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Bundestagswahl 2017: Potsdamer Wahlforscher: Doch keine große Koalition?

Wahlforscher Wolfgang G. Gibowski von der Universität Potsdam blickt auf den möglichen Ausgang der Bundestagswahl: Die Prognosen des AfD-Ergebnisses, sagt er, müssten korrigiert werden.

Potsdam - Für den Wahlforscher Wolfgang G. Gibowski von der Universität Potsdam ist die Bundestagswahl schon weitgehend gelaufen. Zumindest hält er das Wahlergebnis bereits in Umrissen für erkennbar. Dass Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) auch nach der Wahl Bundeskanzlerin bleibt, hält der Staatssekretär a.D. und ehemalige Bundespressechef unter Kohl für sicher. Auch die jüngsten Wahlumfragen rechnen damit, dass die CDU/CSU eindeutig stärkste Partei wird. Allerdings hänge die Zusammensetzung einer möglichen Koalition davon ab, wie weit die Union von der 40-Prozent-Marke nach unten entfernt sein wird.

Laut aktuellen Umfragen, die die CDU/CSU bei 36 bis 37 Prozent sehen, müsste die Union noch gut fünf Prozent zulegen, um mit der FDP oder den Grünen koalieren zu können. Nach dem Unions-Ergebnis entscheide sich, ob Zweier- oder Dreier-Koalitionen verhandelt werden müssen. Die Fortsetzung der Großen Koalition wird für Merkel in jedem Fall möglich sein – sofern die SPD gewillt ist. Die Große Koalition dürfte laut Gibowski vielen Wählern nicht unrecht sein, wird ihr doch laut Umfragen von August von zwei Dritteln der Bevölkerung eine gute Arbeit bescheinigt.

Personen spielen wichtige Rolle: Die meisten Wähler inzwischen Wechselwähler

Dass die SPD das Ziel von Martin Schulz, stärkste Partei zu werden, nicht erreichen wird, ist für den Wahlforscher von der Professur Politik und Regieren in Deutschland der Uni Potsdam sicher: Die Sozialdemokraten werden sich demnach an der 25-Prozent-Marke orientieren müssen, womit Gibowski sie immerhin noch ein bis zwei Punkte über den anderen Umfragen sieht. Nur wenn 25 Prozent klar überschritten werden, könne man von einer erfolgreichen Kandidatur von Schulz sprechen.

Grundsätzlich spreche alles dafür, dass im „Fernsehzeitalter“ das Spitzenpersonal der Parteien von wahlentscheidender Bedeutung ist, erklärt der Gründer der Forschungsgruppe Wahlen. Aber: „Weil die meisten Wähler inzwischen potenzielle Wechselwähler sind, kann sich im Wahlkampf noch manches ändern.“ Die Wechselbereitschaft werde von Wahl zu Wahl größer, stellt der Politologe fest.

Wahlforscher sieht die AfD in aktuellen Prognosen unterbewertet

Dass AfD, FDP, Grüne und Linke im kommenden Bundestag vertreten sind, steht für Gibowski hingegen fest. Die Reihenfolge allerdings ist auch für ihn noch offen. Bislang geht er davon aus, dass die FDP und die AfD die besten Aussichten haben, vorne zu liegen. Die FDP präsentiere sich mit dem gut angesehenen Spitzenkandidaten Christian Lindner, um den „Betriebsunfall“ von 2013 vergessen zu machen. Die AfD wiederum wirbt als einzige Partei mit der Ablehnung von Migranten.

Zur AfD stellt der Wahlforscher fest, dass die Partei zumindest in den westlichen Bundesländern in den Umfragen tendenziell eher unterschätzt wird. Daher müsse die AfD-Prognose leicht angehoben werden. In den östlichen Bundesländern habe sich die AfD das Image einer konservativen Protestpartei gegeben: Hier schneide sie mit um die 13 Prozent doppelt so stark ab wie in den westlichen Ländern mit knapp sieben Prozent. Im Osten habe die AfD damit lange gleichauf mit der Linken gelegen, beide hinter der SPD, die die 20-Prozent-Marke dort meist nicht erreichte. In den beiden letzten Wochen hat die Linke im Osten deutlich zugelegt und auch die SPD hat nun bessere Werte. Die anderen „Westparteien“ CDU, FDP und Grüne schneiden im Osten schwächer ab als im Westen. Die deutlich höheren AfD-Anteile im Osten würden sich jedoch aufgrund des dortigen geringen Bevölkerungsanteils entsprechend gering auf das Gesamtergebnis auswirken.

Linke und Grüne: Aus Sicht der Bevölkerung als Opposition versagt?

Die beiden derzeitigen Oppositionsparteien Linke und Grüne haben aus Gibowskis Sicht in dieser Legislatur eine Chance verpasst: „Durch eine engagierte Politik gegen die Große Koalition hätten sie bei vielen Themen politische Alternativen aufzeigen können.“ Heute würden sie hingegen schwächer erscheinen als nach der Bundestagswahl 2013. „Aus der Sicht der Bevölkerung haben beide Parteien als Opposition versagt, was durch den bevorstehenden Wahlerfolg der AfD unterstrichen wird.“

Als wichtigstes Thema gelte den Wählern nach wie vor die Lage der Flüchtlinge. Allerdings sei das Thema in den vergangenen zwei Jahren weitgehend entschärft worden, gehe es nun nicht mehr um unkontrollierten und massenhaften Zuzug, sondern um Fragen wie Integration und innere Sicherheit. Mit großem Abstand zum Flucht-Thema folgen die Rentendiskussion und die Alterssicherung (20 Prozent), das soziale Gefälle in Deutschland (16 Prozent), die Angst vor Terror und Krieg (zwölf Prozent), Schul- und Bildungsprobleme (zwölf Prozent) sowie Probleme der inneren Sicherheit (acht Prozent). Das frühere Top-Thema Arbeitslosigkeit sei mit sieben Prozent zwar auf einen hinteren Platz abgerutscht, behalte aber in den östlichen Bundesländern mit zwölf Prozent der Nennungen eine größere Bedeutung als im Westen (sechs Prozent).

Senkt Vorsprung von CDU/CSU die Wahlbeteiligung?

Die Tatsache, dass die Wahl für viele in der Hauptsache schon entschieden scheint, sieht der Wahlforscher für die CDU/CSU als Nachteil – weil man dann ja auch mal für eine andere Partei stimmen könne. Auch könnte sich dies negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken. Doch der Experte weiß aus seiner langjährigen Erfahrung als Wahlbeobachter auch, dass es häufig überraschende Veränderungen kurz vor einem Wahltermin waren, die eine Wahl schließlich entschieden haben.

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