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Vielen Menschen die Angst - teilweise werden die Ängste durch Meldungen im Internet ausgelöst oder verstärkt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Daten mit Polizeistatistik abgeglichen und überprüft: Die gefühlte Bedrohung

Zahlen, Daten, Fakten - und Fake News. Wissenschaftler untersuchen Ängste: Woher kommt Furcht vor Kriminalität oder Überfremdung? Wie geht man damit um? Einiges ist gar keine echte Bedrohnung.

Mit der Flüchtlingskrise 2015 kam bei vielen Menschen die Angst – vor vermeintlicher Überfremdung, möglichen Straftaten oder einem Druck auf die Sozialsysteme. Um herauszufinden, wie berechtigt solche Ängste sind und wie man in den Stadtquartieren zu einer gedeihlichen Gemeinschaft findet, schrieb das Bundesforschungsministerium 2016 ein Projekt zur Sicherheitsanalyse und -vernetzung für Stadtquartiere im Wandel (SiQua) aus. Das Institut für Umweltwissenschaften und Geografie der Universität Potsdam beteiligt sich an dem Vorhaben.

Julia Burgold, Spezialistin für Humangeografie und Regionalwissenschaften an der Universität Potsdam, ist von Anfang an dabei. Aufgrund der langwierigen Regierungsbildung konnte das Vorhaben erst 2018 starten, laufen soll es bis 2021. Die Uni Potsdam kooperiert für SiQua mit der Hochschule der Polizei in Münster, der TU Dresden, der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI) und der TU Berlin. Grundlage ist ein Fragebogen, den die TU Dresden erarbeitet hat. An neun Standorten in Berlin, Essen und Dresden wird dabei das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung abgefragt, mit der Polizeistatistik abgeglichen und überprüft, wie wo Gefahr besteht – die nicht nur von Migranten ausgehen muss – und wo die Einwohner ein Risiko sehen.

Julia Burgold
Julia Burgold

© privat

Vertrauensverlust gegenüber Behörden

Ambivalent ist dabei die Rolle des Internets: „Natürlich muss man sich informieren, um Schaden abzuwenden“, sagt Burgold. „Aber viele machen das im Internet, und dort findet man eben alles.“ Nicht nur Zahlen, Daten, Fakten, sondern auch Fake News – und Algorithmen suchen stets ähnliche Nachrichten aus dem Netz. Dies führe zu einem echten Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Behörden. „Die Paradoxie der Sicherheit“ sagt Burgold. Die gefühlte Kriminalität überwiegt die tatsächliche um ein Vielfaches. Polizeistatistiken, die von zurückgehender Kriminalität und Gewalt künden, können daran kaum etwas ändern.

Wichtig ist es den Forschern, die Akteure vor Ort, wie Kiezmanager, Ehrenamtliche der Nachbarschaftshilfen und Kirchen, Sozialarbeiter, aber auch die Polizei, miteinander ins Gespräch zu bringen, um die Sicherheitslage tatsächlich und gefühlt zu verbessern. 27 Workshops sind geplant in den drei Städten. Die Forscher analysierten also Daten und erarbeiteten einen umfangreichen Fragenkatalog. 5000 Exemplare landeten in den Briefkästen der Untersuchungsgebiete. Die Rücklaufquote, sagt Burgold, lag zwar nur bei 20 bis 40 Prozent, dennoch: „Eine Menge Papier!“ Danach folgte eine qualitative Studie mit Anwohnern.

Nicht alle haben Angst

Die Ergebnisse der quantitativen Studie sollen im Winter 2020 vorliegen. In Berlin betrachten die Forscher die Nachbarschaften in der oberen Sonnenallee und der Ringbahnstraße (Neukölln), den Boxhagener Platz (Friedrichshain), das Zentrum des Wedding und die Gropiusstadt in Buckow. Diesen Bereich untersucht Burgold selbst. 28.000 Menschen wohnen dort, im Vergleich zum Rest Berlins überdurchschnittlich viele Ältere mit mittlerem sozialen Status, Tendenz: sinkend. Dorthin zogen in den vergangenen acht Jahren viele Menschen mit Migrationshintergrund. 18 Einzelinterviews führte Burgold dort, mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Die Befragten schilderten Alltagskonflikte: illegale Müllentsorgung, randalierende Jugendliche, Trickbetrüger, sie fürchten Wohnungs- oder Kellereinbrüche, Raubüberfälle. Doch nicht alle hatten Angst – jeder verarbeite solche Informationen anders. „Coping-Strategie nennt das die Forschung. Der erste Workshop war erfreulich, so Burgold. Vor allem die Polizei sei interessiert an der Zusammenarbeit, weil sie häufig von Problemen erst erfahre, wenn Anzeige erstattet wird.

Schon mit überschaubaren Maßnahmen lasse sich viel bewirken, lautet ein erstes Fazit. Etwa mit dem Beschneiden von Hecken, der Installation von Videokameras oder direkter Kommunikation zwischen Kommune und Bürgern in Stadt-Spaziergängen.

Stefanie Schuster

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