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Im Gespräch. Trotzki (l.) mit Lenin und Kamenew (r.) 1920 in Moskau.

© Leo Leonidow

Homepage: Dampfmaschinen der Revolution

Jan Philipp Reemtsma spricht am Einstein Forum über den Revolutionär Leo Trotzki

Das Buch habe einen guten Sound, findet Jan Philipp Reemtsma. Leo Trotzkis Thesen zur revolutionären Machtergreifung zergliedert der Geisteswissenschaftler Reemtsma bei seinem Vortrag im Einstein Forum. Es sei auch heute noch – oder heute gerade wieder – spannend, Trotzki zu lesen, stellt der Literaturwissenschaftler und Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, fest. „Versuch einer Autobiographie“ hat der Revolutionär Lew Dawidowitsch Bronstein (1879-1940), alias Trotzki, seine Erinnerungen überschrieben.

Das Buch erschien im Jahr 1930. Im gleichen Jahr erschien auch Trotzkis zweibändige Geschichte der Revolutionen 1905 und 1917. Die Autobiografie schrieb Trotzki im Exil im Auftrag des Fischer Verlages. Da habe der Bolschewist noch lange nicht daran gedacht, einen Schlussstrich unter seine wechselvolle politische und revolutionäre Laufbahn zu ziehen, so Reemtsma. Es sei ein „hoch gestimmtes Buch“, getragen von dem Gefühl: „Ich komme wieder“. Da irrte sich der brillante jüdische Intellektuelle und Organisator Trotzki allerdings. Im Jahre 1940 erschlug der russische Agent Ramón Mercader den Konkurrenten Stalins in Mexiko mit einem Eispickel. Versuche Trotzkis, ein kommunistisches Forum abseits Russlands auf internationaler Ebene zu etablieren, waren bis dahin zwar nicht völlig gescheitert, hatten aber auch keine nennenswerten Früchte getragen.

Die zentrale Frage im Leben Trotzkis habe seitdem kaum an Aktualität verloren, bemerkt Reemtsma. Wie vollzieht sich eine revolutionäre Machtergreifung, was legitimiert sie? Und wie kann sie in eine positive Utopie münden? Die französischen Revolution hatte das Bild eines blutigen Gemetzels mit ungewissem Ausgang für die folgenden Jahrhunderte etabliert, was jedoch kaum einen potenziellen Revolutionär von seinem messianischen Tun abhielt. Erst die Umstürze in den Ostblockstaaten am Ende des vergangenen Jahrhunderts zeigten, dass es auch anders geht. Revolution kann sich auch friedlich und schrittweise vollziehen, wie nicht zuletzt die Bürger der DDR mit ihrem Slogan „Wir sind das Volk“ demonstrierten. Dass gerade der Verbund der Ostblockstaaten an ihren wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten und der Unzufriedenheit einer Generation, die mit Sowjetparolen aufgewachsen war, zerbröseln würde, konnte Trotzki nicht voraussehen. Dass Revolutionen aber nicht notwendigerweise mit massenhaftem Blutvergießen einhergehen, habe auch die russische Oktoberrevolution von 1917 gezeigt, jedenfalls aus Trotzkis Sicht, so Reemtsma. Denn die direkte Machtergreifung durch die Bolschewiki gelang unmittelbar mit nur wenigen Schüssen. Die Volksmassen allerdings waren nicht präsent. Revolutionäre und Soldaten trugen den Aufstand. Das Blutvergießen folgte erst im Bürgerkrieg.

Gerade daran, dass nur so wenig Volk unmittelbar für den Umsturz notwendig gewesen sei, zeige sich die Zustimmung der Massen, habe Trotzkis Interpretation gelautet. Das sei schon eine recht starke Deutungsleistung, so Reemtsma. Aber schließlich sei es dem Autor beim Abfassen seiner Bücher auch darum gegangen, eine schlüssige Erzählung seines Lebens abzuliefern. „Nur wenn die individuelle Narration in eine umfassende Deutung der Historie eingebettet ist, gelingt es, dem einzelnen revolutionären Handeln einen Sinn zu geben“, sagt Reemtsma.

Tatsächlich sei die Zeit wohl einfach reif für die Machtergreifung durch die Bolschewisten gewesen. Denn die bis dahin regierende Revolutionsregierung konnte sich nicht entschließen, den verlustreichen Krieg zu beenden und war überhaupt wenig entschlussfreudig. Was nun genau das Wesen einer Revolution sei, könne allerdings weder Trotzki noch er, Reemtsma, bestimmen. Es sei vermutlich wie bei der sprichwörtlichen Dampfmaschine, stellte Susan Neiman, die Leiterin des Einstein Forums, fest. Würde die auseinandergeschnitten, sei noch lange nicht der Dampf zu erkennen, der die Mechanik am Laufen halte. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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