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"Das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern“: Zur deutschen Rolle beim Armenier-Genozid

Die Deportation von Armeniern hatte 1915 im Ersten Weltkrieg begonnen. Am Ende eines der ersten planmäßigen Genozide der Weltgeschichte sollte die Ermordung von deutlich mehr als einer Million Menschen stehen.

Die Deportation von Armeniern hatte 1915 im Ersten Weltkrieg begonnen. Am Ende eines der ersten planmäßigen Genozide der Weltgeschichte sollte die Ermordung von deutlich mehr als einer Million Menschen stehen. Im Ersten Weltkrieg war die Türkei Bündnispartner des Deutschen Reiches. Deutsche Militärs waren in der Türkei stationiert, Feldzüge und Strategien planten die Bündnispartner gemeinsam. Wie weit also waren deutsche Militärs und Politiker über die türkischen Pläne zur Ausrottung eines ganzen Volkes informiert oder beteiligt?

In einer neuen Veröffentlichung haben der Leiter des Lepsiushauses in Potsdam, Rolf Hosfeld, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Christin Pschichholz Autoren versammelt, die sich mit der Verstrickung des Deutschen Reiches an dem Völkermord auseinander setzen („Das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern“, Wallstein Verlag, ISBN: 978-3-8353-1897-7). Das Massaker ist auch heute noch Tagespolitik. Der Deutsche Bundestag bedauerte im Juni 2016 die Rolle des Deutschen Reiches als Hauptverbündetem des Osmanischen Reiches und stellte fest: „Das Gedenken des Deutschen Bundestages ist auch Ausdruck besonderen Respektes vor der wohl ältesten christlichen Nation der Erde.“ Zugleich fand unweit des Parlaments eine große Demonstration offenkundig türkischstämmiger Mitbürger statt, die sich gegen die Benennung des Massakers wehrten.

„Wir diskutieren heute nicht darüber, ob es sich um einen Genozid handelte oder nicht, das ist historisch unstrittig“, sagte Rolf Hosfeld bei der Buchpräsentation. Das sieht auch Sönke Neitzel so, Militärhistoriker an der Universität Potsdam. Das Deutsche Reich war gut informiert über die Morde an dem christlichen Volk in Anatolien. Mit einer Depesche hatte der deutsche Botschafter schon im Juli 1915 über die beginnenden Deportationen und Massaker unterrichtet. Anfang 1916 waren bereits 290 Offiziere und 32 000 deutsche Soldaten vor Ort. Fraglich sei allerdings, ob sie sich ein zutreffendes Bild von der Lage der Armenier machen konnten und die Möglichkeit hatten einzugreifen.

Der Pakt zwischen Deutschen und Türken war von der Überlegung des Deutschen Reiches getrieben, direkte Angriffsmöglichkeiten auf Einflussgebiete Englands zu haben: bei Suez, wo England vom Einflusses auf Indien abgeschnitten werden sollte oder über Persien, von wo es nicht mehr ganz so weit nach Indien war. Das Deutsche Reich träumte davon, dominante Weltmacht zu werden. Ein Bündnispartner, der gegnerische Kräfte in Kämpfen rund um das Mittelmeer band, kam da gerade recht. Langfristig hätte man in der Türkei gerne einen deutschen Satellitenstaat gesehen.

Lediglich zwei deutsche Offiziere hatten allerdings fundiertes Wissen über die Türkei: General von Goltz, der von 1883 bis 1885 die türkische Militärausbildung überwacht hatte und Korvettenkapitän Hans Human, der als Sohn eines Archäologen in der Türkei aufgewachsen war, und mit einem der Initiatoren des Massakers, Enver Pascha, befreundet war. Einige deutsche Stabsoffiziere rieten der türkischen Armee, armenische Zivilisten zu deportieren, schreibt die Historikerin Isabel V. Hull. Die Militärs schenkten der türkischen Darstellung Glauben, dass die Deportation notwendig sei, weil die „Pflicht zur Selbsterhaltung der türkischen Front“ dazu zwinge, wie es Oberstleutnant Otto von Feldmann in seinen Erinnerungen formulierte.

Die Türken fürchteten, dass sich die Armenier nach verlorener Schlacht der Türken auf die Seite der obsiegenden Russen schlagen und dem Osmanischen Reich in den Rücken fallen würden. Zwar protestierte der Botschafter Hans von Wangenheim zaghaft und war der Ansicht, dass Massaker inakzeptabel seien. Sein Nachfolger Paul Wolff-Metternich allerdings erkannte: „Wagen wir aus militärischen Gründen kein festeres Auftreten, so bleibt nichts übrig, als zuzusehen, wie unser Bundesgenosse weiter massakriert.“ Letztlich geschah genau das, konstatiert Isabel V. Hull. 

Richard Rabensaat

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