Die Gruppe um ihn habe Görtemakers Aussagen mit Erstaunen und Empörung zur Kenntnis genommen.

Auch der Auffassung, dass aus der ehemaligen BLH/PH viele nicht qualifizierte Mitarbeiter an die neu gegründete Universität kamen, widerspricht Brehmer ausdrücklich. Die fachliche Entwicklung der BLH sei in Forschung und Lehre eine Erfolgsgeschichte gewesen. „Und sie war die Basis für die kontinuierliche Fortführung von Lehre und Forschung in der Universität“, so der emeritierte Physik-Professor.

Manfred Görtemaker: langfristige Blockade im akademischen Mittelbau 

Manfred Görtemaker hatte in seiner Festrede gesagt: „Der unverzeihliche Mangel, dass die fachliche Eignung der übernommenen wissenschaftlichen Mitarbeiter 1991 und 1992 nicht geprüft, sondern pauschal festgestellt wurde, führte in Kombination mit den unbefristeten Verträgen nahezu aller Mitarbeiter vor allem im akademischen Mittelbau zu einer langfristigen Blockade, die eine gezielte Nachwuchsförderung für Jahrzehnte unmöglich machte.“ Das hat Brehmer empört. Die Behauptung, Wissenschaftler aus der PH seien zum Teil fachlich inkompetent gewesen, hält er in ihrer Pauschalität für nicht haltbar. Brehmer empfindet diese Aussage als besonders diffamierend. Gerade auch weil heute noch eine nicht unbeträchtliche Zahl dieser Mitarbeiter an der Universität arbeitet. 1994 waren von rund 1180 Uni-Mitarbeitern etwa 1000 aus den alten Einrichtungen, von denen heute schätzungsweise noch ein paar Hundert übrig geblieben sind.

Ludwig Brehmer: Kein Stillstand durch DDR-Wissenschaftler

Manfred Görtemakers Einschätzung, dass durch diese Wissenschaftler ein Stillstand an der damals jungen Universität eingetreten sei, will Ludwig Brehmer nicht teilen. „Genau das Gegenteil trat ein, die Universität lebt und hat sich, auch aufgrund der Qualität und Aktivität des Mittelbaus weiterentwickelt“, sagt er. Dass die PH als Lehrerbildungsanstalt von Görtemaker bezeichnet wurde, ist für Brehmer falsch. Die BLH und später PH habe einen universitären Status gehabt, das Humboldtsche Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre sei hier praktiziert worden. Auch habe an der Pädagogischen Hochschule die Forschung eine wichtige Rolle gespielt.

Die Feststellung, dass die Mitarbeiter der BLH und PH mit der Uni-Gründung „plötzlich wissenschaftlich forschen sollten“ zeugt für Ludwig Brehmer von Unkenntnis. „Von einem Wissenschaftler erwarten wir seriöse Recherchen, wenn er damit an die Öffentlichkeit geht“, sagt Brehmer zu Görtemakers Schlussfolgerung. Wissenschaftliches Forschen auf Hochschulniveau sei seit Jahrzehnten Bestandteil der Arbeit der Wissenschaftler der Brandenburgischen Landeshochschule gewesen.

Der Fall der stasibelastete Pressesprecherin

Auch der Fall der stasibelastete Pressesprecherin, die 2011 von einer Uni-Kommission im Amt bestätigt wurde, sorgt bei Brehmer für Unverständnis. Viele hätten sich dafür geschämt, dass Görtemaker, der Mitglied der Kommission war, dazu geschwiegen habe. „Es ist nicht akzeptabel, einerseits eine pauschale Verunglimpfung einer ganzen Belegschaft vorzunehmen und in wichtigen Entscheidungen keine Verantwortung zu übernehmen“, so Brehmer. Görtemaker selbst hatte dazu gesagt, nicht von der Kommission befragt worden zu sein, da er zu der Zeit zur Gastprofessur in Bologna war. Dass er nicht weiter nachgefragt habe, sei im Rückblick vielleicht ein Fehler gewesen, sagte er gegenüber den PNN.

Auch bei der Universität selbst sind mittlerweile Positionen eingegangen, die Görtemakers These vom Innovationsstau widersprechen. So schreibt die Fachdidaktikerin Ute Sändig auf der Uni-Homepage, dass sie die Umgründung zur Uni Potsdam ganz anders erlebt habe. Sie spricht von einem leidenschaftlichen Willen zum Neuanfang. Ohne die Ost-Kollegen hätte die Uni nicht überlebt. Ingrid Heiß, Geschäftsführerin der Philosophischen Fakultät, will sich nicht als "Altlast" sehen. Görtemakers Rede sei instinktlos und unsensibel gewesen. Der viel gepriesene Zusammenhalt an der Hochschule sei so nicht gefördert worden. "Hier wurde eine Chance vertan!", schreibt Heiß. Sie kommt am Ende gar zu dem Schluss, dass es ihr nach 37 Jahren nun nicht mehr schwerfallen werde, ihre Stelle bald zu räumen.

Nur wenige der betroffnen Wissenschaftler haben umfangreiche Publikationslisten

Wurde hier also mit falschem Augenmaß gemessen, die Lebensleistung von DDR-Wissenschaftlern missachtet? Manfred Görtemaker ist Historiker, er hat akribisch recherchiert und sich im Einzelnen angeschaut, welche wissenschaftlichen Leistungen erbracht wurden. Was öffentlich nachvollziehbar ist: Der Opac-Katalog der Uni ist frei zugänglich; auch die Daten der einzelnen Hochschulmitarbeiter können im Internet eingesehen werden. Tatsächlich haben nur wenige der Wissenschaftler, die damals „übergeleitet“ wurden, eine umfangreiche Publikationsliste. Und nur in Einzelfällen gelang der Sprung in eine Forscherkarriere. Doch die Umwandlung der PH in eine Universität war seinerzeit politischer Wille. Dass die Biografien der PH-Mitarbeiter dazu nicht immer passten, war nicht die Schuld der Betroffenen. „Es war der Lauf der Geschichte, aus dem man nicht aussteigen kann“, hatte Görtemaker dazu gesagt. Das müsse die Gesellschaft aushalten. Dass die Universität dann schließlich doch den Weg in die Forschungsexzellenz geschafft hat, verdankt sie vor allem den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die genau aus diesem Grund um sie herum angelegt wurden.

Uni-Präsident Oliver Günther setzt auf Dialog

Das Präsidium der Universität hatte Görtemaker den Rücken für seine historische Untersuchung gestärkt. Das 25-jährige Jubiläum sieht man hier als eine Art zweiten Neustart – in die nächsten 25 Jahre. In die Zukunft als forschungsorientierte Hochschule mit dem Ziel der Exzellenzinitiative will man mit einer transparenten Vergangenheit gehen – nicht um das Kapitel abzuschließen, sondern um nicht länger angreifbar zu sein. Görtemaker, der sich gerade einen Namen bei der Untersuchung von NS-Belastungen im Bundesjustizministerium gemacht hat, hat dazu eine Grundlage geschaffen, über die jetzt offen diskutiert werden soll. Auch dies ist ausdrücklicher Wunsch des Uni-Präsidenten Oliver Günther.

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